Eltern verteidigen ihren Nachwuchs nicht um jeden Preis
Wien (vetmeduni) - Eltern wollen für ihre Nachkommen nur das Beste. Ob das tatsächlich immer der
Realität entspricht, haben Forschende der Vetmeduni Vienna an Blaumeisen untersucht. Sie gingen der Frage
nach, ob die Vögel wirklich alles riskieren, um ihre Jungen vor Feinden zu schützen. Das Resultat: Eltern
wägen ab. Nicht nur das Risiko für die Jungen, sondern auch das eigene Risiko spielen für die Eltern
bei der Nestverteidigung eine Rolle. Die Ergebnisse sind im "Journal Proceedings of the Royal Society B"
veröffentlicht.
Wie sehr sich Eltern für ihren Nachwuchs aufopfern, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine zentrale
Rolle spielt dabei die Gefahr, die für Junge und Eltern von sogenannten Nesträubern ausgeht. Auch der
Geburtszeitpunkt der Nachkommen spielt eine Rolle.
Man weiß aus früheren Studien, dass spät in der Saison geborene Vögel von ihren Eltern eher
geschützt werden, da die Eltern oft keine Möglichkeit haben, sich ein weiteres Mal fortzupflanzen. Außerdem
werden ältere Küken tendenziell eher beschützt als jüngere, da bereits viel mehr elterliche
Fürsorge und Energie in sie investiert wurde.
„Es gibt bereits einige Studien zum Risikoverhalten bei Vögeln, jedoch kaum welche in denen man mehrere Faktoren
gleichzeitig in einem Experiment untersucht hat. Wir zeigen erstmals, wie Eltern unterschiedlich alter Küken
reagieren, wenn sie mehr oder weniger gefährlichen Feinden ausgesetzt sind“, erklärt die Erstautorin
Katharina Mahr.
Risikoforschung mit Hilfe von Räubermodellen
Gemeinsam mit Studienleiter Herbert Hoi vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung untersuchte
Mahr das Verteidigungsverhalten von Blaumeiseneltern.
Die Forschenden beobachteten Blaumeiseneltern und ihre fünf bis zwölf Tage alten Küken. Die Vogeleltern
wurden mit unterschiedlich gefährlichen Räubern konfrontiert. Ein ausgestopfter Sperber stellte einen
Räuber dar, der in erster Linie für die Eltern gefährlich ist. Für die ganz jungen Blaumeisen
ist der Sperber ungefährlich, da er nicht in die Nistkästen hineingelangt. Mit zunehmendem Alter der
Jungvögel wird der Sperber jedoch immer mehr zur Gefahr. Eine Schlangenattrappe diente den Forschenden als
Dummie für einen mittelmäßig gefährlichen Räuber. Schlangen sind für die Jungen
gefährlich, aufgrund ihrer geringen Mobilität stellen sie für die Eltern ein geringes Risiko dar.
Ein ausgestopfter Specht repräsentierte den dritten Räuber. Spechte haben es lediglich auf Nistkästen
abgesehen und stellen deshalb für frisch geschlüpfte Vögel die größte Gefahr dar. Für
fast ausgewachsene Junge ist der Specht nicht mehr gefährlich.
Die Forschenden stellten die Räubermodelle in der Nähe der Nistkästen auf und warteten auf die Reaktion
der Eltern. Es zeigte sich, dass Elterntiere auf die Schlange mit Angriffen reagierten. Gezielte Attacken auf den
Räuber sind laut Mahr das riskanteste Verhalten, das Vogeleltern bei der Verteidigung zeigen. Weder den Sperber,
noch den Specht griffen die Eltern an. Selbst eine Annäherung an diese Räuber vermieden die Vögel.
Dennoch reagierten die Tiere mit lauten Alarmrufen auf die Situation. „Einen Sperber anzugreifen stellt für
eine Blaumeise eine konkrete Lebensgefahr dar“, betont Mahr. „Deshalb reagieren die Meisen wahrscheinlich nicht
mit dem hoch riskanten Angriff. Einer Schlange gegenüber nützt wiederum das akustische Signal nichts,
weil sie es nicht wahrnimmt. Diese Räuber sind jedoch weniger mobil und eine gezielte Attacke stellt ein geringeres
Risiko für das Elterntier dar. Deshalb ist hier der Angriff die beste Wahl.“
Blaumeisen bewahren kühlen Kopf
„Die Verteidigung der Brut geschieht offenbar nicht unüberlegt, sondern unterliegt einer Kaskade von Entscheidungen“,
meint Mahr. Das Alter der Jungtiere spielte nur bei weniger riskanten Verteidigungsstrategien eine Rolle. Eltern
warnen ihre zwölf Tage alten Küken häufiger mit Alarmrufen, als ihre fünf Tage alten Nachkommen.
Die meisten Jungvögel sind extrem abhängig von ihren Eltern. Daraus ergibt sich ein weiterer Grund dafür,
wieso Vogelmütter und -väter älteren Nachwuchs stärker verteidigen. Mahr: „Eltern gehen nur
dann ein Risiko ein, wenn die Nachkommen im Ernstfall auch ohne sie durchkommen könnten. Sonst macht die Opferbereitschaft
keinen Sinn.“
„Unsere Studien liefern auch Hinweise darauf, wie unsere menschlichen Reaktionen zustande kommen. Wir reagieren
auch hin und wieder unüberlegt und dennoch scheinen unsere unbewussten Entscheidungen nicht immer die schlechtesten
zu sein“, meint Mahr. „Mit Verhaltensstudien an Tieren nähern wir uns auch diesen Fragen an“.
In Zukunft möchten Mahr und Hoi herausfiltern, welche Unterschiede es zwischen mütterlichem und väterlichem
Verhalten gibt. Die Daten liegen schon vor und müssen noch ausgewertet werden.
Die Studie basiert auf Vorversuchen von Julia Thoma, die im Rahmen ihrer vorwissenschaftlichen Arbeit im Projekt
Sparkling Science die ersten Daten für dieses Projekt lieferte.
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