Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" berät Finanzierung eines
ausreichenden Angebots und Grundfrage der Selbstbestimmung
Wien (pk) – "Niemand soll am Ende seines Lebens allein gelassen werden". Dieser Grundsatz durchzog
auch die zweite öffentliche Sitzung der Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens". Die
Diskussion am 07.11. hatte einen breiten Konsens darüber ergeben, dass die Hospiz- und Palliativversorgung
für alle verfügbar sein muss, erinnerte eingangs die Vorsitzende der Kommission Gertrude Aubauer (V).
Heute gehe es darum, wie man dieses Erfordernis umsetzen kann.
In diesem Sinne war die Enquete-Kommission am 25.11.in 3 Themenblöcke aufgeteilt, wobei sich der erste dem
Status quo der Hospiz- und Palliativversorgung und einer Bedarfsanalyse widmete. Des Weiteren sollten die Erfordernisse
in Ausbildung und Praxis konkretisiert werden. Schließlich wurde das Thema "Begleitung zu Hause"
näher erörtert.
Alle waren sich einig, dass es weder vom finanziellen Hintergrund noch vom Wohnort abhängen darf, wie man
das Ende seines Lebens verbringt und versorgt wird. Die zentrale Frage liegt bei der Finanzierung, vor allem im
Hinblick auf Budgetkonsolidierung und die Kompetenzlage sowohl zwischen Bund und Ländern als auch zwischen
Sozialministerium und Gesundheitsresort. Auch herrschte völlige Übereinstimmung in der prinzipiellen
Frage, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen unantastbar ist, auch am Ende des Lebens. Wie weit diese Selbstbestimmung
am Ende des Lebens aber gehen kann, das bedarf noch eingehender Erörterung, wie aus den Wortmeldungen deutlich
wurde. Jedenfalls habe die Enquete-Kommission die zentrale Aufgabe, diese beiden Punkte einer Klärung zuzuführen,
so der allgemeine Tenor.
Hospiz- und Palliativversorgung finanziell schlecht abgesichert
In seiner Analyse über den Status quo der Hospiz- und Palliativversorgung ortete Karl Bitschnau, Vizepräsident
des Dachverbands Hospiz Österreich, einen " Fleckerlteppich". Von sechs Bausteinen in diesem Bereich
sei nur einer durch eine Regelfinanzierung abgesichert, schilderte Bitschnau die prekäre Situation. So werde
der Finanzbedarf für die 156 ehrenamtlichen Teams zum großen Teil durch Spenden abgedeckt, man brauche
aber mehr Mittel. Auf den 36 Palliativstationen mit 307 Betten fehlen 129 Betten. Bei den 44 mobilen Palliativteams
gibt es einen zusätzlichen Bedarf von 18 solcher Teams, außerdem leben diese in großer finanzieller
Unsicherheit. Die 87 Hospizbetten decken laut Bitschnau nur 1/3 des geschätzten Bedarfs ab. Zusätzlichen
Bedarf gibt es zudem bei der Tageshospiz. Bitschnau machte auch eingehend darauf aufmerksam, dass man in der Hospiz-
und Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche sowie für junge Erwachsene erst am Anfang stehe, auch
hier fehle es an der Finanzierung. Dem schlossen sich auch die Abgeordneten Gerald Loacker (N) und Katharina Kucharowits
(S) an. Als positive Entwicklung bewertete Bitschnau die Tatsache, dass Palliativ- und Hospiz-Care in den regulären
Pflegeeinrichtungen angekommen ist.
Forderung nach einem konkreten Stufenplan
Aufgrund dieser Situation forderte Bitschnau nachdrücklich die Ausarbeitung eines Stufenplans bis zum Jahr
2015, um spätestens 2020 Palliativ- und Hospizangebote für alle Menschen, die dieses Angebot brauchen,
erreichbar, leistbar und zugänglich zu machen. Dieser Plan sollte noch vor dem Sommer des nächsten Jahres
dem Parlament vorgelegt und die Umsetzung durch jährliche Berichterstattung überprüft werden, so
der Vorschlag des Experten. Das setze auch eine rasche und verbindliche Klärung der Finanzierung sowie der
Frage voraus, welche Versorgung durch die Sozialversicherung geleistet werden soll.
Palliativmedizinischen Zusatzausbildung von Ärztinnen und Ärzte
Aus der Praxis sprach auch der Palliativmediziner vom AKH Wien Herbert Watzke. Eine Studie habe eindeutig ergeben,
dass palliativmedizinische Betreuung die Lebensqualität der Betroffenen signifikant verbessere, diese weniger
depressiv seien und auch wesentlich seltener auf Intensivstationen stürben. Watzke sprach sich daher für
die Schaffung einer speziellen palliativmedizinischen Zusatzausbildung von Ärztinnen und Ärzten aus.
