VfGH-RichterInnen müssen Nebentätigkeiten offenlegen
Wien (pk) - Mit einem aus rechtspolitischer Sicht bedeutsamen Beschluss startete der Nationalrat am 19.11.
in den Sitzungstag. Die Abgeordneten stimmten einhellig dem für die einfachgesetzliche Verankerung der "Gesetzesbeschwerde"
notwendigen Ausführungsgesetz zu. Damit sind alle rechtlichen Voraussetzungen für eine direkte Anrufung
des Verfassungsgerichtshofs durch Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren ab dem kommenden Jahr gegeben,
wenn diese die Auffassung vertreten, dass ein erstinstanzliches Gerichtsurteil auf Basis eines verfassungswidrigen
Gesetzes bzw. einer gesetzeswidrigen Verordnung erfolgte. In einzelnen Detailpunkten wurde der von der Regierung
vorgelegte Gesetzentwurf zwar noch abgeändert, an den wesentlichen Bestimmungen änderte sich allerdings
nichts.
Ergänzt wurde der Gesetzentwurf heute noch um Bestimmungen über die Offenlegung von Nebentätigkeiten
der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs (VfGH). So müssen die VfGH-RichterInnen künftig verpflichtend
sämtliche beruflichen Tätigkeiten sowie Aufsichtsratsmandate und leitende Funktionen in einer Aktiengesellschaft,
einer GmBH, einer Genossenschaft, einer Stiftung oder einer Sparkasse bekannt geben. Außerdem wird gesetzlich
normiert, dass VerfassungsrichterInnen nicht an Entscheidungen mitwirken dürfen, wenn die Gefahr einer Befangenheit
besteht. Damit wird nun gesetzlich festgelegt, was schon jetzt gängige Praxis im Verfassungsgerichtshof ist.
Druck gemacht in diesem Bereich hatten vor allem die Grünen, sie hätten sich auch weitergehende Offenlegungspflichten
gewünscht. Ein von ihnen eingebrachter und mit dem Gesetzentwurf mitdiskutierter Entschließungsantrag,
der unter anderem auch auf die Veröffentlichung von Gutachtertätigkeiten, Unternehmensbeteiligungen und
Publikationen von VfGH-RichterInnen abzielte, blieb allerdings in der Minderheit.
Verfassungsgerichtshofgesetz wird in mehreren Punkten adaptiert
Mit dem Ausführungsgesetz wird der so genannte "Parteienantrag auf Normenkontrolle", wie die Gesetzesbeschwerde
rechtstechnisch heißt, im Verfassungsgerichtshofgesetz, in der Zivilprozessordnung, im Außerstreitgesetz
und in der Strafprozessordnung verankert. Um den Verfassungsgerichtshof (VfGH) anrufen zu können, muss die
betroffene Verfahrenspartei zeitgerecht ein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil erhoben, also etwa Berufung
eingelegt haben. Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde, etwa im Bereich von Exekutionsverfahren oder Verfahren über
die Kündigung von Mietverträgen, sollen sicherstellen, dass der Zweck bestimmter Verfahren nicht vereitelt
wird.
Das zuständige Berufungsgericht ist an das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs gebunden. Eine Entscheidungsfrist
für den Verfassungsgerichtshof ist nicht vorgesehen, die Mitglieder des Verfassungsausschusses des Nationalrats
haben aber in einer Ausschussfeststellung ihre Erwartung bekräftigt, dass der VfGH über Parteianträge
auf Normenkontrolle rasch entscheidet. In Kraft treten soll das Ausführungsgesetz – genauso wie die bereits
beschlossenen verfassungsrechtlichen Grundlagen – am 1. Jänner 2015.
Der von allen sechs Fraktionen gemeinsam vorgelegte Abänderungsantrag enthält neben den neuen Offenlegungspflichten
für VfGH-RichterInnen auch weitere Adaptierungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes. So werden jene Bestimmungen
neu gefasst, die festlegen, in welchen Fällen der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung
Abstand nehmen kann und in welchen Fällen er in "kleiner Besetzung" – vier RichterInnen plus Präsident
– entscheiden darf. Das ist etwa dann der Fall, wenn die betroffene Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung
bereits genügend klargestellt ist. Bei den Änderungen geht es den Erläuterungen zufolge lediglich
um legistische Adaptierungen, an der geltenden Praxis soll sich nichts ändern. Zudem wird jedem Mitglied des
Verfassungsgerichtshofs ausdrücklich das Recht eingeräumt, eine für eine "kleine Besetzung"
vorgesehene Sache in die "große Besetzung" zu reklamieren.
