Grazer Forschungsprojekt gibt den Opfern ein Gesicht

 

erstellt am
21. 10. 14
10.00 MEZ

Unvergessen: Euthanasieverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus
Graz (meduni) - Die Aufarbeitung der schrecklichen Euthanasieverbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus ist der Medizinischen Universität Graz ein dringendes Anliegen. Seit 1998 ist das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz umfassend in die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Geschichte integriert. Ein neues Forschungsprojekt ermöglicht nun die detaillierte Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen an der "Landes-Irren- und Landes-Siechenanstalt Klagenfurt".

Nationalsozialismus: Kein Platz für "unwertes" Leben
Lange Zeit galt die Auseinandersetzung mit der Medizin sowie dem Gesundheitssystem während der Zeit des Nationalsozialismus als tabuisiertes Thema. Auch unter ÄrztInnen bzw. im Bereich der Universitäten wurde lange Zeit der Mantel des Schweigens über diesen Abschnitt der Geschichte ausgebreitet. Am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz wurde daher 1998 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich vor allem mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Medizingeschichte in der Steiermark während der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. "Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem schrecklichen Kapitel der Medizingeschichte ist uns ein großes Anliegen, fielen doch der NS-Euthanasie an die 300.000 psychisch-kranke und behinderte Menschen zum Opfer", klärt Institutsvorstand Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Freidl auf. Allein 70.000 Menschen fielen der Aktion "T4" zum Opfer. "Psychisch Kranke und behinderte Menschen wurden bis 1941 in Tötungsanstalten verbracht und ermordet", berichtet Wolfgang Freidl. Die Aktion "T4" wurde 1941 auf Grund öffentlicher Proteste zwar eingestellt, jedoch wurden die NS-Euthanasie- und Medizinverbrechen dezentral weitergeführt und das Morden fand in den Betreuungsanstalten selbst statt.

Medizinverbrechen der Nationalsozialisten in der Steiermark
Im Mittelpunkt der Forschung am Grazer Institut für Sozialmedizin steht die Klärung der NS-Euthanasieverbrechen im Rahmen der Aktion "T4" am Gelände der "Heilanstalt für Geisteskranke des Reichsgaues Steiermark - Feldhof Graz". In den Jahren von 1940 bis 1945 wurden in der Anstalt am Feldhof mehr als 200 Kinder und Jugendliche ermordet. "Weitere 1.177 Personen konnten von der Arbeitsgruppe identifiziert werden", klärt Wolfgang Freidl auf. Jene Menschen wurden vom "Feldhof" direkt in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz verschickt und umgebracht. Daher berichten die WissenschafterInnen von mindestens 1.500 Opfern aus der Grazer Anstalt.

Neues Forschungsprojekt: NS-Medizin in Kärnten
Unterstützt durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank kann ein neues Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Medizin in Kärnten gestartet werden. "Verdienstvolle Publikationen zu den Euthanasieverbrechen in der Region Kärnten liegen bereits vom Kärntner Sozial- und Kulturwissenschafter Helge Stromberg vor", so Wolfgang Freidl. Die gezielten Tötungsaktionen im Gaukrankenhaus Klagenfurt begannen im Sommer 1940. Mit diesem Zeitpunkt setzte auch die Erfassung psychisch Erkrankter, Behinderter sowie als "arbeitsuntauglich" bezeichneter Personen durch den "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" ein.

Eine Berliner Ärztekommission ordnete die Tötungen im Rahmen der Aktion "T4" nach Unterrichtung durch den Direktor der Klagenfurter Krankenanstalt an. Über Leben und Tod der PatientInnen im Rahmen der als Verlegung von PatientInnen verschleierten Aktion, entschieden die NS-ÄrztInnen mittels "Meldebögen". Ab 1942 setzte nach offizieller Beendigung der Aktion "T4" eine "wilde Euthanasie" ein. Diese geschah direkt durch ÄrztInnen und Pflegepersonal der Klagenfurter Anstalt. "Bislang ist die Anzahl an Todesopfern nicht geklärt - lt. Zeugenaussagen starben um die 900 Menschen in Klagenfurt zu dieser Zeit", berichtet Wolfgang Freidl.

Auf Antrag des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz wurde ein Forschungsprojekt vom Jubiläumsfonds der OeNB genehmigt. Dieses soll eine umfassende und detaillierte Aufarbeitung der NS-Euthanasieverbrechen an der "Landes-Irren- und Landes-Siechenanstalt Klagenfurt" ermöglichen. In Kooperation mit dem Kärntner Landesarchiv können die PatientInnenakten dieses Zeitraums als grundlegende Datenbasis herangezogen werden. Das Projekt orientiert sich an drei Forschungsschwerpunkten: Erstens steht die Einflussnahme des NS-Gesundheitsamtes bzw. der Amtsärzteschaft im Zusammenhang mit den Einweisungen von behinderten und psychisch erkrankten Menschen im Zentrum des Interesses. Zweitens werden die institutionellen und organisatorischen Bedingungen im Gaukrankenhaus Klagenfurt am Beispiel der Pflegesituation aufgearbeitet. Dafür werden Theorien der Emotionssoziologie herangezogen. Drittens steht die Nachzeichnung ausgewählter Opferbiographien im Mittelpunkt des Projektvorhabens.

 

 

 

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