Parlamentarische Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" nimmt inhaltliche
Arbeit auf
Wien (pk) - In ihrer ersten öffentlichen Sitzung ging am 07.11. die Enquete-Kommission zum Thema "Würde
am Ende des Lebens" auf die komplexe inhaltliche Dimension der Fragestellung ein. Wie aktuell und brisant
diese ist, zeigte sich nicht nur an den mehr als 600 im Vorfeld eingegangenen Stellungnahmen und am voll besetzten
Plenarsaal des Nationalrats, sondern auch an den am Beginn stehenden Impulsreferaten. Sie bescheinigten der österreichischen
Gesetzgebung, grundsätzlich für gute und klare Regelungen gesorgt zu haben, bedauert wurde allerdings,
dass Instrumente wie die Patientenverfügung oder die Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten viel
zu wenig genützt werden. Kritik gab es an der mangelnden Versorgung mit Hospiz- und Palliativangeboten, verbunden
mit dem Appell, so rasch wie möglich finanzielle und strukturelle Hürden zu überwinden. Aktive Sterbehilfe,
wie sie in anderen europäischen Ländern erlaubt ist, wurde von keiner und keinem der ExpertInnen befürwortet.
Eingestimmt auf das Thema wurden die Anwesenden durch einen Film mit berührenden Bildern aus dem Hospiz "Göttlicher
Heiland".
Bures: Dieses letzte große Tabu kann nur in gefestigter Demokratie diskutiert werden
Die Notwendigkeit, dieses sensible Thema im Parlament breit und öffentlich zu diskutieren, unterstrichen eingangs
die Vorsitzende der Enquete-Kommission Gertrude Aubauer (V) sowie Nationalratspräsidentin Doris Bures, die
die Anwesenden auch persönlich begrüßte und damit die Bedeutung dieses Themas unterstrich.
Der Tod gehöre zu den letzten großen Tabus in unserer Gesellschaft, sagte sie. Es stelle sich die Frage,
wie wir sicherstellen, dass Menschen ihren individuellen Bedürfnissen gemäß den Lebensabend in
Würde verbringen können und ob sich Würde in diesem Zusammenhang allgemein verbindlich definieren
lässt, umriss Bures die Themenpalette der Enquete-Kommission. Weiters sei zu klären, welchen Beitrag
die Hospiz- und Palliativmedizin leisten kann, ob die Patientenverfügung bestmöglich geregelt ist oder
ob es einen Nachbesserungsbedarf gibt. Nicht zuletzt stelle sich auch die Frage, ob es ein selbstbestimmtes Leben
ohne selbstbestimmtes Sterben geben kann, aber auch, wo das Recht auf Selbstbestimmung beginnt und wo es enden
soll.
Derartige Themen können und sollen nur in einer gefestigten Demokratie mit einer ausgeprägten Rechtsstaatlichkeit
wie in Österreich diskutiert werden, stellte Bures fest. Ihr sei es daher ein großes Anliegen, diesen
politischen Diskussionsprozess nicht hinter verschlossenen Türen zu führen, sondern in breiter Öffentlichkeit.
Sie verband damit die Hoffnung, auch wieder mehr Menschen für Politik und demokratische Partizipation begeistern
zu können.
"Niemand soll alleingelassen werden", bekräftigte die Vorsitzenden der Enquete-Kommission Gertrude
Aubauer. Es sei höchst an der Zeit, sich damit eingehend auseinanderzusetzen, wie man mit Menschen in ihrer
letzten Lebensphase würdevoll umgeht.
Österreichische Rechtslage ist klar und ausreichend
Die Impulsreferate beleuchteten das Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven - von der juristischen Seite
über die ärztlich-pflegerische Seite bis hin zur ethischen Seite. Dabei unterstrichen sowohl Elisabeth
Steiner vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als auch Günter Virt, Mitglied der Europäischen
Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien (EGE), dass die österreichische einfachgesetzliche
Regelung (§§ 77 und 78 Strafgesetzbuch) ausreichend und in Übereinstimmung mit der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) sei. Virt sprach sich ausdrücklich für eine nachhaltige Absicherung der
österreichischen bewährten Gesetzeslage aus. Man müsse vielmehr den Blick auf die soziale gesamtgesellschaftliche
Verpflichtung richten, betonte Steiner.