Festgeschrieben wird darüber hinaus, dass Anträge auf Bewilligung von Verfahrenshilfe außerhalb
der Sessionen des Verfassungsgerichtshofs künftig auf Antrag des zuständigen Referenten vom Präsidenten
ab- bzw. zurückgewiesen werden können. Damit ist es in Hinkunft möglich, raschere Entscheidungen
zu treffen. Überdies wird ausdrücklich klargestellt, dass der Verfassungsgerichtshof die Zivilprozessordnung
nur sinngemäß anzuwenden hat.
Was den neuen Parteienantrag auf Normenkontrolle betrifft, müssen die Antragsteller gemäß dem Abänderungsantrag
dem Verfassungsgerichtshof präzise darlegen, warum das von ihnen beanstandete Gesetz bzw. die beanstandete
Verordnung für das Urteil maßgeblich war. Sollte das verabsäumt werden, kann die Begründung
auch nachgereicht werden. Klargestellt wird außerdem, dass auch Parteienanträgen auf Normenkontrolle
der Anwaltspflicht unterliegen.
Einhellige Zustimmung zum neuen Parteienantrag auf Normenkontrolle
Im Rahmen der Debatte erinnerte FPÖ-Abgeordneter Harald Stefan daran, dass die Einführung der Gesetzesbeschwerde
auf einen Antrag der FPÖ zurückgeht. Mit diesem Instrument wird seiner Meinung nach eine Rechtsschutzlücke
geschlossen. Dass nicht alle Details den Vorstellungen der FPÖ entsprechen, etwa was die Ausnahmebestimmungen
betrifft, ist für Stefan verschmerzbar, wesentlich sei, dass am Ende langwieriger Verhandlungen ein akzeptabler
Kompromiss gefunden wurde. Das gilt Stefan zufolge auch für die neuen Offenlegungspflichten für VerfassungsrichterInnen,
die er gerne weiter gefasst und auf andere Gerichte wie den Verwaltungsgerichtshof ausgedehnt gehabt hätte.
Seitens der Grünen wertete Abgeordnete Daniela Musiol die Einführung der Gesetzesbeschwerde als positives
Beispiel dafür, wie man Reformen im Parlament gestalten könne. Für sie sind auch die vorgesehenen
Ausnahmetatbestände nachvollziehbar. In der Praxis müsse man aber beobachten, wie die neuen Gesetzesbestimmungen
funktionieren, mahnte sie.
Besonders erfreut äußerte sich Musiol darüber, dass es im Sine der Transparenz zuletzt noch gelungen
ist, Offenlegungsbestimmungen für VfGH-RichterInnen in das Gesetzespaket einzubauen. Sie hätte sich zwar
weitere Offenlegungspflichten gewünscht, etwa was die Veröffentlichung von Gutachtertätigkeiten
oder Unternehmensbeteiligungen betrifft, meinte sie, mit der neuen Befangenheitsbestimmung habe man hier aber eine
gute Lösung gefunden.
Musiols Fraktionskollege Albert Steinhauser begrüßte es ausdrücklich, dass sich die Verfahrensparteien
bereits nach einem erstinstanzlichen Urteil an den Verfassungsgerichtshof wenden können. Damit sei ein sozial
gerechter Zugang zum VfGH gewährleistet, meinte er, schließlich könne die Durchfechtung eines Verfahrens
bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) sehr teuer sein. Zudem würde man eine Diskussion über die Frage der
Gleichwertigkeit der Höchstgerichte heraufbeschwören, würde eine Partei den VfGH erst nach einem
OGH-Urteil anrufen können. Im Blick behalten will Steinhauser, ob das neue Instrument zu erheblichen Verfahrensverzögerungen
führt.
Erfreut über die breite Zustimmung zur Gesetzesbeschwerde zeigte sich SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann.
