Licht aus weit entfernten Galaxien hilft, die Erde auf Millimeterbruchteile genau zu vermessen.
Die Geodätin Hana Kráná von der TU Wien vermisst die Verformung unseres Planeten und erhält
dafür den Karl Rinner-Preis.
Wien (tu) - Die Gezeitenkraft des Mondes hat nicht nur einen Einfluss auf das Meer, sie knetet den ganzen
Planeten kräftig durch. Um bis zu vierzig Zentimeter hebt und senkt sich dadurch die Erdoberfläche in
mitteleuropäischen Breiten jeden Tag. Untersuchen lässt sich das, indem man kosmische Radiowellen, die
von fernen Quasaren ausgesandt werden, an unterschiedlichen Orten auf der Welt vermisst. Durch die Analyse von
Radiowellen-Daten aus 27 Jahren gelang es einem Team der TU Wien nun, die Deformierung der Erde auf Bruchteile
eines Millimeters genau zu berechnen. Die Geodätin Hana Krásná (Department für Geodäsie
und Geoinformation, TU Wien) erhält dafür den Karl Rinner-Preis der Österreichischen Geodätischen
Kommission.
Ein Modell der Erde, auf Millimeter genau
Die Erde hat einen Durchmesser von über 12.700 Kilometern. Man könnte meinen, dass da eine Deformation
in der Größenordnung von Dezimetern keine Rolle spielt. Doch für manche wichtige Fragestellungen
ist eine Genauigkeit im Millimeterbereich nötig, etwa wenn man den globalen Anstieg des Meeresspiegels messen
möchte. „Um Positionen auf der Erde mit einer Genauigkeit von einem Millimeter anzugeben muss man die Verformung
der Erde durch die Gezeiten noch um eine Größenordnung genauer beschreiben – also auf etwa 0.1 mm genau“,
erklärt Hana Krásná.
Der Zusammenhang zwischen dem Gezeitenpotenzial und der Verformung der Erde wird durch die sogenannten Love- und
Shida-Zahlen beschrieben. Gemeinsam mit Prof. Johannes Böhm (TU Wien) und Prof. Harald Schuh (Helmholtz-Zentrum
Potsdam) konnte Hana Krásná diese Zahlen neu berechnen und zeigen, dass bisherige Modelle mit einem
Fehler von mehreren Millimetern behaftet waren. In der Fachzeitschrift „Journal of Geodynamics“ veröffentlichte
das Team nun neue Daten zu den Love- und Shida-Zahlen, mit denen nun eine viel präzisere Beschreibung der
Erddeformation möglich ist.
Ein Koordinatennetz auf der Erde durch kosmische Radiosignale
Der Schlüssel für die Vermessung der Erdverformung durch Gezeitenkräfte liegt weit draußen
im Weltraum: Radioquellen außerhalb unserer Galaxie – etwa Quasare – senden zeitlich veränderliche Signale
aus, die dann auf der Erde von unterschiedlichen Radioteleskopen gleichzeitig gemessen werden können. Je nachdem,
welche Seite der Erde den Radioquellen zugewandt ist, kommen die Signale im einen oder anderen Teleskop früher
an. Wenn man die Signale genau vergleicht und den Ankunftszeit-Unterschied ermittelt, dann kann man daraus präzise
Information über die Koordinaten der erdfesten Teleskope ableiten.
Weil diese Messungen auch durchgeführt werden können, wenn die Bodenstationen weit voneinander entfernt
sind, bezeichnet man diese Technik als „Very Long Baseline Interferometry“ (VLBI). Sie wird durch viele verschiedene
Prozesse beeinflusst, die rechnerisch mitberücksichtigt werden müssen, um genaue Daten zu bekommen. Zu
ihnen gehören nicht nur die täglich auftretenden Gezeiten, sondern auch Gezeiten-Komponenten mit längerer
Periode, die durch das komplizierte Zusammenspiel von Sonne, Mond und Erde entstehen. Radioteleskop-Daten aus 27
Jahren (von 1984 bis 2011) wurden mit einer Software analysiert, die von Hana Krásná und ihren Kolleginnen
und Kollegen an der TU Wien eigens dafür entwickelt wurde.
Karl Rinner-Preis
Die Österreichische Geodätische Kommission verleiht jährlich den Karl Rinner-Preis zur Förderung
hervorragender internationaler Präsentationen und Publikationen von jungen Forscherinnen und Forschern. Für
ihre Publikation „Tidal Love and Shida numbers estimated by geodetic VLBI“ im Journal of Geodynamics wurde Hana
Krásná am 28. Oktober 2014 im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen mit dem Karl Rinner-Preis
ausgezeichnet – damit ist sie die bisher erste Frau, die diesen Preis erhielt.
Krásná studierte zunächst Geodäsie und Kartographie an der Technischen Universität
Prag und schloss dann zusätzlich das Masterprogramm „Geodäsie und Geophysik“ an der TU Wien ab, wo sie
danach auch promovierte. Seit 2013 ist sie Universitätsassistentin in der Forschungsgruppe Höhere Geodäsie
der TU Wien.
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