Mitterlehner kündigt Cowdfunding-Entwurf und weniger Bürokratie an
Wien (pk) - Sie schufen seit 2008 mehr als 77.000 Arbeitsplätze und steigerten ihre Bruttowertschöpfung
um 9 % auf 108 Mrd. €. Sie bilden derzeit 68.000 Lehrlinge aus und gelten als das Rückgrat der österreichischen
Wirtschaft - die Rede ist von den fast 314.000 Klein- und Mittelbetrieben (KMU) mit ihren 1,9 Millionen Erwerbstätigen.
Wie die KMU, bei denen die Krise nun spürbar wird, ihren erfolgreichen Weg fortsetzen können, debattierte
der Wirtschaftsausschuss am 02.12. anhand des aktuellen Mittelstandsberichts. Sodann akzeptierten die Ausschussmitglieder
– ebenfalls mit SPÖ-ÖVP-Grünen-NEOS-Mehrheit - den jüngsten Bericht über die Tätigkeit
der Bundeswettbewerbsbehörde.
Trend zu Einzelpersonenunternehmen und Kreativwirtschaft
Der aktuelle Mittelstandsbericht ( III-125 d.B.) zeigt einen Trend zu kleineren Unternehmen und zur Kreativwirtschaft
auf: 115.200 oder 37 % aller Unternehmen sind Ein-Personen-Unternehmen (EPU), 39.000 Unternehmen mit 139.600 Erwerbstätigen
zählen zur Kreativwirtschaft. Eine aktuelle Herausforderung vieler KMU, die zu 90% Familienunternehmen sind,
ist die Unternehmensübergabe: Bis 2023 werden 45.700 oder 27% der KMU einen neuen Firmeninhaber brauchen.
Bei der Umsetzung des europäischen Small Business Act (SBA) zur Förderung und Entwicklung von KMU übertrifft
Österreich meist den EU-Durchschnitt und weist eines der wettbewerbsfähigsten Profile auf. Da ÖsterreicherInnen
trotz guten Umfelds für unternehmerische Aktivitäten im europäischen Vergleich weniger zur Selbstständigkeit
neigen, wird "Entrepreneurship Education" in den Berufsbildenden Schulen betrieben. Beim Thema Insolvenz
ist festzuhalten, dass UnternehmerInnen in Österreich leichter als anderswo eine "zweite Chance"
bekommen. Die Kosten für Unternehmensschließung und die Dauer von Insolvenzverfahren gehen zurück
und Neustarts werden von der Austria Wirtschaftsservice GmbH (aws) erleichtert. Handlungsbedarf besteht noch beim
zeitlichen Aufwand für Gründungen, beim Mindestkapital und bei der öffentlichen Verwaltung.
Trotz verschärfter Kreditbedingungen ist der Zugang von KMU in Österreich zu Bankdarlehen und auch zu
öffentlichen Finanzierungen einschließlich Bürgschaften einfach. KMU-Finanzierungsangebote bieten
das Austria Wirtschaftsservice (aws), die Österreichische Hotel und Tourismusbank (ÖHT) sowie der Gründerfonds
und der Business Angel Fonds des aws, beide schließen Lücken bei der Versorgung mit Risikokapital.
Eine gute Position nehmen heimische KMU bei Internationalisierung, Weiterqualifizierung und Nachhaltigkeit ein.
Sie sind gut in den EU-Binnenmarkt integriert, betreiben Außenhandel mit Drittländern und nützen
die Exportoffensive "go international". Hervorragend liegt Österreich bei Weiterqualifizierung und
Innovation.
Ein Experte des Wirtschaftsministeriums erinnerte daran, dass die heimischen KMU gut durch die Krise von 2008 gekommen
seien und wies darauf hin, dass die Eigenkapitalquote mit der Betriebsgröße steige. Die Insolvenzquote
sei gering, die Neugründungen liegen zwar unter dem internationalen Durchschnitt, die meisten neuen Unternehmen
bestehen in Österreich bestehen aber meist auch noch nach fünf Jahren.
