Erfahrungen von Bundesländern und Gemeinden – Zweite Sitzung der Enquete-Kommission "Demokratiereform"
Wien (pk) – Das Thema direkte Demokratie stand auch im Mittelpunkt der zweiten Sitzung der Enquete-Kommission
des Nationalrats zur Stärkung der Demokratie in Österreich am 22.01. Dieses Mal ging es um Modelle und
Instrumente der Bürgerbeteiligung, die es in den einzelnen Bundesländern und in den Gemeinden gibt. So
stellte etwa Manfred Hellrigl das Modell der Vorarlberger Bürgerräte vor, das seiner Meinung nach gut
funktioniert. Die partizipative Demokratie würde sich gut mit der direkten und repräsentativen Demokratie
ergänzen.
Insgesamt steht den BürgerInnen, wie aus den Expertenreferaten hervorging, ein buntes Potpourri an Möglichkeiten
zur Mitsprache auf Länder- und Gemeindeebene zur Verfügung. Ob es auch genutzt wird, blieb allerdings
weitgehend offen. So wies etwa Föderalismusexperte Peter Bußjäger darauf hin, dass die seiner Meinung
nach erfreuliche Vielfalt der direktdemokratischen Instrumente in Vorarlberg "nicht immer mit einer praktischen
Inanspruchnahme korreliert". Auch in Kärnten werden die direktdemokratischen Instrumente laut Fachhochschul-Professor
Florian Oppitz wenig genutzt. Bußjäger hält es in diesem Sinn für wichtig, sich auch Gedanken
darüber zu machen, wie man die BürgerInnen dazu bringen könne, die vorhandenen Instrumentarien zu
nutzen.
In den Gemeinden erfolgt Mitbestimmung nach Darstellung des Verfassungsexperten Karim Giese vielfach nicht nach
formalen Regeln, so gibt es oft informelle Volksbefragungen außerhalb der Rechtsinstitute der direkten Demokratie.
Geleitet wurde die Sitzung von Zweitem Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf, der nochmals an die BürgerInnen
appellierte, sich in die Diskussion einzubringen. Jeder habe die Möglichkeit, bis zum Sommer schriftliche
Stellungnahmen abzugeben, erinnerte er. Was den heutigen Diskussionsblock betrifft, will Kopf die Erfahrungswerte
aus den Bundesländer in die Reformüberlegungen auf Bundesebene einfließen lassen.
Die Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie will sich bis zum Sommer dieses Jahres intensiv mit der
Frage auseinandersetzen, wie die direkte Demokratie in Österreich weiterentwickelt, der Parlamentarismus gestärkt
und die parlamentarische Arbeit transparenter gemacht werden kann. "Die stärkere Einbindung der Bevölkerung
in demokratische Entscheidungsprozesse soll das Verständnis für die Politik verbessern", hielt Kopf
dazu fest. Nächster Sitzungstermin ist der 18. Februar. Der Enquete-Kommission gehören auch acht BürgerInnen
an, die per Los aus 1.200 Bewerbungen gezogen wurden.
Alle Bundesländer haben direktdemokratische Instrumente
Michael Mayrhofer vom Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre der Universität Linz gab zunächst
einen Überblick über die Bundesländer und wies darauf hin, dass es in jedem der neun Länder
das Instrument des Volksbegehrens, der Volksbefragung und der Volksabstimmung gibt, auch wenn diese mit unterschiedlichen
Bezeichnungen bedacht sind und im Inhalt divergieren. Darüber hinaus existieren auch Regelungen über
Bürgerpartizipation in den Gemeinden. Manche Bundesländer sehen auch das Instrument der Bürgerbegutachtung
von Gesetzentwürfen vor, zudem gebe es überall traditionelle Petitions- und Beschwerderechte.
Die größte Hürde für Volksbegehren, also Initiativen zur Änderung von Landesgesetzen,
besteht laut Mayrhofer in Wien, wo 5% der Wahlberechtigten ein entsprechendes Anliegen unterstützen müssen.
