Wien (meduni wien) - Was passiert in einer Zelle, wenn sie gestresst ist? Dieser Frage gingen Christian Seiser
und sein Team von den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und der Medizinischen Universität
Wien in ihrer aktuellen Studie nach. Sie bestimmten, welche Gene einer Zelle durch Stress aktiviert werden, fanden
dass über die Hälfte dieser Gene ein gemeinsames Markenzeichen tragen und beschrieben den molekularen
Mechanismus, wie dieses als Startsignal zum Ablesen der Stress-aktivierten Gene führt. Ihre Ergebnisse könnten
dazu beitragen, Therapeutika zur Behandlung stressbedingter Krankheiten zu entwickeln. Sie wurden im renommierten
Fachjournal Genome Research veröffentlicht.
Wenn der Volksmund von Stress redet, ist meist eine zu hohe Belastung im Job oder im Privatleben gemeint. In der
Biologie ist der Begriff Stress weiter gefasst: Im Jahr 1936 entdeckt und durch den Wiener Mediziner und Biochemiker
Hans Selye erstmals beschrieben, bezeichnet Stress "eine durch äußere Reize hervorgerufene psychische
und physische Reaktion, die am Anfang als körperlicher Ausdruck einer allgemeinen Mobilmachung der Verteidigungskräfte
im Organismus" verstanden wird. Zu den Auslösern von Stress, den sogenannten Stressfaktoren, gehören
hierbei nicht nur emotionale Belastung, sondern auch physikalische Faktoren wie Hitze, Kälte, oder zu viel
Sonne, Infektionen, Verletzungen, und giftige Substanzen - zum Beispiel im Zigarettenrauch.
Gestresste Gene zeichnen sich durch ein Markenzeichen am Histon H3 aus
Einige der körperlichen Reaktionen auf Stress kennt jeder aus eigener Erfahrung: das Herz schlägt schneller,
man fühlt sich heiß oder schwitzt. Was passiert jedoch in unseren Zellen, den Bausteinen des Körpers?
Dieser Frage ging Anna Sawicka als Doktorandin im Labor von Christian Seiser an den Max F. Perutz Laboratories
(MFPL) der MedUni Wien nach. "Werden Zellen gestresst, zum Beispiel durch bestimmte Chemikalien, aktivieren
sie sehr schnell ein spezielles Transkriptionsprogramm. Das heißt, bestimmte Gene werden angeschaltet, und
zwar nach einem genau regulierten Modus, der festlegt, wann welches Gen für wie lang aktiviert wird",
erklärt Anna Sawicka. Die Experimente der ForscherInnen zeigten, dass gut die Hälfte aller sofort durch
Stress aktivierten Gene ein gemeinsames Markenzeichen haben: ganz an ihrem Anfang, dem Promotor, ist das Protein
Histon H3 durch einen Phosphatrest spezifisch markiert.
Das Markenzeichen gestresster Gene fungiert als Startsignal für Ablesen
Studienleiter Christian Seiser erklärt: "Es war eine riesige Überraschung, dass ein und dieselbe
Markierung an fünfzig Prozent der durch Stress aktivierten Gene zu finden ist. Das macht sie zu einem Markenzeichen,
denn wir finden diese spezifischen Markierung sonst nur an einem kleinen Bruchteil aller Histon H3 Proteine."
Daher gingen die WissenschafterInnen den Fragen nach: Was sind das für Gene, die dieses Markenzeichen tragen,
und was ist die Funktion dieser Markierung? Zur Beantwortung dieser Fragen etablierte Anna Sawicka gleich zwei
Methoden, die in diesem Kontext vor ihr noch niemand zum Funktionieren gebracht hatte. Die ehemalige Doktorandin
des vom FWF geförderten Doktoratskollegs "Molecular Mechanisms of Cell Signaling" fand, dass das
Markenzeichen vor allem an sogenannten pausierenden Genen zu finden ist. Das sind Gene, die bildlich gesprochen
wie Rennautos mit bereits laufendem Motor vor dem Start des Rennens warten. Die Markierung durch den Phosphatrest
fungiert dann als Startsignal, das die Gene sofort hochreguliert. "Das Stress-Signal führt zur Markierung
des H3 Proteins durch einen Phosphatrest am Promotor, dem regulatorischen Abschnitt eines Gens. Dadurch wird die
Wechselwirkung von H3 mit einem Repressorkomplex, der bis dahin die Transkription blockiert hat, unterbunden und
die stressregulierten Gene werden aktiviert", erklärt Anna Sawicka ihre Ergebnisse. Christian Seiser
fasst zusammen: "Die Studie hat also nicht nur ein Markenzeichen aufgedeckt, durch das sich etwa die Hälfte
aller Stress-aktivierten Gene auszeichnet, sondern auch wie diese Phosphat-Markierung auf molekularer Ebene zum
Anschalten dieser Gene führt."
Stress macht krank
Ein detailliertes Verständnis der Stressreaktion auf molekularer Ebene könnte zur Entwicklung von Therapeutika
beitragen, die zur Behandlung stressbedingter Krankheiten dienen. Während Anna Sawicka nun ihre wissenschaftliche
Karriere als Postdoktorandin am Max Planck Institut in Göttingen weiterverfolgt, wollen Christian Seiser und
sein Team verstehen, welche Funktion die Histonmarkierung für die längerfristige Genaktivierung durch
Stress hat. Erste Hinweise haben sie schon, in diesen Fällen scheint die Phosphatmarkierung in Kombination
mit anderen Histonmodifikationen eine wichtige Rolle als Teil des sogenannten Histon-Codes zu spielen.
Medizinische Universität Wien - Kurzprofil
Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs-
und Forschungsstätten Europas. Mit fast 7.500 Studierenden ist sie heute die größte medizinische
Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit ihren 29 Universitätskliniken, 12 medizintheoretischen
Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen
Europas im biomedizinischen Bereich. Für die klinische Forschung stehen über 48.000m2 Forschungsfläche
zur Verfügung.
Max F. Perutz Laboratories - MFPL
Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) sind ein gemeinsames Forschungs- und Ausbildungszentrum der Universität
Wien und der Medizinischen Universität Wien am Campus Vienna Biocenter. An den MFPL sind rund 500 WissenschafterInnen
in über 60 Forschungsgruppen mit Grundlagenforschung im Bereich der Molekularbiologie beschäftigt.
Publikation in Genome Research
Anna Sawicka, Dominik Hartl, Malgorzata Goiser, Oliver Pusch, Roman R. Stocsits, Ido M. Tamir, Karl Mechtler, Christian
Seiser: H3S28 phosphorylation is a hallmark of the transcriptional response to cellular stress. Genome Research
(August 2014) DOI:
http://dx.doi.org/10.1101/gr.176255.114
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