Unvergessen: Euthanasieverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus
Graz (meduni) - Die Aufarbeitung der schrecklichen Euthanasieverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus
ist der Medizinischen Universität Graz ein dringendes Anliegen. Seit 1998 ist das Institut für Sozialmedizin
und Epidemiologie der Med Uni Graz umfassend in die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der
Geschichte integriert. Ein neues Forschungsprojekt ermöglicht nun die detaillierte Auseinandersetzung mit
NS-Verbrechen an der "Landes-Irren- und Landes-Siechenanstalt Klagenfurt".
Nationalsozialismus: Kein Platz für "unwertes" Leben
Lange Zeit galt die Auseinandersetzung mit der Medizin sowie dem Gesundheitssystem während der Zeit des
Nationalsozialismus als tabuisiertes Thema. Auch unter ÄrztInnen bzw. im Bereich der Universitäten wurde
lange Zeit der Mantel des Schweigens über diesen Abschnitt der Geschichte ausgebreitet. Am Institut für
Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz wurde daher 1998 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich vor
allem mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Medizingeschichte in der Steiermark während der Zeit des
Nationalsozialismus beschäftigt. "Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem schrecklichen
Kapitel der Medizingeschichte ist uns ein großes Anliegen, fielen doch der NS-Euthanasie an die 300.000 psychisch-kranke
und behinderte Menschen zum Opfer", klärt Institutsvorstand Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Freidl auf. Allein
70.000 Menschen fielen der Aktion "T4" zum Opfer. "Psychisch Kranke und behinderte Menschen wurden
bis 1941 in Tötungsanstalten verbracht und ermordet", berichtet Wolfgang Freidl. Die Aktion "T4"
wurde 1941 auf Grund öffentlicher Proteste zwar eingestellt, jedoch wurden die NS-Euthanasie- und Medizinverbrechen
dezentral weitergeführt und das Morden fand in den Betreuungsanstalten selbst statt.
Medizinverbrechen der Nationalsozialisten in der Steiermark
Im Mittelpunkt der Forschung am Grazer Institut für Sozialmedizin steht die Klärung der NS-Euthanasieverbrechen
im Rahmen der Aktion "T4" am Gelände der "Heilanstalt für Geisteskranke des Reichsgaues
Steiermark - Feldhof Graz". In den Jahren von 1940 bis 1945 wurden in der Anstalt am Feldhof mehr als 200
Kinder und Jugendliche ermordet. "Weitere 1.177 Personen konnten von der Arbeitsgruppe identifiziert werden",
klärt Wolfgang Freidl auf. Jene Menschen wurden vom "Feldhof" direkt in die Tötungsanstalt
Hartheim bei Linz verschickt und umgebracht. Daher berichten die WissenschafterInnen von mindestens 1.500 Opfern
aus der Grazer Anstalt.
Neues Forschungsprojekt: NS-Medizin in Kärnten
Unterstützt durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank kann ein neues Forschungsprojekt
zur Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Medizin in Kärnten gestartet werden. "Verdienstvolle Publikationen
zu den Euthanasieverbrechen in der Region Kärnten liegen bereits vom Kärntner Sozial- und Kulturwissenschafter
Helge Stromberg vor", so Wolfgang Freidl. Die gezielten Tötungsaktionen im Gaukrankenhaus Klagenfurt
begannen im Sommer 1940. Mit diesem Zeitpunkt setzte auch die Erfassung psychisch Erkrankter, Behinderter sowie
als "arbeitsuntauglich" bezeichneter Personen durch den "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen
Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" ein.
Eine Berliner Ärztekommission ordnete die Tötungen im Rahmen der Aktion "T4" nach Unterrichtung
durch den Direktor der Klagenfurter Krankenanstalt an. Über Leben und Tod der PatientInnen im Rahmen der als
Verlegung von PatientInnen verschleierten Aktion, entschieden die NS-ÄrztInnen mittels "Meldebögen".
Ab 1942 setzte nach offizieller Beendigung der Aktion "T4" eine "wilde Euthanasie" ein. Diese
geschah direkt durch ÄrztInnen und Pflegepersonal der Klagenfurter Anstalt. "Bislang ist die Anzahl an
Todesopfern nicht geklärt - lt. Zeugenaussagen starben um die 900 Menschen in Klagenfurt zu dieser Zeit",
berichtet Wolfgang Freidl.
Auf Antrag des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz wurde ein Forschungsprojekt
vom Jubiläumsfonds der OeNB genehmigt. Dieses soll eine umfassende und detaillierte Aufarbeitung der NS-Euthanasieverbrechen
an der "Landes-Irren- und Landes-Siechenanstalt Klagenfurt" ermöglichen. In Kooperation mit dem
Kärntner Landesarchiv können die PatientInnenakten dieses Zeitraums als grundlegende Datenbasis herangezogen
werden. Das Projekt orientiert sich an drei Forschungsschwerpunkten: Erstens steht die Einflussnahme des NS-Gesundheitsamtes
bzw. der Amtsärzteschaft im Zusammenhang mit den Einweisungen von behinderten und psychisch erkrankten Menschen
im Zentrum des Interesses. Zweitens werden die institutionellen und organisatorischen Bedingungen im Gaukrankenhaus
Klagenfurt am Beispiel der Pflegesituation aufgearbeitet. Dafür werden Theorien der Emotionssoziologie herangezogen.
Drittens steht die Nachzeichnung ausgewählter Opferbiographien im Mittelpunkt des Projektvorhabens.
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