Szenische Lesung mit Roger Willemsen, Annette Schiedeck und Jens-Uwe Krause
Wien (pk) - Ein Abend mit zahlreichen Pointen, ungeschönten Einblicken und skurril anmutenden Schilderungen
erwartete am das Publikum der szenischen Lesung "Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament" mit Roger Willemsen
am 29.10. Ein Jahr lang hörte der Publizist dem Deutschen Bundestag an jedem einzelnen Sitzungstag zu, um
dann ein Buch über sein Beobachtetes und Erlebtes zu schreiben. Seinen oft amüsanten und messerscharfen
Blick auf das parlamentarische Geschehen präsentierte Willemsen gemeinsam mit der Schauspielerin Annette Schiedeck
und dem Hörfunk-Moderator Jens-Uwe Krause genau dort, wo sich auch hierzulande große Debatten und kleine
Nebenschauplätze abspielen, im Nationalratssitzungssaal des Parlaments.
Bures: Eine Demokratie muss fähig sein, Fehler zu korrigieren
Die Arbeit von Roger Willemsen zeuge von wachem Interesse und politischer Neugierde, aber auch von Ausdauer, sagte
Nationalratspräsidentin Doris Bures in ihren Begrüßungsworten. Das Buch mache das Funktionieren
und das weniger gute Funktionieren von Parlamentarismus deutlich, wobei nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern
auch das Österreichische Parlament eine häufig kritisierte Einrichtung sei. Bures äußerte
zudem ihre Überzeugung, dass das Parlament für eine gut funktionierende Demokratie unverzichtbar ist.
Deswegen bedürfe es auch öffentlicher Auseinandersetzung und Kritik. Eine Demokratie sei nicht frei von
Fehlern, aber sie müsse auch dazu fähig sein, diese Fehler zu korrigieren, so Bures.
Die Nationalratspräsidentin rief außerdem in Erinnerung, dass die parlamentarische Demokratie in Österreich
hart erkämpft werden musste, keine Selbstverständlichkeit sei und stets weiterentwickelt werden müsse.
Das werde durch die Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in den nächsten Monaten auch getan,
sagte Bures und verwies auf die Möglichkeit der direkten BürgerInnenbeteiligung in den Reform-Diskussionen.
In mitreißender Manier trugen Willemsen, Schiedeck und Krause in einer kurzweiligen Lesung jene Szenen vor,
die für ZuseherInnen von Parlamentsdebatten sonst wohl eher im Verborgenen bleiben. Szenen, durch die beim
Zuhören das Gefühl entsteht, mitten im Geschehen zu sein. So kam es in Willemsens parlamentarischen Exkursionen
schon mal vor, dass es zu späterer Stunde mit dem Gesetze-Beschließen durchaus schneller gehen kann
oder dass ein Jugendlicher auf der Besuchergalerie aufgefordert wird, den Kaugummi zu entsorgen, um der Würde
des Hauses zu entsprechen. Was Willemsen in seinem Jahr im Bundestag auch gehört hat, waren allseits bekannte
und sich endlos wiederholende Floskeln wie "Packen wir's an", außergewöhnlich papierene Reden,
Sprechchöre von Zwischenrufen und RednerInnen, die mit dem Satzbau kämpften. Was er gelernt hat, waren
neue Kategorien wie konjunktivisches Mitleid. Das, was dem Buch dabei zugrunde liegt, wie Willemsen selbst ausführte,
ist ein leidenschaftliches Verhältnis zur Demokratie und das Anliegen, den mündigen Bürger im Parlament
zu platzieren, getrieben von der Frage, ob VolksvertreterInnen wirklich über die Lebenswelt jener Bescheid
wissen, die sie vertreten. "Ich habe ein Jahr lang auf der Besuchergalerie für Sie gelitten", sagte
Willemsen, bevor er den ZuhörerInnen im voll besetzten Sitzungssaal des Nationalrats gemeinsam mit Schiedeck
und Krause eine Innenansicht des Parlaments präsentierte, die zugleich Befund und Zeugnis über das Zentrum
der Demokratie sein soll.
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