Matinee über gemeinsame demokratiepolitische Herausforderungen für Politik und Medien
im Parlament
Wien (pk) – Wie können und sollen Politik und Medien auf die zunehmende Politikverdrossenheit und die
gleichzeitig sinkende Wahlbeteiligung reagieren? Ist uns alles egal? Und wenn ja, warum? Mit diesen alarmierenden
Tendenzen und hochaktuellen Fragestellungen haben sich VertreterInnen aus Politik, Medien, Wissenschaft und Kultur
am 05.11. im Palais Epstein auseinandergesetzt. Zur Matinee geladen hat der Zweite Präsident des Nationalrats
Karlheinz Kopf gemeinsam mit dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ).
Kopf: Starkes Bemühen um die Zukunft der Demokratie notwendig
"Medien, Politik, Verlagshäuser, demokratische Institutionen, JournalistInnen und PolitkerInnen sitzen
alle in ein und demselben Boot", konstatierte der Zweite Präsident des Nationalrats in seiner Begrüßung,
weil alle mit dem gleichen Problem zu kämpfen hätten. Denn wenn das Interesse an der Politik sinke, bleibe
auch das Interesse am Qualitätsjournalismus aus, wenn die Politikverdrossenheit zunehme, gingen jedem Medium,
das für Qualität steht, zuerst die LeserInnen und später das Geld verloren. Kopf kam zu dem prekären
Schluss: "Nimmt die Politikverdrossenheit zu, besteht eine Gefahr für die Medien und für die Demokratie".
Selbstkritisch gestand Kopf zudem ein, dass die Kluft zwischen den BürgerInnen und der Politik noch nie so
groß gewesen sei. Sichtbar werde diese Tatsache heute vor allem in sozialen Netzwerken, in denen sich viele
gegenüber politischen AkteurInnen ablehnend äußern würden. Diese Wahrnehmung der BürgerInnen
zwinge die Politik zu einem Nachdenkprozess, dabei werde demnächst auch im Parlament eine Diskussion über
die Neugestaltung der Demokratie im Zuge der Enquete-Kommission in Gang gesetzt. Laut Kopf kann ein Mehr an direkter
Demokratie wesentlich dazu beitragen, Politik- und vor allem Parteienverdrossenheit abzubauen. "Das ist ein
Instrument, aber kein Allheilmittel", sagte Kopf und stand dafür ein, vor allem auch in der Politik selbst
anzusetzen. Die Frage, ob auch manipulierende Medien eine Mitschuld am bereits vielerorts postulierten Bankrott
der Demokratie haben und was der unzufriedene Bürger selbst leisten muss und kann, um die Verdrossenheit zu
überwinden, brachte Kopf außerdem in Diskussion. "Politik, Medien und die BürgerInnen sind
Teil des demokratischen Systems und alle gleichzeitig verantwortlich", sagte er und appellierte für ein
starkes Bemühen um die Zukunft der Demokratie.
Kralinger: Medienkonsum muss an Schulen erlernt werden
Damit sich die BürgerInnen umfassend informieren können, brauche es unabhängige Medien, die Inhalte
mit Relevanz und Mehrwert liefern, postulierte der Präsident des Verbandes Österreichischer Zeitungen
(VÖZ) und verwies zudem darauf, dass diese Leistung vor allem von VÖZ-Medien erbracht werde. Eine vom
VÖZ in Auftrag gegebene Studie veranschauliche ebenfalls, warum eine demokratische Gesellschaft Kaufzeitungen
und -magazine brauche. Diese Medien würden nämlich Diskussionen anstoßen und Themen aufs Tapet
bringen, die manche lieber unter den Teppich kehren. Gar nicht selten würden damit auch Veränderungen
angestoßen, was keinem öffentlich-rechtlichen Rundfunk alleine gelinge und auch keiner Armada an Agenturmeldungen
oder ein paar tausend Tweets oder Blog-Einträgen. Was es brauche, sei eine vitale Pressekultur, so Kralinger.
Sorge mache er sich um die Zukunft, weil für Jugendliche mittlerweile andere Nutzungskanäle wie Soziale
Netzwerke eine größere Rolle spielen. Deshalb sei es auch Aufgabe der Medienhäuser, diese jungen
Menschen wieder an die verlegerischen Produkte heranzuführen und ihnen beizubringen, wo unabhängig und
professionell aufbereitete Information abrufbar ist. Eine mögliche Lösung bestand für Kralinger
darin, bereits in den Schulen Medienkonsum zu lehren und Zeitungen sowie Magazine mehr in den Unterricht zu integrieren.