Man habe einen tauglichen Kompromiss gefunden, hob er hervor. Was die SPÖ nicht haben hätte wollen, sei
eine Urteilsbeschwerde. Zufrieden äußerte sich Wittmann auch mit dem Abänderungsantrag, den er
namens der sechs Fraktionen einbrachte.
VfGH bekommt noch stärkere Rolle als Verfassungshüter
ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl und sein Fraktionskollege Nikolaus Berlakovich hoben vor allem die
Bedeutung des Gesetzesbeschlusses für den Rechtsschutz der ÖsterreicherInnen hervor. Gerstl sprach in
diesem Zusammenhang von einem Meilenstein. Der Verfassungsgerichtshof habe als Hüter der Verfassung künftig
eine noch stärkere Rolle, betonte er.
Zu den neuen Offenlegungspflichten für VfGH-RichterInnen merkte Gerstl an, ihm sei keine Entscheidung des
Verfassungsgerichtshofs in Erinnerung, bei der es eine Befangenheitsdiskussion gegeben hätte. Für ihn
sind die vorgesehenen Bestimmungen trotzdem "gut und richtig", damit räume man jeden Zweifel an
der Unvoreingenommenheit der RichterInnen aus.
Zustimmend zum Gesetz äußerten sich namens der Koalitionsparteien auch die Abgeordneten Johannes Jarolim
(S), Angela Lueger (S) und Elisabeth Pfurtscheller (V). Den Weg zum Verfassungsgerichtshof bereits nach einem erstinstanzlichen
Urteil zu öffnen, ist für Jarolim der richtige Weg, es wäre seiner Ansicht nach nicht gut gewesen,
hätten Verfahrensparteien die Möglichkeit erhalten, ein bereits rechtskräftiges Urteil neuerlich
aufzurollen. Abgeordnete Lueger fürchtet nicht, dass das neue Recht missbraucht werden kann, man habe im Gesetz
entsprechende Vorkehrungen getroffen. Abgeordnete Pfurtscheller wies darauf hin, dass die Gesetzesbeschwerde den
Aufwand beim Verfassungsgerichtshof erhöhen wird, das ist für sie im Sinne der Rechtsstaatlichkeit, des
Rechtsschutzes und der Bürgernähe aber gerechtfertigt.
Unterstützt wurde die vorliegende Gesetzesnovelle auch vom Team Stronach und von den NEOS. Mit der Einführung
der Gesetzesbeschwerde werde der Rechtsschutz maßgeblich verbessert, hob etwa NEOS-Abgeordneter Nikolaus
Scherak hervor. Was die Verfahrenssystematik betrifft, schloss sich Scherak den Ausführungen von Abgeordnetem
Steinhauser an, auch er findet es gut, dass die Gesetzesbeschwerde bereits nach einem erstinstanzlichen Urteil
eingebracht werden kann. Bei der Frage der Offenlegungspflichten für VfGH-Mitglieder gehe es um notwendige
Transparenz, sagte Scherak, in keiner Weise wolle man damit Misstrauen gegenüber dem Verfassungsgerichtshof
ausdrücken.
Ein gewisses Verständnis für Kritik am Ausnahmekatalog äußerte Abgeordneter Georg Vetter (T).
Es sei in diesem Fall aber nicht möglich, etwas richtig oder falsch zu machen, meinte er, man habe einen Kompromiss
finden müssen. Das sei gelungen. Auch bei den Offenlegungspflichten für VfGH-Mitglieder beschreite man
einen ausgewogenen Mittelweg zwischen Transparenz und Intimität. Insgesamt erachtet es Vetter für positiv,
dass VerfassungsrichterInnen neben ihrer Tätigkeit am Verfassungsgerichthof auch eine weitere Berufstätigkeit
ausüben dürfen.
Kanzleramtsminister Josef Ostermayer unterstrich, dass die Einführung der Gesetzesbeschwerde der letzte Baustein
beim Ausbau der Rechtsstaatlichkeit und des Rechtsschutzes in Österreich sei, nachdem zuvor bereits die Verwaltungsgerichtsbarkeit
auf neue Beine gestellt wurde. Er glaubt nicht, dass man mit dem neuen Rechtsschutzinstrument vorwiegend Querulanten
Tür und Tor öffnet.
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