Wie Steiner ausführte, ergibt sich aus der EMRK kein Recht des Einzelnen, den Staat zu verpflichten, Handlungen
zu gestatten, die den Tod herbeiführen. Der Staat habe vielmehr das Leben der Menschen zu schützen. Demgegenüber
habe aber jeder Mensch das Recht, selbst entscheiden zu können, wann das Leben enden soll. Somit machte sie
klar, dass die Beihilfe zum Suizid oder die sogenannte aktive Sterbehilfe nicht von der EMRK abgeleitet werden
kann. Steiner umschrieb dies mit der kritischen Fragestellung, ob eine aktive Abschaffung des Leidens nicht die
Tür zur Abschaffung der Leidenden aufmachen würde. Virt brachte einen weiteren Aspekt in die Diskussion
ein und meinte, jede überzogene Autonomie liefere Kranke, Angehörige und ÄrztInnen einem subtilen
Druck aus.
Ruf nach bedarfsgerechtem und leistbarem Palliativ- und Hospizangebot
Wie Steiner machten auch Günter Virt und später Waltraud Klasnic als Vertreterin des Hospizdachverbandes
auf die unzureichende Versorgung mit Palliativ- und Hospizdiensten aufmerksam. Als notwendige Verbesserungen forderten
beide den flächendeckenden Ausbau der Palliativmedizin und der Hospizangebote und deren nachhaltige Finanzierung.
Die Hospiz- und Palliativversorgung müsse bundesweit bedarfsgerecht und flächendeckend angeboten werden
und für alle auch erreichbar, zugänglich und leistbar sein, betonte Klasnic. Man brauche bereichsübergreifende
Lösungen, nicht nur zwischen Sozial- und Gesundheitsbereich sowie Sozialversicherungen, sondern auch zwischen
Bund und Ländern. Es gebe gute Vorarbeiten dafür und diese hätten auch in den österreichischen
Strukturplan für Gesundheit Eingang gefunden. Klasnic warb nachdrücklich dafür, eine "kreative
Finanzierung" zu entwickeln und damit dem großen Nachholbedarf bei Palliativ- und Hospizdiensten nachzukommen.
Der Ethik der Autonomie eine Ethik der Achtsamkeit gegenüberstellen
Wesentlich sei der Abbau bürokratischer Hindernisse im Zugang zur Palliativbehandlung und die Weiterentwicklung
der interdisziplinären Ausbildung mit Masterabschlüssen, ergänzte Virt. Damit sprach er auch ganz
im Sinne von Harald Retschitzegger, dem Präsidenten der Österreichischen Palliativgesellschaft, der eine
hochwertige Hospiz- und Palliativkultur einfordert. Die Kompetenzen seien durchaus vorhanden, bemerkte er, man
brauche aber Bedingungen, die die Kompetenzen wachsen lassen, vor allem auch auf ärztlicher Ebene.
Retschitzegger vermisste in diesem Zusammenhang eine einschlägige Facharztausbildung, gab zugleich aber auch
zu bedenken, dass alle Ärztinnen und Ärzte eine Grundkompetenz in Palliativ-Care benötigen. Er forderte
daher eine diesbezügliche nationale Strategie ein, die auch umgesetzt wird. Wesentlich im Bereich der Palliativmedizin
ist für den Arzt Retschitzegger das Vermögen, zuhören zu können und zu kommunizieren. Besonders
schwierig ist es ihm zufolge, beim Sterben ein normales Maß im Hinblick auf das Ausmaß der medizinischen
Intervention zu finden. Deshalb misst er der Fähigkeit, mit den Betroffenen zu kommunizieren und in Erfahrung
bringen zu können, was sie brauchen beziehungsweise was sie möchten, eine besondere Bedeutung bei. Angesichts
von Fällen ökonomisch motivierter Übertherapie brauche man eine Medizin, die den Menschen zuhört,
appellierte Retschitzegger. Man müsse der Ethik der Autonomie eine Ethik der Achtsamkeit gegenüberstellen,
so sein Credo.
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht leichter zugänglich machen
Auf die in Österreich zur Verfügung stehenden aber viel zu wenig genützten Möglichkeiten der
Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten, um selbstbestimmend bis zum Schluss
entscheiden zu können, machte die Juristin der Universität Wien und Mitglied der Bioethikkommission Maria
Kletecka-Pulker aufmerksam. Solange man noch selbst entscheiden könne, habe jeder im Rahmen des aktuellen
Selbstbestimmungsrechts Recht auf Schmerzbehandlung sowie das Recht, lebensrettende Maßnahmen abzulehnen.
Für jene Fälle, wo man nicht mehr selbst in der Lage ist zu entscheiden, könne von der Patientenverfügung
Gebrauch gemacht werden. Diese werde jedoch ebenso wenig genützt wie die Vorsorgevollmacht.
Das Problem bei beiden Instrumenten sieht die Expertin darin, dass es für die Betroffenen oft schwierig sei,
trotz vorhandener Patientenverfügung ihren Willen auch durchzusetzen, weil man deren Wunsch nicht ernst nimmt.