Crowdfunding, niedrige Zinsen und weniger Bürokratie
In der Frage, wie man KMU in der Krise unterstützen könne, setzte Ruperta Lichtenecker (G) auf Crowdfunding,
auf eine Senkung des Verzugszinsensatzes und verlangte einen speziellen EPU-Bericht.
Die "guten Rahmenbedingungen" für KMU in Österreich, von denen im Bericht die Rede sei, könne
er nicht erkennen, sagte Axel Kassegger (F) und sah den Mittelstand durch Steuerdruck und Bürokratie belastet.
Maßnahmen seien beim Arbeitsrecht beim Zugang zu Finanzierungen zu setzen und die KMU bei der Steuerreform
zu berücksichtigen, forderte Kassegger.
"Wer sind die EPU?", fragte Abgeordneter Christoph Matznetter und plädierte dafür, zu klären,
wer ein Einzelpersonenunternehmer ist und wer nicht. Kritisch sah Matznetter die Lage gescheiterter Unternehmer,
die oft jahrelang mit Problemen bis hin zum Privatkonkurs kämpften. Für bemerkenswert fand Matznetter
den weit überdurchschnittlichen Bildungsstand von Einzelpersonen–Unternehmern. Lob zollte der Sozialdemokrat
dem Austria Wirtschaftsservice für deren KMU-Förderung. Beim Programm für die ländliche Entwicklung
gelte es klar zu machen, dass diese Förderungsmittel nicht als Agrarförderung zu betrachten sei. Eine
Lanze für die stark wachsende Kreativwirtschaft brach Elisabeth Hakl (SPÖ).
Mit der relativ geringen Neigung der Österreicher, das Risiko einer unternehmerischen Existenz in Kauf zu
nehmen, setzte sich Angelika Winzig (V) auseinander und plädierte dafür, unternehmerische Initiative
zu fördern. Bei der zweiten Chance für gescheiterte Unternehmer, wies Winzig auf das beträchtliche
Risiko von Konkursen für andere Unternehmen hin.
"Das Herz der KMU schlägt stark, sie werden aber bald einen Defibrillator brauchen", sagte Josef
Schellhorn (N) pointiert und listete die Probleme der Betriebe auf: Facharbeitermangel trotz Arbeitslosigkeit und
zu wenig flexible Arbeits- und Ladenöffnungszeiten. Den Worten der Regierung sollten beim Thema KMU endlich
Taten folgen, verlangte Schellhorn.
In dasselbe Horn stieß Kathrin Nachbaur (T): "Der Mittelstandsbericht ist gut – den KMU geht es aber
schlecht!". Die Niedrigzinspolitik der EZB habe den Betrieben nichts gebracht, kritisierte Nachbaur, die sich
ebenfalls für Crowdfunding einsetzte und Steuererleichterungen für Risikokapital forderte. Zudem drängte
sie auf Maßnahmen zur Verbesserung des wirtschaftlichen Verständnisses bei jungen Menschen und auf Hilfe
für KMU, die unter Exportausfällen nach Russland leiden.
Krise ist bei den KMU angekommen
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sah die Krise nun bei den KMU angekommen, die Auftragslage sei schlechter
geworden und schlechter sei wegen der internationalen Konflikte auch die Stimmung. Kritische Stimmen – auch aus
der EU – wegen überbordender Administration nehme er ernst, sagte der Ressortleiter und kündigte schon
bald einen Begutachtungsbefund zum Crowdfunding an. Die Erstellung eines eigenen EPU–Berichts halte er nicht für
sinnvoll, der KMU-Bericht informiere ausführlich über EPU.
Fragen über Maßnahmen zugunsten der KMU beantwortete Mitterlehner, indem er auf die Vorbereitung einer
Steuerreform aufmerksam machte, bei der es auch um Steuererleichterungen für KMU gehe, und mit dem Hinweis
auf seine Bemühung zur Lösung von Bürokratieproblemen. Weitere Flexibilisierungen bei der Arbeitszeit
seinen notwendig. Österreich werde sich stark in das von Kommissionspräsident Junker mit viel Kreativität
entwickelte Konjunkturprogramm einbringen, kündigte Mitterlehner an. Redlich gescheiterte UnternehmerInnen
sollen eine zweite Chance erhalten. Die Risikomentalität soll forciert werden. Auswirkungen der Russlandsanktionen
auf KMU sehe er mit Ausnahme der Landwirtschaft und des Tourismus nicht, die EU-Verordnung über Allergene
auf Speisekarten werde praktikabel umgesetzt, erfuhren die Abgeordneten vom Minister.
