Nationalratspräsidentin eröffnet Jubiläumsfeier im Parlament zu 20 Jahre EU-Beitrittsbeschluss
Wien (pk) - "Vor 20 Jahren wurde hier im Hohen Haus große österreichische und zugleich europäische
Geschichte geschrieben", betonte Nationalratspräsidentin Doris Bures am 18.11. anlässlich der Jubiläumsfeier
im Parlament zum EU-Beitrittsbeschluss von 1994. Eine breite Mehrheit von 141 Abgeordneten habe damals Ja zum Beitritt
in die Europäische Gemeinschaft gesagt. Wenige Monate zuvor, am 12. Juni 1994, waren die Österreicherinnen
und Österreicher direkt am Wort erinnerte Bures und unterstrich, die Volksabstimmung hatte eine Zwei-Drittel
Mehrheit für Europa zum Ergebnis – und sei Anlass für Freude und Erleichterung in breiten Teilen der
Republik gewesen.
Diese klaren Voten markieren den Beginn der österreichischen EU-Mitgliedschaft, resümierte Bures, und
bildeten zugleich den Abschluss intensiver Auseinandersetzungen und Debatten im Vorfeld. Über viele Monate
seien Vor- und Nachteile, Chancen und Risiken des EU-Beitritts leidenschaftlich, heftig, ohne thematische Schranken
- ernsthaft und manchmal auch weniger ernsthaft diskutiert worden. "Alle Aspekte der europäischen Integration
wurden beleuchtet, Hoffnungen formuliert, Ängste ausgesprochen und entkräftet." Debattenthemen waren
der Präsidentin zufolge die Chancen des freien Warenverkehrs ebenso wie sozialpolitische Fragen, Konsumentenschutz
und Umweltpolitik. Im Blickpunkt seien auch sicherheitspolitische Fragen und Auswirkungen auf die österreichische
Souveränität und Identität gestanden. "Am Ende all dieser Debatten stand ein klares JA zu Europa!",
unterstrich Bures.
Zweifelsohne, hielt die Präsidentin fest, gehört der EU-Beitritt zu den wichtigsten und weitreichendsten
Entscheidungen der Zweiten Republik. "Die Entscheidung für ein gemeinsames Europa war auch eine Entscheidung
für ein friedliches, weltoffenes und modernes Österreich!" Viele VisionärInnen, die Europa
als Chance begriffen, hätten maßgeblich zum EU-Beitritt Österreichs beigetragen, so Bures und sie
würdigte dabei besonders den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky, Vizekanzler a.D. Erhard Busek, den früheren
Außenminister Alois Mock sowie Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer. Sie alle hätten ihre proeuropäische
Überzeugungsarbeit in den Mittelpunkt ihres politischen Handelns gestellt.
Inzwischen sind 20 Jahre vergangen, zwei Jahrzehnte, in denen die europäische Integration weiter vorangetrieben
wurde, zog Bures Bilanz. Gemeinsam mit Finnland und Schweden ist Österreich einer Gemeinschaft von damals
12 Staaten beigetreten - heute zählt die Union 28 Mitglieder. Für Bures zeigt dies, dass die EU kein
statisches Gebilde, sondern stets in dynamischer Entwicklung begriffen ist.
In Folge der Finanzkrise stehe Europa heute vor einer großen Bewährungsprobe: Steigende Arbeitslosigkeit
und soziales Ungleichgewicht lassen Bürgerinnen und Bürger an Europa zweifeln, gab die Präsidentin
zu bedenken. Überwunden geglaubte Nationalismen würden wieder erstarken. "Die Antwort kann nur ein
starkes Europa sein. Ein Europa, das neben einer Wirtschafts- und Währungsunion auch eine Sozial- und Werteunion
ist." Bures sieht hier ganz besonders die Politik gefragt und präzisierte, die Herausforderung bestehe
darin, die Europäische Union in die Nähe der Bevölkerung zu holen und greifbar zu machen. "Noch
allzu oft ist die EU in unseren Köpfen ein Ort im Nirgendwo, ein Ort, an dem Ängste und Sorgen abgeladen
werden." Um dem entgegenzuwirken, seien die Parlamente zu stärken, woraus sich mehr Mitsprache, größere
Transparenz und Nachvollziehbarkeit und damit ein Mehr an demokratischer Legitimation ergebe.
Im österreichischen Parlament seien die Mitwirkungsrechte in EU-Fragen bereits fest verankert, etwa die Möglichkeit,
Regierungsmitglieder im Rat an eine im Nationalrat festgelegte Position zu binden. Diesen bereits eingeschlagenen
Weg zur Stärkung des Parlamentarismus müsse man fortzusetzen.