Außerdem seien dabei komplexe Fragen zu überlegen. Zudem sei für viele Menschen der Zugang schwierig,
nicht nur aus finanziellen Gründen. Man müsse dazu einen Notar oder Rechtsanwalt aufsuchen. Kletecka-Pulker
schlug daher vor, den Zugang zu diesen Instrumenten zu erleichtern.
Um den Menschen zu helfen, welche Fragen in diesem ganzen Zusammenhang beachtet werden müssen, sei es notwendig,
im Vorfeld ausreichend Informationen anzubieten, sagte sie. Kletecka-Pulker wies in diesem Zusammenhang auf das
neue Tool des Vorsorgedialogs hin.
Keine aktive Sterbehilfe, aber Barmherzigkeit in extremen Fällen
Wir müssen das Leben bewahren und das Sterben dennoch zulassen. Alte Menschen sollen an der Hand eines anderen
Menschen und nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben, betonte Caritas-Präsident Michael Landau
Kardinal König zitierend. Die Politik sah er dabei aufgerufen, rasch für eine entsprechende Finanzierung
der Hospiz- und Palliativeinrichtungen zu sorgen und dabei immer im Auge zu behalten, dass jeder Sterbende ein
Lebender ist, und zwar bis zuletzt. Einig war sich Landau mit Michael Chalupka von der Diakonie Österreich
in der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Hospizversorgung. Chalupka befürwortete das Verbot der aktiven
Sterbehilfe, meinte aber, dem Gewissen des Einzelnen müsse größerer Spielraum eingeräumt werden.
Barmherzigkeit sei gefragt, dies gelte vor allem in einzelnen, extremen Fällen im Zusammenhang mit Beihilfe
zum Suizid.
Parteien sehen Enquetekommission als Handlungsauftrag
Wenn es als Ergebnis dieser Enquete-Kommission nicht zu einer umfassenden Erweiterung der Hospiz- und Palliativmedizin
kommt, dann sind wir politisch gescheitert, brachte SPÖ-Abgeordneter Johannes Jarolim die ersten Reaktionen
der SprecherInnen der Parlamentsfraktionen auf einen Punkt. Konsens bestand darüber hinaus auch über
die dringende Notwendigkeit, einen niederschwelligen Zugang zu Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten
zu ermöglichen.
Beistand und Selbstbestimmung am Ende des Lebens
Gegen jegliche Euthanasiegesetzgebung verwehrte sich ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, wobei
er argumentierte, dies würde schwerstkranke Menschen einem großen Druck aussetzen. Tötung könne
nicht die Antwort auf Not und Verzweiflung sein, vielmehr brauche es eine Kultur des Beistands. Der Sterbewunsch
ist ein Hilferuf, auf den wir mit Zuneigung und Nächstenliebe reagieren müssen, stand für ihn fest.
FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein betonte den Aspekt der Selbstverantwortung und meinte,
die Politik könne nur einen Rahmen geben, innerhalb dessen sich dann jeder das herausholt, was für ihn
das Richtige ist. Niemand sollte aber Angst haben, sich die Pflege einmal nicht leisten zu können. Deshalb
gehe es darum, durch Finanzierungsgarantien für Hospizeinrichtungen den Menschen Sicherheit zu geben. Eine
Sterbekultur, die die Würde am Ende des Lebens durch das Recht auf Selbstbestimmung auch tatsächlich
garantiert, ist nach den Vorstellungen von Grünen-Mandatarin Eva Mückstein geboten. Sie leitete daraus
vor allem auch die Bedeutung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten ab, und sprach sich gegen Verfassungsbestimmungen
bezüglich eines Sterbehilfeverbots aus. Geht es nach Markus Franz vom Team Stronach, dann sollte der Zugang
zu bereits bestehenden Möglichkeiten der Selbstbestimmung, wie Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten,
erleichtert werden, aktive Sterbehilfe lehnte er hingegen strikt ab. Selbstbestimmung ist auch für NEOS-Abgeordneten
Gerald Loacker ausschlaggebend, denn "Was Würde am Ende des Lebens bedeutet, können und sollen nur
die Betroffenen entscheiden".
Thema stößt auf große Resonanz in der Bevölkerung
Wie Gottfried Michalitsch namens der Parlamentsdirektion berichtete, liegt die Zahl der bisher im Hohen Haus eingelangten
Stellungnahmen mit 628 über den internen Erwartungen. Zehn kamen davon von öffentlichen Institutionen,
49 von NGOs und Interessensvertretungen und 569 von Privatpersonen. Das Parlament begrüßt die Einbindung
der Zivilgesellschaft, zumal sie den BürgerInnen einen unmittelbaren Zugang zu den Entscheidungsträgern
ermöglicht und die Politik dadurch Information von ExpertInnen bekommt.
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