Lediglich Tirol liegt mit einem Prozentsatz von 1,4% unter der Hürde des Bundes. Volksbegehren müssen
sich Mayrhofer zufolge aber nicht immer auf Gesetze beziehen, sondern können in Form von "Verwaltungsinitiativen"
auch Verwaltungsakte zum Inhalt haben.
Volksabstimmungen können in manchen Ländern nicht nur vom Landtag beschlossen, sondern auch von einer
bestimmten Zahl von BürgerInnen oder auch von einer bestimmten Zahl von Gemeinden erzwungen werden. Eine Besonderheit
gibt es außerdem in einigen Bundesländern wie Salzburg, wo ausreichend unterstützte Volksbegehren
einer Volksabstimmung unterzogen werden, wenn der Landtag dem Anliegen nicht Rechnung trägt. Ein positiver
Entscheid des Volkes führt aber nicht automatisch zu einem Gesetz, vielmehr muss sich lediglich der jeweilige
Landtag neuerlich damit auseinandersetzen.
Volksbefragungen sind in der Regel nicht nur landesweit möglich, sondern könnten auch auf bestimmte Regionen
oder Gemeinden beschränkt werden, schilderte Mayrhofer. Sie seien rechtlich unverbindlich, der Landtag müsse
sich aber damit befassen und seine Position begründen.
Bußjäger: Direktdemokratische Instrumente werden nicht immer genutzt
In Vorarlberg gebe es eine erfreuliche Vielfalt direktdemokratischer Instrumente, betonte Peter Bußjäger,
Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor für Öffentliches Recht
an der Universität Innsbruck. Diese korreliere aber nicht immer mit einer praktischen Inanspruchnahme, bedauerte
er. Seiner Ansicht nach ist es daher auch besonders wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die
BürgerInnen dazu bringen könne, von den Instrumenten auch Gebrauch zu machen.
Die Zugangshürde für Volksbegehren liegt in Vorarlberg laut Bußjäger bei 1,9% der Stimmberechtigten.
Wird ein Anliegen von mindestens 10% unterstützt und kommt der Landtag dem Volksbegehren nicht nach, ist eine
Volksabstimmung abzuhalten. Der Landtag sei nicht verpflichtet, dem Ergebnis der Volksabstimmung Rechnung zu tragen
– eine entsprechende Bestimmung wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben –, es entstehe aber erheblicher politischer
Druck, machte Bußjäger geltend. Um ein Volksbegehren zu unterstützen, müsse die Bevölkerung
auch nicht aufs Gemeindeamt gehen, man kann auch auf der Straße Unterschriften sammeln.
Um eine Volksabstimmung über ein Landesgesetz zu erzwingen, muss die Unterstützung von 10.000 Stimmberechtigten
vorliegen, führte Bußjäger aus. Bisher hat es hierfür aber nur einen, schon länger zurückliegenden
Anwendungsfall gegeben. Auch die Gemeinden haben ein derartiges Recht, hierfür braucht es 10 von 96 Gemeinden.
Diese Hürde sei, so Bußjäger, bisher mehrfach knapp verfehlt worden, allerdings hätten die
Gemeinden durch diese Bestimmung eine starke Stellung im Gesetzwerdungsprozess.
Auf Gemeindeebene haben in Vorarlberg bisher rund 30 Volksabstimmungen und Volksbefragungen stattgefunden. So sei
in einer Gemeinde etwa der Zusammenschluss zweier Skigebiete abgelehnt worden, berichtete Bußjäger.
Zudem verwies er darauf, dass die VorarlbergerInnen zu jeder Regierungsvorlage Stellungnahmen abgeben können,
die in zusammengefasster Form gemeinsam mit dem Gesetzentwurf auch dem Landtag übermittelt werden. Weiters
haben 5.000 Stimmberechtigte die Möglichkeit zu verlangen, dass der Landesrechnungshof einen bestimmten Verwaltungsakt
prüft.
