Kapsch:
Brauchen beste Bildung und "Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze"
IV-Präsident fordert in ORF-"Pressestunde" dringend Strukturreformen und
Entlastung aller ein - "Werden Widerstand gegen Vermögensteuern sicher nicht aufgeben"
Wien (pdi) - Für dringende Strukturreformen und eine echte und nachhaltige Entlastung aller Menschen
und Unternehmen in Österreich sprach sich der Präsident der Industriellenvereinigung (IV), Mag. Georg
Kapsch, am 23.11. in der ORF-"Pressestunde" aus. Zur Frage der von der Bundesregierung geplanten Steuerreform
sagte Kapsch, das 15-Milliarden-Entlastungskonzept der IV sei langfristig zu sehen - die fünf Milliarden der
Bundesregierung seien auf der kurzen Zeitachse. "Viele Maßnahmen, vor allem auf Ausgabenseite, gehen
nicht kurzfristig. Daher ist es wichtig, jetzt über ein Gesamtkonzept die Entlastung festzuschreiben und diese
dann abzuarbeiten. Wir wollen zwei Drittel als Entlastung der Tarife, ein Drittel als Entlastung bei den Arbeitszusatzkosten.
Die geplanten fünf Milliarden sind besser als gar nichts, aber es ist noch zu wenig Mut drinnen. Und vom ÖGB
weiß man ja im Detail nicht, wie seine Vorschläge gegenfinanziert werden sollen. Eine reine Tarifsenkung
reicht jedenfalls nicht", betonte Kapsch. Die Gegenfinanzierung der Industrie gehe primär von der Ausgabenseite
aus: "Unsere Abgabenquote ist heute schon weltweit einsame Spitze, wir können sie nicht mehr erhöhen,
hier geht nichts mehr."
"Erbschafts- und Schenkungssteuer kommt für uns nicht in Frage"
Zur Frage von Vermögensteuern betonte Kapsch, "wir werden den Widerstand hier sicher nicht aufgeben.
Die Vermögensteuer ist ein Instrument, das Arbeitsplätze kostet." Die Frage sei überdies in
Zusammenhang mit den in Österreich extrem hohen Lohn- und Einkommensteuern zu betrachten. Überdies gebe
es nur noch in Frankreich klassische Vermögensteuern. "Eine Erbschafts- und Schenkungssteuer kommt für
uns nicht in Frage. Bei einer Erbschaftssteuer hätten wir ein niedriges Volumen und hohe Kosten bei der Einhebung,
es bleiben vielleicht 30 bis 40 Millionen. Damit werde ich niemals ein Budget sanieren oder eine Steuerentlastung
zustande bringen. Wenn man es ideologisch sieht - fair enough. Aber sie bringt nichts. Wenn Sie nennenswerte Volumen
wollen, müssen Sie tief in die Mittelschicht gehen und Unternehmen belasten. Dann werden Sie aber noch mehr
Unternehmen in Stiftungen haben oder diese an sogenannte 'Heuschrecken' verkaufen müssen. Das wollen wir nicht",
unterstrich der IV-Präsident. Wenn die ÖVP bei dieser Frage umfalle, vergräme sie ihre Kernschichten
und die Industrie. Bei der Grundsteuer sei als möglicher Teil einer Gegenfinanzierung dann das ganze System
zu ändern: "Wir dürfen nicht bloß an Einheitswerten drehen und müssen auf die Nutzungsarten
abzielen." Ein höheres Budgetdefizit für eine Steuerreform "kommt absolut nicht in Frage. Wir
haben heute bereits eine implizite Staatsverschuldung von 280 Prozent des BIP", so der IV-Präsident.
Bildung: "Wollen völlig neues System aufbauen"
Zum neuen Bildungskonzept der IV betonte Kapsch, "wir brauchen die beste Bildung. Wir wollen ein völlig
neues System aufbauen und gehen von Bildungszielen aus, mit einem dreistufigen Modell innerhalb der Pflichtschulen.
Wir konzentrieren uns jetzt auf die Pflichtschulen, denn dies ist der Bereich, wo wir die größten Probleme
haben. Und wir wollen den Übergang von der Elementarpädagogik auf die Schule und von der 4. auf die 5.
Schulstufe erleichtern. Das wird rund zwei Legislaturperioden dauern. Unser Vorbild ist Holland - unser Konzept
liegt sehr nahe am niederländischen Modell. Es ist eine Bildungsrevolution erforderlich", betonte der
IV-Präsident.
Kapsch stellte klar, "die Schule beginnt mit sechs Jahren wie bisher - wir möchten ein verpflichtendes
Kindergartenjahr und ein Schulstartjahr, um den Übergang zwischen Kindergarten und Schule zu erleichtern."
