Eine Ressource für Kunst und Denken
Wien (pr&d) - Der Taumel als Seinszustand kann Transformation und Innovation auslösen. Das ist
die zentrale These eines vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten, soeben gestarteten Projekts. Untersuchungsgegenstand
ist dabei der Taumel in Erfahrung und Reflexion sowie seine Auswirkungen in unterschiedlichen wissenschaftlichen
Disziplinen und der zeitgenössischen Kunstproduktion. Wie sich der Taumel in der filmischen Kunstproduktion
darstellt, wird die Sammlung, Generierung und Analyse unterschiedlichsten Text- und Filmmaterials demonstrieren.
Ziel des Projekts ist, das Potenzial des Taumels für Transformations- und Innovationsprozesse zu veranschaulichen
und einen wissenschaftlich-künstlerischen Diskurs darüber anzuregen, inwieweit sich Spuren des Taumels
in allen transformativen Prozessen feststellen lassen.
Der Taumel destabilisiert und setzt Dinge in Bewegung. Nach Plato stellt er den Ursprung des Denkens dar, weil
er in uns das destabilisieren kann, was wir als unverrückbar annehmen. Der Taumel steht nun im Zentrum des
vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten künstlerischen Forschungsprojekts "Dizziness – A Resource".
Dieses widmet sich der Untersuchung der Erfahrung und der Reflexion des Taumels in der Moving Image Art. Unter
Einbezug verschiedener Forschungsrichtungen sollen Materialien und Ressourcen für die zeitgenössische
Kunstproduktion verfügbar gemacht und innerhalb eines Filmprojekts angewandt werden.
Ins Heureka stolpern
Den Zustand des Taumelns beschreibt die Leiterin des Projekts "Dizziness – A Resource", Mag. Ruth
Anderwald, Künstlerin an der Akademie der bildenden Künste Wien: "Im künstlerischen, philosophischen
und wissenschaftlichen Denken beginnt man zu taumeln, wenn man sich angesichts eines Problems an die Grenzen seines
Wissens bewegt. Man muss beginnen, Mittel zur Navigation im Unbekannten zu generieren. Für die Sokratiker
war das Taumeln die Bewegungsform der Erkenntnisfindung, da die taumelnde Bewegung den Blick auf neue Perspektiven
öffnet." Die Wirkungsweise und das Potenzial dieses psychischen und physischen Zustands werden nun im
Projekt untersucht. Denn nur durch einen potenziellen Perspektivenwechsel kann ein innovativer, gänzlich neuer
künstlerischer oder wissenschaftlicher Gedanke entstehen. Um dem Taumel als Forschungsgegenstand gerecht werden
zu können, ist im Projekt ein Zugang notwendig, der Kunst und Wissenschaft als zwei Dimensionen desselben
kulturellen Raumes versteht. Dieser Brückenschlag birgt Herausforderungen, denn die Zusammenarbeit zwischen
unterschiedlichen Disziplinen und ihren heterogenen Theorien, Methoden, Materialien und Denkmustern erfordert eine
stetige Übersetzungsleistung. Mag. Anderwald dazu: "Ganz wichtig ist die begriffliche Genauigkeit. Dies
verlangt ein ständiges Überprüfen der Begrifflichkeiten zwischen den am Projekt Beteiligten, damit
alle Expertinnen und Experten mit ihrem Know-how jeweils an der richtigen Stelle andocken können."
(Be)Rauschende Quelle
Die eigens für das Projekt generierte Plattform http://www.on-dizziness.org/
ermöglicht eine gute Vernetzung und Sichtbarkeit des Projekts. Durch den Austausch der ExpertInnen auf der
Website werden Prozesse nachvollziehbar dokumentiert und themenrelevante Materialien aus den unterschiedlichsten
Forschungsdisziplinen publiziert. Diese reichen von künstlerischen zu medizinischen Kurzfilmen, über
kulturwissenschaftliche Texte und Analysen bis hin zu Studien der Kreativitätsforschung. Die Online-Research-Library
zeigt die wissenschaftlichen und künstlerischen Denkweisen und Richtungen innerhalb des Projekts. Kurze erläuternde
Texte werden die Materialien begleiten. Dem künstlerischen Bedürfnis nach Pluriperspektivität wird
hier Hand in Hand mit Wissenschaft und Forschung nachgegangen.
Die E-Publikation begleitet als prozessorientiertes Recherchearchiv die Produktion eines 20-minütigen Films,
an dem Mag. Anderwald als Teil des Künstlerduos Anderwald + Grond maßgeblich beteiligt ist. Als theoriegeleitetes
Experiment wird dessen Struktur einen Bezug zur medizinischen Dynamik des Taumels herstellen. Begleitende Film-Screenings
im Rahmen der international etablierten "HASENHERZ"-Reihe, Workshops und eine Konferenz bieten Gelegenheiten
zur (Re)Fokussierung und Diskussion.
So wird das Erkenntnispotenzial dieses zentralen menschlichen Seinszustands im Rahmen dieses FWF-Projekts aufgezeigt
werden. Ein Paradebeispiel für eine über sich hinausweisende kulturwissenschaftliche Arbeit und dafür,
wie Grundlagenforschung einen zentralen Diskursbeitrag für wissenschaftlich-theoretische Arbeiten in den unterschiedlichsten
Disziplinen sowie für die künstlerische Praxis darstellen kann.
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