Man dürfe den BürgerInnen einiges zutrauen, folgerte der Experte insgesamt aus den Ergebnissen der Beteiligungsinstrumente.
Steiner: Keine undifferenzierte Übernahme von Instrumenten der Bürgerbeteiligung
Oberösterreich habe seines Erachtens ein adäquates und offenes System der Mitbeteiligung von BürgerInnen
an politischen Prozessen auf Landesebene, hielt Landtagsdirektor Wolfgang Steiner fest. Man sei allerdings dabei,
das Bürgerrechtegesetz zu adaptieren und die Zahl der notwendigen Stimmberechtigten für Bürgerinitiativen
von 3% auf 2% zu reduzieren. Auch die Hürde für eine nachfolgende Befragung der Bevölkerung über
Bürgerinitiativen, denen der Landtag nicht Rechnung getragen hat, soll gesenkt werden.
Inhalt einer Bürgerinitiative kann laut Steiner sowohl die Erlassung oder Aufhebung eines Landesgesetzes sein,
es können aber auch Verwaltungsmaßnahmen und andere Beschlüsse des Landtags verlangt werden. Personalfragen,
Wahlrechtsfragen oder individuelle Bescheide sind allerdings ausgenommen. BürgerInnen würden auch eingeladen,
zu bestimmten Gesetzen Stellung zu nehmen, die dann im zuständigen Unterausschuss des Landtags erwogen würden.
Das Instrument der Volksbefragung wurde Steiner zufolge bisher erst einmal in Anspruch genommen, in Zusammenhang
der Frage der Einrichtung eines Musiktheaters in Linz.
Verstärken will Oberösterreich die Nutzung elektronischer Medien bei der Bürgerbeteiligung. Es wäre
sinnvoll, wenn es ein einheitliches elektronisches System für den Bund, die Länder und die Gemeinden
gebe, hob Steiner hervor. Allgemein warnte er aber davor, Instrumente der Bürgerbeteiligung von einer Ebene
in eine andere undifferenziert zu übernehmen.
Oppitz: Kärnten nutzt direktdemokratische Instrumente eher zurückhaltend
Für das Land Kärnten konstatierte Florian Oppitz, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht
an der Fachhochschule Kärnten, dass direktdemokratische Instrument eher zurückhaltend genutzt würden.
Es gebe mit der Möglichkeit von Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen zwar ähnliche Instrumente
wie auf Bundesebene, diese seien bisher aber nicht sehr oft eingesetzt worden. So hat es seiner Darstellung nach
bisher drei Volksbegehren, etwa zur Ausweitung der Bergbauernförderung, und drei Volksbefragungen, zum Naturschutzgebiet
Nockberge, zur Olympiabewerbung und – lokal begrenzt – zur Müllverbrennungsanlage Arnoldstein, gegeben.
Theoretisch könnten Volksbefragungen auch von 15.000 Wahlberechtigten erzwungen werden, informierte Oppitz.
Es habe dafür auch zwei Anläufe des damaligen Kärntner Landeshauptmanns Haider als Privatperson
gegeben. So seien mehr als 15.000 Unterschriften zur Frage der Ortstafeln und zum EU-Vertrag von Lissabon gesammelt
worden. In einem Fall habe die Landeswahlbehörde eine Volksbefragung aber abgelehnt, da Ortstafeln keine Angelegenheit
des Landes seien, und vom Verfassungsgerichtshof Recht bekommen, im anderen Fall kam die Ratifizierung des Nationalrats
dem Antrag auf Volksbefragung zuvor. Volksabstimmung gab es bislang in Kärnten noch keine in der Zweiten Republik,
zweimal ist die Bevölkerung informell per Brief befragt worden.
