Mobilität der Bakterien als Angriffspunkt zur Krankheitsbekämpfung
Wien (vermed uni) - Sich zu bewegen, hilft vielen Bakterien, in bestimmte Nischen zu gelangen oder sich
aus feindlichen Umgebungen zurückzuziehen. Das Bakterium Mycoplasma gallisepticum, ein Krankheitserreger bei
Geflügel, kann auf glatten Oberflächen gleiten. WissenschafterInnen der Vetmeduni Vienna fanden nun heraus,
welche Proteine für diesen Gleitmechanismus verantwortlich sind. Das Gleiten zu unterbinden, könnte die
Bakterien weniger infektiös machen, aber auch helfen, einen Impfstoff gegen den Erreger zu entwickeln. Die
Ergebnisse wurden im Fachmagazin Veterinary Research veröffentlicht.
Mycoplasma gallisepticum verursacht chronische Erkrankungen der Atemwege bei Vögeln. Vor allem Hühner-
und Putenherden sind von der Tierseuche betroffen. Besonders in Kombination mit weiteren Infektionen ist der Keim
lebensbedrohlich für die Tiere. EU-weit müssen Geflügelzuchtbetriebe nachweislich frei von Mycoplasma
gallisepticum sein, da sonst die Schließung droht.
Mycoplasma gallisepticum ist mit dem Humankeim Mycoplasma pneumoniae verwandt, der bei Menschen Bronchitis und
Lungenentzündungen verursacht. Mycoplasmen gehören zu den kleinsten Mikroorganismen überhaupt. In
der Fachwelt spricht man sogar von degenerierten Bakterien, da sie einen Großteil ihres Erbmaterials im Laufe
der Evolution über Bord geworfen haben und somit das kleinste bakterielle Genom besitzen. Gerade das aber
macht sie zu effizient angepassten Krankheitserregern bei Mensch und Tier.
Mindestens drei Proteine für Gleitmechanismus verantwortlich
Dass M. gallisepticum gleitet, ist seit den 1960er-Jahren bekannt. Wie der Mechanismus aber genau funktioniert
und welche Proteine das Gleiten ermöglichen, war bislang unklar. Erstautorin Ivana Indikova und Studienleiter
Michael Szostak vom Institut für Mikrobiologie der Vetmeduni Vienna haben nun herausgefunden, dass die Proteine
GapA, CrmA und Mgc2 das Bakterium bewegen. „Fehlt dem Bakterium eines dieser drei Proteine, kann es sich nicht
mehr eigenständig bewegen. Uns interessiert, ob unbewegliche Mycoplasmen weniger infektiös sind. Wäre
das der Fall, könnten wir gezielt Mobilitätsgene ausschalten und so den Keim ungefährlich machen“,
erklärt Szostak.
Die Gleitfähigkeit könnte sogar dazu beitragen, dass Mycoplasmen in Körperzellen eindringen und
sie durchqueren können. Damit würden sie sich einerseits vor dem Immunsystem in Sicherheit bringen und
andererseits die Infektion effizient über den Wirtskörper ausbreiten.
Auch die Entwicklung eines Impfstoffes schwebt den ExpertInnen vor. „Eine unbeweglicher und nicht krankmachender
Keim könnte Basis für einen neuen Impfstoff sein, den das Immunsystem zwar erkennt und bekämpft,
der aber keine Krankheit im Organismus verursacht“, erklärt Szostak.
Bewegen sich gleitende Mycoplasmen gegen den Strom?
Die Fähigkeit sich zu bewegen, bringt den Erregern also gewisse Vorteile. Auf welche Reize M. gallisepticum
beim Gleiten reagiert, ist aber noch unbekannt. Szostak vermutet: „Die meisten Mycoplasmen können nicht gleiten.
Die gleitenden Arten wurden bisher nur im Atemtrakt und Genitaltrakt nachgewiesen. Also überall dort, wo es
einen gerichteten Schleimfluss gibt. Wir glauben, dass die gleitenden Bakterien sich möglicherweise gegen
diesen Strom bewegen, um tieferliegende Körperregionen zu erreichen. Wir planen gerade weitere Experimente,
um dieser Frage nachzugehen.“
Über die Veterinärmedizinische Universität Wien
Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) ist eine der führenden veterinärmedizinischen,
akademischen Bildungs- und Forschungsstätten Europas. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Forschungsbereichen Tiergesundheit,
Lebensmittelsicherheit, Tierhaltung und Tierschutz sowie den biomedizinischen Grundlagen. Die Vetmeduni Vienna
beschäftigt 1.300 MitarbeiterInnen und bildet zurzeit 2.300 Studierende aus. Der Campus in Wien Floridsdorf
verfügt über fünf Universitätskliniken und zahlreiche Forschungseinrichtungen. Zwei Forschungsinstitute
am Wiener Wilhelminenberg sowie ein Lehr- und Forschungsgut in Niederösterreich gehören ebenfalls zur
Vetmeduni Vienna. Im Jahr 2015 feiert die Vetmeduni Vienna ihr 250-jähriges Bestehen.
Der Artikel „First identification of proteins involved in motility of Mycoplasma
gallisepticum” von Ivana Indikova, Martin Vronka and Michael P. Szostak wurde im Journal Veterinary Research veröffentlicht.
DOI: 10.1186/s13567-014-0099-2 http://www.veterinaryresearch.org/content/45/1/99
|