Hinsichtlich der Verankerung der Palliativmedizin in den Lehrplänen für Studierende der Medizin sei man
in Österreich gut aufgestellt, hielt Watzke fest. Palliativmedizin werde als Querschnittsmaterie verpflichtend
gelehrt. Auch bei der in Reform befindlichen ärztlichen Fachausbildung sei die Palliativmedizin als verpflichtender
Teil in vielen Fachbereichen verankert. Die Reform beginne aber erst mit 2015, womit man bis 2021 warten müsse,
bis die ersten Ärztinnen und Ärzte mit der neuen Grundlage ausgestattet sind. Das sei aber eine lange
Zeit, gab Watzke zu bedenken und unterstrich mehrmals die Notwendigkeit einer palliativmedizinischen Zusatzausbildung.
Die Gesellschaft muss Rahmenbedingungen schaffen
Die Forderungen der beiden Experten wurden vom ehemaligen Präsidenten des Nationalrats und nunmehrigen
Präsidenten des Österreichischen Seniorenrats, Andreas Khol, sowie vom ehemaligen Finanzminister und
Vizepräsidenten des Österreichischen Seniorenrats, Rudolf Edlinger, und von der ehemaligen Nationalratsabgeordneten
und Fachärztin für innere Medizin, Elisabeth Pittermann-Höcker voll inhaltlich unterstützt.
Palliativmedizin sei das humanste, sagte Pittermann, der Staat sei dafür verantwortlich, dass Menschen in
jeder Hinsicht nach ihren jeweiligen Bedürfnissen bestens betreut werden. Die Kosten dafür dürften
nicht höher sein, als bei einer normalen Krankenbehandlung. Die Frage, wie jemand aus dem Leben scheiden möchte,
sei ein gesellschaftspolitisches und ethisches Problem, merkte Edlinger an, die Gesellschaft müsse jene Rahmenbedingungen
schaffen, die der Würde am Ende des Lebens entsprechen. Das bedeute umfassende Verfügbarkeit und ein
flächendeckendes Netz. Der ehemalige Finanzminister thematisierte in diesem Zusammenhang auch die Budgetknappheit
und meinte dazu: "Wir müssen wissen, was wir wollen".
Khol wiederum appellierte an die Kommissionsmitglieder, in der Sozialversicherung einen Rechtsanspruch auf hospiz-
und palliativmedizinische Betreuung zu verankern. Khol setzte sich auch vehement für einen leichteren Zugang
zur Vorsorgevollmacht ein und verlangte, dass die Kosten für die Patientenverfügung von den Krankenkassen
zu tragen sind. Erforderlich dabei ist seiner Ansicht nach auch eine ärztliche Beratung, ferner hält
es Khol für sinnvoll, eine vorhandene Patientenverfügung im Rahmen der elektronischen Gesundheitsakte
auf der E-Card zu vermerken. Er war darin eines Sinnes mit Rudolf Edlinger. Zudem machte Khol darauf aufmerksam,
dass die Reform der Sachleistungen bei der Pflege überfällig sei. Es sei auch genau zu überlegen,
was in einer Patientenverfügung drinnen stehen darf und soll, gab Patientenanwältin Sigrid Pilz zu bedenken.
Finanzierung – eine zentrale Frage
Auch die Abgeordneten nahmen die Vorschläge von Bitschnau und Watzke positiv auf. Man war sich einig, dass
die Finanzierung die zentrale Frage darstellt, um den Bedarf an Palliativ- und Hospizangeboten sicherzustellen.
Michaela Steinacker von der ÖVP sprach in diesem Zusammenhang von bereichsübergreifenden Lösungen
und der Notwendigkeit, die vorhandenen Strukturen zu verbessern und effizient zu gestalten. Ulrike Königsberger-Ludwig
(S) meinte, es sei zu überlegen, wo die Hospizbetreuung am besten angesiedelt werden soll. Jedenfalls sei
der Palliativgedanke durchgehend zu verankern.
Selbstbestimmung bis ans Ende des Lebens
Sowohl Khol als auch Edlinger gingen in ihren Wortmeldungen eingehend auf die Selbstbestimmung des Einzelnen ein,
wobei Khol davon ausging, dass auf keinen Fall im letzten Lebensabschnitt auf Menschen Druck ausgeübt werden
darf - etwa von ErbInnen, von ÄrztInnen oder Pflegepersonal. Die freie Selbstbestimmung des Menschen müsse
bis zum Ende dauern, konstatierte er. Edlinger räumte seinerseits ein, dass er keine Antwort darauf wisse,
wie weit selbstbestimmtes Sterben gehen könne. Von einigen Experten wurde in diesem Zusammenhang auch darauf
hingewiesen, dass Menschen oft die Sorge belastet, anderen am Ende des Lebens zur Last zu fallen.
