Möglicherweise neue Ebene der Genregulation entdeckt
Wien (universität) - Das Leben kennt nur eine Sprache: den genetischen Code. Dieser beschreibt, wie
Informationen im genetischen Material gespeichert sind und ist für alle Lebewesen identisch - egal ob es sich
um ein einfaches Bakterium oder einen Menschen handelt. Wie der genetische Code entstanden ist, ist jedoch immer
noch ein Rätsel. Wichtige Hinweise zur Lösung hat in den letzten beiden Jahren das Forschungsteam von
Bojan Žagrovic an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und der Medizinischen Universität
Wien geliefert. Die Ergebnisse sind in einer Reihe von Fachartikeln erschienen - der aktuellste im Dezember in
Nucleic Acids Research.
In den Genen ist die gesamte Information über ein Lebewesen gespeichert. Sie enthalten z.B. den Code für
unsere Größe und Augenfarbe, aber auch für bestimmte Krankheitsanlagen. Damit Zellen die in den
Genen gespeicherten Informationen lesen können, wird von diesen zuerst eine Abschrift in Form sogenannter
Messenger - also Boten-RNAs (mRNAs) - gemacht. Deren Botschaft wird in einem zweiten Schritt gelesen und zur Herstellung
von Proteinen, den Arbeitstieren der Zelle, verwendet. Während die Informationen der mRNAs in einem 4-Buchstaben-Alphabet
von Nukleobasen geschrieben stehen, bestehen Proteine aus einem 20-Buchstaben-Alphabet von Aminosäuren. Der
genetische Code ist der Schlüssel zur Übersetzung der Sprache der mRNAs in die Sprache der Proteine,
und wurde bereits vor mehr als 50 Jahren von WissenschaftlerInnen geknackt. Obwohl wir die Wörter aus Nukleobasen
lesen und verstehen können - also wissen, für welche Aminosäure sie stehen - ist der Ursprung dieser
universellen Sprache des Lebens weiterhin ein Mysterium.
Codierung durch Bindung
Eine Theorie zur Entstehung des genetischen Codes ist die sogenannte stereochemische Hypothese. Diese geht
davon aus, dass der genetische Code eine Folge der direkten Bindungsneigung von Aminosäuren für die entsprechenden
Nukleobasen ist. Dieser Theorie zufolge hätten, vereinfacht gesagt, die Symbole des genetischen Codes (Nukleobasen)
eine direkte Neigung, die Objekte zu binden für die sie stehen (Aminosäuren). Da diese Bindungsneigungen
jedoch vergleichsweise schwach zu sein scheinen, gab es bisher kaum überzeugende experimentelle Beweise für
die stereochemische Hypothese.
Andererseits erhielte man möglicherweise aufschlussreichere Signale, wenn man sich vollständige mRNAs
und die von ihnen codierten Proteine anschaut - eine Möglichkeit, der ERC Starting Grant Preisträger
Bojan Žagrovic und seine KollegInnen an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien nachgingen.
In den letzten beiden Jahren haben Žagrovic und sein Team Beweise gesammelt, die darauf hindeuten, dass die meisten
mRNAs moderner Lebewesen Signaturen enthalten, die auf eine mögliche komplementäre Wechselwirkung mit
den Proteinen hindeuten, für die sie codieren. Die WissenschafterInnen untersuchten diese Beziehung in kompletten
Proteomen - also die Gesamtheit der Proteine von Zellen - für 15 verschiedene Organismen aus allen drei Domänen
der Lebewesen.
Komplementäre Wechselwirkungen
Mithilfe experimenteller sowie rechnerisch abgeleiteter Daten konnte das Team zeigen, dass die Dichteprofile
verschiedener Nukleobasen in mRNAs den Profilen der Aminosäureaffinität für dieselben Nukleobasen
im zugehörigen codierten Protein ähneln. Zusätzlich konnten die ForscherInnen nachweisen, dass der
genetische Code hinsichtlich dieser Matchings sogar stark optimiert ist. Diese Ergebnisse sind nicht nur wichtig,
weil sie darauf hindeuten, dass der genetische Code tatsächlich als Folge der direkten Bindungswechselwirkungen
zwischen mRNAs und Proteinen entstanden ist, sondern zudem bedeuten, dass derartige Wechselwirkungen auch in heutigen
Organismen von Bedeutung sein könnten. Letzteres würde eine neue, bisher unbekannte Ebene der Genregulation
darstellen.
Ähnlich einem Keksausstecher?
"Man kann unsere Ergebnisse mit folgender Analogie erklären: Schickt man Freunden ein Rezept für
Weihnachtsplätzchen, die die Form eines Christbaums haben sollen, und erklärt ihnen nun schriftlich die
Form des Baumes, würde kein Baum gleich aussehen. Würde man dem Rezept jedoch einen Keksausstecher in
Form eines Christbaumes beilegen, würden alle Bäume genau gleich aussehen, da die Information über
die Form des Baumes detailgetreu in der Form des Keksausstechers 'codiert' ist. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass
der genetische Code am Anfang vielleicht viel simpler war und Informationen für Proteinsequenzen in den physiko-chemischen
Eigenschaften der komplementären mRNA Sequenz gespeichert waren", erklärt Bojan Žagrovic.
Hallen Echos von Urereignissen auch heutzutage nach?
Während drei der vier mRNA-Nukleobasen eine direkte Präferenz für die Aminosäuren zeigten,
für die sie codieren, fanden die WissenschafterInnen heraus, dass sich Adenin genau umgekehrt verhält.
Sie vermuten, dass das darauf hindeutet, dass Adenin erst in einer zweiten Entwicklungsphase des genetischen Codes
entstanden ist, und dazu dient, Bindungen zu modulieren und zu schwächen. "Der naheliegendste Prozess,
bei dem mRNA und Protein in einer Zelle in unmittelbarer Nähe vorkommen, ist die Translation. Ein neu gebildetes
Protein könnte zum Beispiel die Translation seiner eigenen mRNA unterdrücken, indem es mit der Proteinsynthese-Maschinerie
um die mRNA-Bindung konkurriert", sagt Bojan Žagrovic. "Wir forschen weiter sehr gespannt, ob die Ergebnisse
tatsächlich auch in heutigen zellulären Regulationsprozessen eine Rolle spielen. Es wäre wirklich
hochinteressant, wenn die Echos von Urereignissen der Entstehung des Lebens heute noch nachhallen würden",
resümiert der Molekularbiologe.
Wissenschaftliche Publikationen
Anton A Polyansky, Mario Hlevnjak and Bojan Zagrovic: Proteome-wide analysis
reveals clues of complementary interactions between mRNAs and their cognate proteins as the physicochemical foundation
of the genetic code. RNA Biology. August 2013.
DOI: http://dx.doi.org/10.4161/rna.25977
Matea Hajnic, Juan Iregui Osorio and Bojan Zagrovic: Computational analysis of
amino acids and their sidechain analogs in crowded solutions of RNA nucleobases with implications for the mRNA-protein
complementarity hypothesis. Nucleic Acids Research. December 2014.
DOI: http://dx.doi.org/10.1093/nar/gku1035
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