Auch Salzburger Landtag hat Enquetekommission zur Demokratiereform
Josef Hörmandinger, Leiter des Rechts- und Informationsdienstes der Salzburger Landtagsdirektion, berichtete
den Abgeordneten, dass auch der Salzburger Landtag eine Enquetekommission zur Demokratiereform eingerichtet hat.
Die im Herbst 2013 gebildete Kommission befasst sich unter anderen mit einer Reform des Vorzugsstimmensystems,
der Einführung von Bürgerräten nach Vorarlberger Vorbild und der Frage, wie der Frauenanteil in
politischen Gremien erhöht werden kann.
Er stellte außerdem das neue dreistufige Bürgerbeteiligungs-Modell der Stadt Salzburg vor, das derzeit
im Landtag verhandelt wird und klar regelt, wie mit Bürgeranliegen umzugehen ist. Unterstützen rund 1.200
bis 1.300 BürgerInnen, die Stimmenanzahl, die für ein Gemeinderatsmandat notwendig ist, eine Initiative,
muss sie demnach von der Stadt Salzburg in Verhandlung genommen werden. Wird dem Anliegen nicht Rechnung getragen,
ist in Stufe zwei, im Falle doppelt so vieler Unterschriften, eine öffentliche Bürgerversammlung zur
Erörterung des Begehrens vorgesehen. Fruchten auch weitere Verhandlungen nicht, ist bei weiteren 1.200 bis
1.300 Unterschriften, also dem Stimmengegenwert von insgesamt drei Gemeinderatsmandaten, eine Bürger-Abstimmung
durchzuführen. Das Ergebnis ist für den Gemeinderat grundsätzlich bindend, er kann nur dann mit
einer qualifizierten Gemeinderatsmehrheit davon abweichen, wenn die Beteiligung bei der Abstimmung unter 25 % lag
oder wenn damit Kosten von mehr als 15 Mio. € verbunden sind.
Mitbestimmung in Gemeinden hat oft weniger formalen Charakter
Die Gemeinde-Inputs aus dem Expertenhearing kamen von Karim Giese von der Universität Salzburg, von Martin
Floss vom Städtebund sowie von Nicolaus Drimmel als Vertreter des Gemeindebunds.
Geht es nach Giese, scheint der bundesverfassungsrechtliche Rahmen für landespolitische Anliegen inzwischen
zu eng geworden zu sein, obwohl die Rechtsentwicklungen in den Bundesländern ein permanentes Reformbemühen
zur Stärkung der direkten Demokratie erkennen lassen, wie der Experte erläuterte. Kann auf Reformwünsche
nicht rechtzeitig reagiert werden, würden sich direktdemokratisch gesinnte Gemeinden Lösungen im Schatten
des Gemeindeorganisationsrechts suchen. Das würden bereits erste Tendenzen in der Praxis zeigen, sagte Giese.
So würde es etwa eine wesentliche Erleichterung der direktdemokratischen Mitwirkung darstellen, wenn die Stimmabgabe
nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Ort erfolgen müsse. Da die elektronische Stimmabgabe
verfassungsrechtlich unzulässig sei, würden viele Gemeinden immer öfter die gesetzlichen Schranken
umgehen und informelle Volksbefragungen außerhalb der Rechtsinstitute der direkten Demokratie durchführen,
informierte Giese. Außerdem bemängelte er, dass derzeit nur ÖsterreicherInnen und EU-BürgerInnen
direktdemokratische Rechte auf Gemeindeebene zukommen. Das Fehlen eines Stimmrechts für Drittstaatsangehörige
werde in einzelnen Bundesländern als Demokratiedefizit wahrgenommen.