Außerdem sei das Europabewusstsein zu stärken, so Bures weiter, die PolitikerInnen sollten Debatten
über europäische Angelegenheiten in das österreichische Parlament tragen. Dazu gebe es schon Initiativen,
beispielsweise ein Rederecht für Europa-Abgeordnete im österreichischen Nationalrat. Im Sinne von mehr
Akzeptanz von Europa sei zudem eine sinnvolle Balance und das richtige Augenmaß gefragt, wenn es um die Frage
geht, was Angelegenheit der EU ist und was im Entscheidungsbereich der Nationalstaaten geregelt wird.
"Ein starker Parlamentarismus ist beides: Treibende Kraft für den europäischen Integrationsprozess
und zugleich Garant für die demokratische Legitimation der EU", schloss Bures und sie verlieh ihrer Überzeugung
Ausdruck, dass der Weg aus der Krise und die Vermeidung künftiger Krisen ähnlichen Ausmaßes durch
ein gestärktes Europa führt. "Deshalb sind wir auch heute gefordert, Europa in Köpfen und Herzen
seiner Bürgerinnen und Bürger zu verankern!"
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Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner trafen dabei auf ihre Pendants aus der Zeit
der Beitrittsverhandlungen, Franz Vranitzky und Erhard Busek. Übereinstimmung besteht unter den Regierungsspitzen
von heute und damals, nur wenn die Mitgliedsländer der Europäischen Union sich als echte Gemeinschaft
begreifen, geht die EU in eine sichere Zukunft.
Bures: Europabewusstsein in der Bevölkerung stärken
"Die Entscheidung für ein gemeinsames Europa war auch eine Entscheidung für ein friedliches, weltoffenes
und modernes Österreich", betonte Präsidentin Bures bei der Begrüßung. Um wachsender
EU-Skepsis in der Bevölkerung und einem Erstarken des Nationalismus beizukommen, müssten die PolitikerInnen
allerdings das Europabewusstsein fördern und die Europäische Union greifbar machen. Bures nannte hier
die vermehrte Einbindung der Parlamente in EU-Fragen als wichtigen Faktor, weil dadurch die Union eine stärkere
demokratische Legitimation erfahre. (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1079)
Ihr Ja zum EU-Beitrittsvertrag, der die Grundlage für Österreichs Eintritt in die Europäischen Union
1995 bildete, gaben am 11. November 1994 bei der Plenarsitzung 141 der 181 anwesenden Nationalratsabgeordneten.
Knapp eine Woche später trug auch der Großteil des Bundesrats diese Entscheidung mit. Der politischen
Entscheidung vorangegangen war eine Volksabstimmung über das Bundesverfassungsgesetz, das den EU-Beitritt
ermöglichte: von allen damaligen Kandidatenländern wies Österreich mit 66,6% bei dieser Volksabstimmung
den höchsten Zustimmungsgrad unter den wahlberechtigten BürgerInnen auf. "Europa, das sind wir",
sagte heute auch Bundesratspräsidentin Blatnik. In ihren Augen muss ein gemeinsames Europa aber auf sozialer
Gerechtigkeit basieren, es dürfe nicht durch ungleiche Vermögensverteilung in den Grundfesten erschüttert
werden.
Tatsächlich sei das Projekt eines gemeinsamen Europas zur nachhaltigen Friedenssicherung angesichts der globalen
Finanz- und Wirtschaftskrise in den Hintergrund gerückt, gab Zweiter Präsident Kopf zu bedenken. Ungeachtet
dessen hätte Österreich außerhalb der EU die Krise viel schwerer zu meistern gehabt, daher sei
der europäische Gedanke auch in seiner ökonomischen Dimension viel mehr zu stärken.
Gemeinschaftsdenken als Basis für Zukunft der Europäischen Union
Der große Wert eines gemeinsamen Europas sei noch besser zu vermitteln, war auch der Tenor in der Diskussion
zur steigenden EU-Verdrossenheit vieler UnionsbürgerInnen. Alt-Bundeskanzler Vranitzky und sein damaliger
Vizekanzler Busek sehen hier vor allem die nationale Politik gefordert, ein neues Europagefühl in den Mitgliedsstaaten
zu wecken. Denn Österreich beispielsweise habe von der Mitgliedschaft enorm profitiert, etwa durch Förderungen
in der Regionalpolitik, unterstrich Busek. Vranitzky ergänzte, um gerade in Krisenzeiten deutlichen Zuspruch
in der Bevölkerung zu erlangen, müsse die Europäische Union verstärkt auch soziale Themen auf
ihre Agenda nehmen.
Entscheidend sei eine faire Gestaltung der sozialen Verhältnisse in Europa, bekräftigte Bundeskanzler
Faymann, nur so könne man den gesellschaftlichen Frieden sichern. Die besten Lösungen für die soziale
Problematik biete wiederum der Binnenmarkt, bemerkte Vizekanzler Mitterlehner, wobei er dafür plädierte,
die EU-Politik insgesamt bürgernäher zu machen.
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