Es bedürfe hier einer engeren Abstimmung. Das neue System lasse sich gut finanzieren und natürlich wäre
auch die Schulverwaltung zu entlasten. "Unser Bildungskonzept ist nicht nur von uns selbst entwickelt worden.
Wir sehen uns internationale Best-Practice-Beispiele an und haben mit vielen nationalen und internationalen Fachleuten
gesprochen. Es sollten alle Bildungsagenden auf Bundesebene sein", so der IV-Präsident. Derzeit habe
man Unzufriedenheit über das Bildungssystem "bei allen. Es gibt extrem viele engagierte Pädagoginnen
und Pädagogen, die wir unterstützen wollen, denn sie werden die Zukunft mitgestalten."
"Unser Konzept will Bildungsziele und Bildungspflicht im Gegensatz zur derzeitigen Unterrichtspflicht. Wir
sprechen von einer gemeinsamen Schule der 6- bis 14-jährigen. Die Schule soll in sich differenziert sein und
wegen schlechter Leistungen in einem Fachs soll man nicht ein ganzes Jahr verlieren. Gymnasien wären prädestiniert
dafür, Basis dieser neuen Schule zu sein", betonte Kapsch. Seit 1848 werde über dieses Thema diskutiert
und es gebe gute Gespräche mit allen, auch einige ÖVP-Landeshauptleute stünden hinter dem Konzept.
"Es muss einen Schulabschluss geben, es braucht eine mittlere Reifeprüfung, denn die Arbeitslosigkeit
ist bei jenen am höchsten, die keinen Abschluss haben. Es bedarf Noten und parallel dazu einer qualitativen
Beurteilung - somit einer Mischung, keiner Abschaffung. Jede Stufe des Bildungswesens sollte mit einer Prüfung
beendet werden. Verhindern müssen wir eine Zweiklassengesellschaft im Bildungswesen - unser Ziel heißt
Regelschulwesen. Wir stellen alle Schulen auf die gleiche Basis - jeder kann Schulträger werden und jede Schule
hat hohe Autonomie", erklärte der IV-Präsident. Zur Lehrergewerkschaft sagte Kapsch, er sehe es
kritisch, dass zuerst über das Lehrerdienstrecht diskutiert werde. "Dieses ist an das Ziel anzupassen
und nicht umgekehrt. Die IV ist weit davon entfernt, irgendjemand 'formen' zu wollen. Wir haben unser Konzept auf
soziale Kompetenz und Teamfähigkeit angelegt. Der gesellschaftspolitische Zugang der Industriellenvereinigung
geht weit über das unmittelbare Interesse ihrer Mitglieder hinaus", so Kapsch.
"Pensionssystem in heutiger Form unfinanzierbar"
Zu dringend erforderlichen Strukturreformen sagte Kapsch, "wir fangen dort an, wo es uns selbst trifft
- etwa bei den Förderungen. Dort müssen wir rund zehn Prozent einsparen - fast zwei Milliarden. Wenn
jedes Bundesland in einem Bereich jeweils so effizient arbeitet wie das jeweils beste, wären 1,5 Prozent des
BIP zu holen, weitere vier Milliarden. Ein Beispiel: St. Pölten ist halb so groß wie Innsbruck, hat
aber doppelt so viele Gemeindebedienstete." Bis 2020 seien vier Prozent-Punkte des BIP zu lukrieren: 1,5 Prozent
des BIP bei den Pensionen, 0,5 Prozent des BIP im Bereich Gesundheitsadministration, 1,5 Prozent des BIP im Bereich
der Verwaltung, 0,5 Prozent des BIP im Bereich Förderungen und Subventionen. Zum Pensionssystem sagte Kapsch,
dieses sei "in der heutigen Form unfinanzierbar - wenn wir verantwortungsvoll agieren, dann müssen wir
heute die richtigen Maßnahmen setzen: faktisches Antrittsalter erhöhen und Anpassen an die Lebenserwartung.
Von 1970 bis heute hat sich die Pensionszeit bei Frauen verdoppelt und bei Männern fast vervierfacht. Das
funktioniert nicht und beim aktuellen Wirtschaftswachstum wird es noch viel schwieriger. Wir müssen unser
System umstellen", betonte Kapsch.
Faktor Arbeit spürbar entlasten
Zur notwendigen Arbeitszusatzkostensenkung betonte Kapsch, "wir wollen Unternehmer entlasten und Familien
nicht Geld wegnehmen. Der FLAF etwa finanziert nicht nur Familienleistungen - er hat 2012 ins Positive gedreht
und wir finanzieren daraus einen Teil der Zuschüsse zu den Pensionen. Und auch bei der AUVA werden Mittel
zweckentfremdet verwendet. Das kann doch nicht sein." Die Gruppenbesteuerung "halte ich sehr wohl für
fair. Es geht um Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze - wir sichern sie im Inland dadurch,
dass wir im Ausland stärker werden. Wir investieren und Investieren bedeutet Arbeitsplätze. Daher sollten
wir die Dinge, wegen derer Unternehmen sich in Österreich ansiedeln, nicht in Frage stellen. Das betrifft
die insbesondere die Gruppenbesteuerung und auch die Forschungsförderung", so der IV-Präsident.