Ähnlich äußerte sich Abgeordnete Daniela Musiol von den Grünen. Bei diesen Fragen gehe es
um Wertehaltungen und individuelle Erfahrungen, sagte sie. Das mache es schwierig, einen Weg zu finden, der für
alle gelten soll. Für sie steht daher fest, dass Rahmenbedingungen und klare Kompetenzen zu schaffen sind,
damit alle ihren letzten Weg selbstbestimmend gehen können. Selbstbestimmung ist ein Grundwert für jeden
Menschen, betonte auch Ulrike Königsberger-Ludwig von der SPÖ. Das habe auch am Ende des Lebens zu gelten
sowie für die Frage, wie man aus dem Leben scheidet.
Die Frage der Selbstbestimmung in Bezug auf das Lebensende wurde auch von Marianne Karner, Generalsekretärin
der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation BIZEPS, aufgeworfen. Kritisch merkte sie
an, dass gerade bei Menschen mit Behinderung eine Tendenz bestehe, das Sterben schneller "zuzulassen",
als bei Personen, denen man einen höheren gesellschaftlichen Wert zumesse. Aktive Sterbehilfe und assistierte
Selbstmord seien daher grundsätzlich abzulehnen. Die Erfahrung der Niederlande zeige nämlich, dass meist
nicht die Betroffenen, sondern ÄrztInnen und Angehörige darüber entscheiden. Pflegeheime dürften
jedoch keine "Sterbehäuser" für Menschen mit Behinderung werden. Die Ausbildung müsse
daher die Perspektiven der Behinderten einnehmen und Verständnis dafür schaffen, dass Behinderung nicht
automatisch mit "Leiden" gleichzusetzen ist. Das könne nicht theoretisch erfolgen, sondern brauche
den direkten Umgang und Austausch mit Menschen mit Behinderung bzw. mit chronischen Erkrankungen.
Ausbildung und Praxis der Palliative Care muss soziale Kompetenzen stärken
Dringender Finanzbedarf herrscht auch in Bezug auf die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Palliative Care. In
den Wortmeldungen wurde daher die Notwendigkeit bekräftigt, die Finanzierung flächendeckend sicherzustellen.
Konsens bestand darin, dass ein breiter interdisziplinärer Ansatz notwendig ist, sowohl in der MedizinerInnen-
als auch in der Pflegeausbildung. Aus- und Weiterbildung müssen die Stärkung der sozialen Kompetenz von
MedizinerInnen und Pflegenden im Umgang mit Menschen mit Behinderung, mit chronisch Kranken und mit Sterbenden
im Auge haben.
Die Fähigkeit und Bereitschaft von ÄrztInnen, auch über Fragen des Lebensendes zu reden, setze hohe
Kompetenz in vielen Themen voraus, die kein Teil der normalen medizinischen Ausbildung sind, sagte Karlheinz Wiesinger.
Der ärztliche Leiter des Hospiz Rennweg ist der Ansicht, Palliative Care müsse als multidisziplinärer
Pflegeansatz in allen Spitälern angeboten werden. Sein Resümee war, dass gute Strukturen bereits vorhanden
sind, das Angebot aber noch nicht flächendeckend ist und teilweise nur durch Spenden aufrechterhalten werden
kann. Notwendig sei ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Palliativpflege aus der allgemeinen Sozialversicherung,
sagte Wiesinger.
Peter Braun, Direktor des Bildungszentrums St. Virgil in Salzburg, sah eine besondere Notwendigkeit von Weiterbildungsmaßnahmen
für die Begleitung von Sterbenden in den psychosozialen und spirituellen Berufen. Die Fortbildung der vielen
Freiwilligen im Bereich der Palliativpflege sowie des Personals in den Alten- und Pflegeheimen müsse besser
unterstützt werden, forderte er. Vor allem für Heime sollten Anreize geschaffen werden, ihr Personal
zu diesen Nachschulungen zu schicken. Die Kosten liegen für sie in der Höhe von 35.000 bis 70.000 €.
Dieser Aussage stimmte der Präsident des Bundesverbandes der Alten- und Pflegeheime Österreichs Markus
Mattersberger zu. Die Schulungen des Personals seien nicht nur Teil des Organisationsentwicklungsprozesses, sondern
auch wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung des Personals, sagte er. Nur fachliche und soziale Kompetenz
der Betreuenden könne die Qualität der Betreuung sichern, die ein würdevolles und schmerzfreies
Sterben ermöglichen.