Für die Verknüpfung direktdemokratischer und repräsentativer Prozesse stand der Magistratsdirektor
der Stadt Salzburg Martin Floss ein. Diese Ergänzung leiste das Salzburger Modell, das sich zur Zeit in der
Endphase der legistischen Umsetzung befinde. Begegnet werden sollte damit der sinkenden Wahlbeteiligung und der
immer weniger werdenden Beteiligung direktdemokratischer Instrumente. Wesentlich beim Modell ist seiner Ansicht
nach, dass bereits bei seiner Entwicklung BürgerInnen massiv miteingebunden wurden. Verhandelt wurde zwei
Jahre, wobei es sich beim Ergebnis des dreistufigen Modells um einen Kompromiss handle, wie Floss sagte. Ein weiterer
wichtiger Faktor des Modells sei, dass in jeder Stufe eine Verhandlungsphase zwischen den BürgervertreterInnen
und der Politik vorgesehen ist. Mit dem Modell werde es den BürgerInnen ermöglicht, von sich aus verbindliche
Entscheidungen herbeizuführen.
Drimmel stand aus Sicht der kleinen und ländlichen Gemeinden dafür ein, dass die Beteiligungsinstrumente
der direkten Demokratie repräsentative Prozesse "nicht vom Tisch wischen dürfen". Es gehe um
ein Zusammenwirken der Wählerschaft mit den repräsentativen Organen. "Repräsentation ist nicht
passé", sagte er, gerade in den Gemeinden habe man die Erfahrung gemacht, dass Persönlichkeitswahlen
die Legitimation eines Amtsträgers durchaus stärken könne. Demokratie sei zudem keine Einbahnstraße,
repräsentative Demokratie verlange das freie Mandat, die Verantwortung des Einzelnen, aber auch eine demokratiepolitisch
wünschenswerte Kultur des Miteinanders und des Austauschs, eine Kultur der Kooperation und der Beteiligung,
stand für Drimmel fest. Diese Kultur gebe es in den österreichischen Gemeinden, gerade dort werde die
Tradition des Miteinanders gepflegt.
Was den Vorwurf betrifft, wonach direktdemokratische Instrumente in Gemeinden zu wenig gehandhabt würden,
meinte Drimmel, dass Vieles an demokratischer Mitbestimmung einen weniger formalen Charakter habe. Grund dafür
sei mitunter die Größe von Gemeinden oder, mit welcher Legitimation Gemeindemandatare in ein Amt gewählt
wurden. Demokratiepolitik dürfe sich auf jeden Fall nicht nur damit begnügen, den Menschen das Abgegeben
einer Stimme zu erleichtern oder formale Voraussetzungen zu schaffen, sie müsse den Menschen auch bei der
Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse begleiten.
Hellrigl: Mit Bürgerräten erreicht man schweigende Mehrheit
Als ein sehr positiv bewertetes Instrument der direkten Beteiligung und Mitgestaltung von BürgerInnen in den
Bundesländern gilt das Modell der Vorarlberger Bürgerräte. Eingeführt wurde es als Antwort
auf die steigende Vielfalt von Meinungen innerhalb der Bevölkerung, was wiederum eine sinkende Akzeptanz gegenüber
politischen Entscheidungen bedeutete, wie Manfred Hellrigl vom Amt der Vorarlberger Landesregierung erklärte.
So habe man bereits Ende der 1990iger Jahre damit begonnen, die Selbstorganisation in den Gemeinden zu fördern
und BürgerInnen motiviert, selbst aktiv zu werden.
Beim Bürgerräte-Modell werden für zirka eineinhalb Tage nach dem Zufallsprinzip ausgewählte
Personen einberufen, um über Fragen zu beraten. Vorteil dieses Verfahrens sei, dass man auch an die schweigende
Mehrheit herankommt, sagte Hellrigl. Entscheidungsvorbereitend können Bürgerräte über vorgegebene
oder selbst ausgewählte Themen reflektieren, die Ergebnisse werden in einer gemeinsamen Erklärung öffentlich
kundgemacht, in weiterer Folge kann politisch darüber entschieden werden. "Dort findet Meinungsbildung
statt", so Hellrigl. Seit 2006 ist das Bürgerräte-Modell österreichweit 55 Mal umgesetzt worden,
generell stehe man aber am Anfang, sagte Hellrigl. Geht es nach ihm, gibt es noch viel Entwicklungspotential, etwa
in Richtung Jugendräte. Auf Bundesebene äußerte er leichte Bedenken, ob das Modell eins zu eins
umgesetzt werden kann. Auch Hellrigl betonte zudem, dass direkte, repräsentative und partizipative Demokratie
nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. "Sie ergänzen sich ganz hervorragend", sagte
er.