Gemeinsam mit der Politik und den Schulen könne es gelingen, den Jugendlichen den Mehrwert darin zu zeigen,
sagte der VÖZ-Präsident.
Donsbach: Qualitäts- und Funktionsunterschied zwischen professionellen und nicht professionellen Medien
noch stärker aufzeigen
In seiner Keynote sprach Wolfgang Donsbach von der Technischen Universität Dresden von der zunehmenden Marginalisierung
des professionellen Journalismus. Donsbach brach mit der landläufigen Auffassung, dass die Boulevardisierung
der Medien und die sogenannten Pop Politics mit dem Internet eingesetzt haben. Bereits davor sei diese Kommerzialisierung
und Umsonst-Kultur zu beobachten gewesen, das Internet habe diesen Wandel beschleunigt, aber nicht ausgelöst.
Laut Donsbach ist vor allem bei den Jugendlichen das Vertrauen in JournalistInnen zurückgegangen. Hinzu kommt,
dass sich immer weniger Menschen professionell aufbereiteten journalistischen Inhalten zuwenden, so der Keynote-Speaker.
Ursachen dafür sah Donsbach zum einen in einer Werteveränderung der Gesellschaft, wonach sich die Menschen
immer weniger engagieren, was eine Privatisierung der Demokratie zur Folge hätte, zum anderen in einer Veränderung
der Medienlandschaft. Denn es sei noch nie so einfach gewesen, dem Eskapismus in allen möglichen Verbreitungskanälen
wie Youtube fernab von ernstzunehmenden Inhalten zu frönen. "Politik und anderes Ernsthaftes wird zur
Nadel im Heuhaufen", so Donsbach. Eine Folge davon sei, dass BürgerInnen nicht mehr zwischen professionellen
und nicht professionellen Inhalten unterscheiden können. Sprich, wirklich zu erkennen, wohinter professioneller
Journalismus oder Interessengruppen stecken.
Was es laut Donsbach zu tun gibt, ist die ausreichende Erhebung von wissenschaftlichen Daten und Erkenntnissen
über die Nachrichtennutzung, die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Wissen oder die Qualitätsunterschiede
zwischen nicht professionellen und professionellen Medien. Außerdem müsse, wie auch VÖZ-Präsident
Kralinger angedeutet hat, bei der politischen Bildung und der Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen angesetzt
werden. Der Ausweg könne nur sein, den Qualitäts- und Funktionsunterschied zwischen professionellen und
nicht professionellen Medien noch stärker aufzuzeigen, sagte Donsbach.
Wenn Medien für Medien Themen setzen
Die Geschäftsführerin der APA-MediaWatch Julia Wippersberg präsentierte eine Studie, ob und wie
heimische Medien Themen für die Berichterstattung in anderen Medien bereitstellen. Untersucht wurde im Zeitraum
von zwei Monaten im ersten Halbjahr 2014, welche und wie viele neue Themen, sogenannte genuine Inhalte, die nicht
einfach von anderen Quellen oder Nachrichtenagenturen übernommen, sondern selbst produziert oder recherchiert
wurden, von Medien auf die Agenda für die Berichterstattung anderer Medien gesetzt wurden. Die untersuchten
Medien waren ausschließlich General-Interest-Medien, darunter Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Magazine,
aber auch audiovisuelle Medien mit einem Anspruch auf journalistische Universalität. In ihrer Conclusio zur
Studie zeigte Wippersberg auf, dass österreichische Medien durch ihre Eigenleistung Themen für die Medien-
und in Folge für die Publikums-Agenda bereitstellen und damit zum Public Value, dem sogenannten öffentlichen
Mehrwert wie Wissen und Orientierung, für eine umfassend informierte und interessierte Öffentlichkeit
beitragen. In Auftrag gegeben wurde die Studie vom VÖZ.
An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen VÖZ-Präsident Thomas Kralinger, Bundesministerin
Sophie Karmasin, Wolfgang Donsbach von der Technischen Universität Dresden, der stellvertretende Chefredakteur
der Salzburger Nachrichten Andreas Koller und der Kabarettist Robert Stachel teil. Moderiert wurde die Matinee
von Ina Sabitzer.
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