Eringard Kaufmann, Generalsekretärin der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
wie auch Marianne Karner vom Verein "BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben" gingen auf die
Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung in der Pflege ein. Sie bezogen sich dabei auf ein Verständnis
von Behinderung, das diese nicht als Mangel der betroffenen Person auffasst, sondern in erster Linie als Mangel
an Teilnahmemöglichkeit durch Barrieren. Ihre Forderungen gehen dahin, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung,
wie sie in der UN-Konvention definiert wurden, auch zum Leitbild in der Palliativpflege und Palliativmedizin werden
und auch in der Aus- und Weiterbildung aufgenommen werden.
Kaufmann stellte fest, die Frage des würdigen Lebens sei für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke
nicht zuletzt eine finanzielle Frage. Was die Teilhabe am allgemeinen Leben betrifft, so müsse hier die Kompetenz
der Medizin- und Pflegeberufe erhöht werden und die Ausbildung auf eine Veränderung der Gesprächskultur
im Umgang mit Menschen mit Behinderung abzielen. Dazu müsse die Ausbildung auch Einheiten umfassen, in denen
Selbsterfahrung möglich ist, denn nur so könne soziale Kompetenz nachhaltig erlernt werden, betonte Kaufmann.
Die Aussagen über die Wichtigkeit der Aus- und Weiterbildung im Bereich der Palliativmedizin und –pflege und
ihrer entsprechenden finanziellen Ausstattung wurde von den Abgeordneten Eva Mückstein (G), Franz-Joseph Huainigg
(V), Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), Gerald Loacker (N) und Katharina Kucharowits (S) geteilt.
Nicht nur PatientInnen, sondern auch Angehörige brauchen Unterstützung
Viele Patientinnen und Patienten wollen ihre letzte Zeit zu Hause verbringen. Dazu bedarf es einer professionellen
Unterstützung nicht nur der Betroffenen, sondern auch der Angehörigen. Diese Unterstützung ist nicht
nur in medizinscher Form notwendig, sondern auch in pflegerischer, sozialrechtlicher und auch spiritueller Hinsicht.
Hier klafft aber noch eine große Lücke, wie aus den Schilderungen von Alexandra Lueger vom Dachverband
Hospiz Österreich und Marianne Pichler, einer Angehörigen, zu erfahren war. Vor allem fehlt es in den
Spitälern an ausreichender Information, welche Hilfsangebote, Angehörigen zur Verfügung stehen,
sodass diese oft lange Zeit alleingelassen werden. In den professionellen Stellen muss daher auf das Angebot –
etwa auf Palliativteams - hingewiesen werden, lautet eine wesentliche Forderung in diesem Zusammenhang, auch deshalb,
weil die Palliative Care schon bei Beginn der Therapie, also viel früher als jetzt, ansetzen sollte, wie Karlheinz
Wiesinger vom Hospiz Rennweg betonte.
ÖVP Abgeordneter Erwin Rasinger, der selbst Arzt ist, machte auf den "Bewilligungszirkus" für
Medikamente etc. aufmerksam, der Angehörige bei der Betreuung zu Hause vielfach überfordert. Er schlug
daher vor, dass HausärztInnen gemeinsam mit ManagerInnen der Sozialversicherung bei den PatientInnen den Bedarf
klären sollen, damit nicht ständig Bewilligungen eingeholt werden müssen. Es sei auch vielfach schwierig,
Schmerzmittel zu verschreiben, so sein weiterer Vorwurf. Wenn Menschen im letzten Lebensabschnitt zu Hause bleiben
wollen, brauche man auch eine spezielle Betreuung durch den Hausarzt bzw. die Hausärztin, und das müsste
von der Krankenkasse anders bewertet werden, machte Rasinger geltend.
Nächste Sitzung am 16. Dezember
Die nächste Sitzung der Enquete-Kommission findet am Dienstag, dem 12. Dezember 2014 statt. Thema wir dann
die Finanzierung, insbesondere die Möglichkeiten, das Angebot auszubauen, und die Einbeziehung von Ländern
und Körperschaften sein.
Am Ende der heutigen Sitzung lud Vorsitzende Gertrude Aubauer (V) alle Bürgerinnen und Bürger ein, noch
bis zum 31. Jänner 2015 Anliegen und Stellungnahmen an die Enquete- Kommission (wuerdevoll.leben@parlament.gv.at)
zu senden. Bisher sind 636 schriftliche Stellungnahmen eingelangt, die auf der Parlamentswebsite veröffentlicht
sind.
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