Dass auf der Regierungsbank eine rein männliche Expertenrunde Platz genommen hat, wurde übrigens auf
Twitter mit dem Hinweis kommentiert, dass es bereits seit 1918 ein Wahlrecht für Frauen gebe.
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Direkte Demokratie braucht BürgerInnen und PolitikerInnen
Fazit der zweiten Demokratie Enquete-Kommission: Das Recht geht vom Volk aus
Im zweiten Teil kamen wieder die acht gelosten BürgerInnen zu Wort, außerdem Experten sowie VertreterInnen
von Ländern und Gemeinden.
"Wenn Sie wirklich Mitbestimmung durch BürgerInnen wünschen, dann geben Sie uns das Werkzeug dazu",
wendete sich Medizintechniker Harald Petz an die anwesenden Politiker. So wollen Bürgerinnen und Bürger
als "Hauptsponsoren" selbstverständlich bei Themen wie Steuern und Banken mitbestimmen. Aus seinem
Umfeld höre er oft: "Wir würden uns ja gerne beteiligen, aber die machen ohnehin was sie wollen."
Daher habe er das Gefühl, direkte Demokratie funktioniere derzeit nicht wirklich. Auch, weil die Kluft zwischen
Politikern und Bürgern immer größer werde.
Petz' Befürchtung, die Enquete-Kommission könnte unter Umständen nicht viel bringen, versuchte ihm
später Abgeordnete Daniela Musiol von den Grünen zu nehmen: "Die Kommission soll nicht als Kosmetik
verwendet werden – und das wird auch nicht so sein."
Elektronische Möglichkeiten ausschöpfen
Pensionist Heinz Emhofer hofft auf große Veränderungen für die Demokratie. Das Volk wähle
nicht Abgeordnete, sondern Parteien, letztlich dienten die Abgeordneten daher dem Parlamentsklub und nicht dem
Volk. Auch im "Hick-Hack" innerhalb der Parteien sehe er eine Mitschuld daran, dass das Volk nicht interessiert
sei. Häufig fehlten auch Ehrlichkeit und Transparenz. Und es gebe zu viele Zugangshürden. Weshalb ist
es nicht möglich, etwa die E-Card beziehungsweise Bürgerkarte auch bei Abstimmungen einzusetzen, fragte
er – und war damit nicht der einzige.
Bei der elektronischen Abstimmung sei man noch eher zurückhaltend, da man Datenmissbrauch befürchte,
erklärte Harald Stefan von der FPÖ. In seinem Wortbeitrag zeigte er allerdings ein anderes Problem auf:
"Es ist eine Katastrophe, wenn Ergebnisse aus Abstimmungen oder Befragungen nicht ernst genommen werden. Das
führt zu noch viel größerer Frustration." Volksabstimmungen müssten in der Regel verbindlich
sein. Gerade auf Bundesebene müsse man sich jetzt trauen, weitere Schritte zu setzen.
Für mehr Volksabstimmungen nach dem Schweizer Vorbild sprachen sich sowohl Michelle Missbauer (derzeit in
Ausbildung) als auch Marlen Ondrejka ( kaufmännische Angestellte) aus. Ob Mietpreise, Arbeitsplätze oder
Politikergehälter – als Bürgerinnen würden sie gerne in viel mehr Entscheidungen miteinbezogen werden,
sagten beide. Missbauer: "Warum keine Volksabstimmung alle zwei oder drei Jahre?" Ondrejka: "Man
sollte uns mehr zutrauen!" Harald Stefans Einwand, die elektronische Bürgerbeteiligung könnte Datenmissbrauch
Tür und Tor öffnen, sei für sie kein Argument, so Ondrejka: Missbrauch könne immer passieren.