Konjunktur: "vieles hausgemacht - in Bildung, Infrastruktur und F&E muss man investieren"
Die derzeitige schwache heimische Auftragslage liege an der internationalen Konjunktur, "aber auch an
Europa und Österreich. Wir haben vieles hausgemacht und können nicht alles auf die Ukraine und Syrien
schieben. Das Problem ist, dass Europa und Österreich vielfach nicht konkurrenzfähig sind: in Österreich
haben sich die Arbeitskosten seit 2008 um fast 20 Prozent erhöht - in Deutschland um zwölf. Das Tragische
ist, dass das nicht einmal bei den Menschen angekommen, sondern an den Staat geflossen ist", so Kapsch. Zu
etwaigen Konjunkturpaketen sagte er, "wesentlich ist in Europa und Österreich, wir brauchen mehr ökonomische
Freiheit für Menschen und Unternehmen. Für Pakete haben wir kein Geld mehr und sie verpuffen auch. Dann
haben wir vielleicht kurz eine Spitze, aber diese verflacht, wie in Japan, rasch. Was wir wollen, sind langfristig
wirksame Maßnahmen wie F&E sowie Investitionen in Infrastruktur. Leitbetriebe bringen überdies eine
hohe Stabilität in die Wirtschaft, zahlen bessere Gehälter und haben eine wesentlich höhere Exportquote",
betonte der IV-Präsident.
"Europa spart sich nicht zu Tode"
"Europa spart sich nicht zu Tode. Es gibt zwei große Unterschiede zwischen Europa und den USA: die
Amerikaner haben die FED und den Dollar. Die USA geben vor allem der Wirtschaft wesentlich mehr Freiheit, holen
Unternehmer und Produktion zurück, sind keine bloßen Wirtschaftsförderer. Das machen wir nicht
- und wir können das auch nicht mit Geld machen, dass müssen wir über Rahmenbedingungen tun. Das
gilt auch für das 300-Milliarden-Paket der EU. Aussitzen darf man gar nichts. Wir haben Möglichkeiten
- diese sind weniger Bürokratie, mehr Freiheit, bessere Steuer- und Abgabensituation, andere Arbeitszeitmodelle.
Dort können wir etwas tun. Aber wir müssen ehrlich sein - wir werden kurzfristig nicht allzu viel bewirken
können. Wir müssen aber jetzt Maßnahmen setzen, die langfristig wirken", betonte Kapsch. Ein
Weiterverschulden in Österreich sei nicht möglich, es gebe keinen Spielraum, so der IV-Präsident
mit Verweis auf das Vorbild Schweden - "dort hat man eine Entschuldung in 20 Jahren geschafft."
Zur Frage möglicher Kurzarbeit sagte Kapsch, "das könnte da und dort auf uns zukommen. Wir wünschen
uns hier etwas mehr Flexibilität, als wir es beim letzten Mal hatten." Zu den Überlegungen von Vizekanzler
Reinhold Mitterlehner, Zumutbarkeitsgrenzen am Arbeitsmarkt zu ändern, zeigte sich Kapsch "grundsätzlich
positiv". Bei Qualifikation sowie Anfahrtszeiten seien Änderungen zu überlegen - " es gibt
Länder, in den dies durchaus möglich ist." Für die IV gelte, "dass wir mit politischen
Parteien im Gespräch, aber keiner politischen Richtung zuzuordnen sind - sonst verlieren wir unseren Spielraum.
Wir haben ein solides Verhältnis zu beiden Regierungsparteien und sind äquidistant zu den politischen
Parteien. Ein Grundproblem des Landes sei, "dass man alles vorher zu Tode abstimmt. Wir hingegen nehmen nicht
auf alles Rücksicht, auch nicht auf Wahlen. Wenn es Kritiker gibt, dann gibt es eben Kritiker."
ÖIAG: "Wollen nicht, dass Repolitisierung stattfindet"
Zur ÖIAG betonte der IV-Präsident, "die Industriellenvereinigung hat mit der Besetzung von Posten
in der ÖIAG nichts zu tun. Ich habe hier meine Finger niemals drinnen gehabt." Zur Frage der Entpolitisierung
sagte Kapsch, er habe gewisses Verständnis dafür, dass der Eigentümer Einfluss auf seine Unternehmen
nehmen wolle. "Wir wollen aber jedenfalls nicht, dass eine Repolitisierung stattfindet. Wir wollen nicht,
dass dort Vertreter von Kammern und Verbänden sitzen - das gilt auch für die IV."
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