Eine völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten sei aus Rücksicht auf kleine Betriebe, die im Wettbewerb
zu großen Unternehmen stehen, nicht möglich, sagte Mitterlehner, und fügte hinzu, dass der bestehende
Rahmen bezüglich Öffnungszeiten nicht ausgenützt werde.
Auf Detailfragen der Ausschussmitglieder führte der Wirtschaftsminister in einer zweiten Verhandlungsrunde
aus, in der Krise verschärfe sich der kritische Blick in der Wirtschaft, etwa gegenüber dem Bürokratieproblem,
er sei um Lösungen bemüht und sagte auch zu, zweistellige Überziehungszinsen für Betriebe in
Zeiten niedriger Zinsen zu prüfen. Schließlich berichtete der Wirtschaftsminister von Erfolgen heimischer
Betriebe auf Drittmärkten mit Green Technology und von guten Exportchancen in Asien und Südamerika.
Die Arbeit der Bundeswettbewerbsbehörde
Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat den österreichischen Wettbewerb trotz personeller
Knappheit auch 2013 freier, fairer und transparenter gemacht, führte Generaldirektor Theodor Thanner in seiner
Präsentation des aktuellen Berichts der Bundeswettbewerbsbehörde ( III-126 d.B.) aus. Die Behörde
genieße internationales Ansehen, zähle zu den führenden Kartellwächtern Europas und nehme
Spitzenpositionen bei der Anwendung der Kronzeugenregelung und bei Hausdurchsuchungen ein. Die Neuerungen des Kartell-
und Wettbewerbsrechtsänderungsgesetzes 2012 wirkten positiv. Nachholbedarf sah Thanner allerdings bei der
personellen und finanziellen Ausstattung seiner Behörde. Konkret erfuhren die Abgeordneten von den Aufgaben
und Zielen der Bundeswettbewerbsbehörde bei der Sicherstellung funktionierenden Wettbewerbs, beim Kampf gegen
Wettbewerbsverzerrungen und –beschränkungen sowie bei der Kontrolle von Fusionen. Thanner beantwortete auch
Detailfragen der ParlamentarierInnen über Ermittlungen im Lebensmitteleinzelhandel, bei der Reinigungsvollversorgung
sowie in den Bereichen Dämmstoffkartell, Zuckerkartell und Speditionskartelle.
Die Kronzeugenregelung – ein effizientes Ermittlungsverfahren
Bislang wurden 55 Anträge auf Kronzeugenregelung gestellt, ein ressourceneffizientes Ermittlungsverfahren,
teilte Thanner mit, der Ruperta Lichtenecker auch über ein spezielles Handbuch für Kronzeugen informierte.
Franz Kirchgatterer (S) erfuhr von Generaldirektor Thanner, dass die Fusionsanmeldung der Möbelhäuser
Lutz und Kika nach Bedenken seiner Behörde zurückgezogen wurde. Die Abfallbranche, nach der sich Josef
Schellhorn (N) erkundigte, stelle sich nach der AWG-Novelle neu auf, er werde das neue System beobachten, sagte
Thanner. Im letzten Sommer hat die Bundeswettbewerbsbehörde begonnen, die Telekombranche zu untersuchen. "Wir
evaluieren Preissteigerungen und vergleichen die Tarife international", kündigte Thanner an. Um gegen
grenzüberschreitende Kartelle besser vorgehen zu können, setze seine Behörde auf internationale
Kooperation, sagte Thanner und nannte als seinen Wunsch eine Ausweitung seiner Kompetenzen in Richtung Entscheidungsbefugnis.
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