Manipulationen einen Riegel vorschieben
PR-Beraterin Barbara Ruhsmann sieht bei Instrumenten wie der Volksbefragung Verbesserungsbedarf. Denn das Gefühl
der Manipulation bei gewissen Fragestellungen habe mit direkter Demokratie wenig zu tun. Darüber hinaus seien
in Wien seit 1973 sieben Volksbefragungen durchgeführt worden, von denen nur zwei durch Bürger initiiert
wurden. "Ich erwarte mir mehr Respekt und Sensibilisierung, dafür weniger Parteikalküle", wandte
sich Ruhsmann an das Plenum.
"Was ist notwendig, damit Frustration wie die von Frau Ruhsmann nicht entstehen kann?" Das müsse
man sich ernsthaft fragen, meinte ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl. Er sei dankbar, dass zu einer parlamentarischen
Enquete erstmals auch Bürger eingeladen wurden.
Klarere Regeln für Abstimmungen
Für den Grazer Universitätsprofessor Klaus Poier, der von der ÖVP nominiert wurde, sind die Länder
Vorreiter in Sachen direkter Demokratie und Bürgerpartizipation. Allerdings sei der direktdemokratische Spielraum
in den Gemeinden zu klein. Besonders schwierig werde es, wenn Abstimmungen quasi im "rechtsfreien Raum"
stattfinden. Das schaffe Misstrauen.
Auch der Wiener Stadtrat Manfred Juracka von der ÖVP sprach wie zuvor schon Poier von der Abstimmung über
die Fußgängerzone Mariahilfer Straße als Abstimmung "ohne rechtliche Grundlage". Ebenso
sei schon die Art der Fragestellung bei Volksbefragungen kritisch, bekräftigte er seine Vorrednerin Ruhsmann.
"Man wird es nie allen rechtmachen können, aber wir brauchen klare Regeln – und zwar auf Bundes-, Landes-
und Gemeindeebene", sagte er.
Zum parteipolitischen Missbrauch von Fragestellungen warf Dieter Brosz von den Grünen ein, dass dies natürlich
vorkommen könne, aber Manipulation auch bei anderen Initiativen passiere. Hier sei es schwierig, "Gut
und Böse" zu unterscheiden. Die Frage dürfe daher nicht einfach nur lauten: "Wollen Sie, dass
die Mehrwertsteuer um fünf Prozent gesenkt wird?" Gleichzeitig müsse man auch aufzeigen, welche
Konsequenzen das hätte.
BürgerInnen entscheiden nicht klüger, aber auch nicht dümmer als ihre RepräsentantInnen
"Wenn wir aufhören, die Demokratie zu entwickeln, fängt die Demokratie an aufzuhören",
zitierte Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin von "Mehr Demokratie Deutschland" für die Grünen.
Ihrer Einschätzung nach bringen verbindliche Abstimmungen mehr Ernsthaftigkeit in Debatten, weil das Parlament
den Blick auf die BürgerInnen richte. Im Gegensatz zu den üblichen Personendebatten vor Wahlen sei dies
eine echte Chance. In Deutschland etwa habe direkte Demokratie die Staatlichkeit und das Parlament gestärkt,
so Nierth. Angst vor Entscheidungen müsse man ohnehin nicht haben: "BürgerInnen entscheiden nicht
klüger, aber auch nicht dümmer als ihre RepräsentantInnen."
Für eine Weiterentwicklung der bestehenden Instrumentarien wie zum Beispiel der Volksbefragung sprach sich
der Wiener Gemeinderat Kurt Stürzenbecher (SPÖ) aus. Das sei innvoller, als neue zu entwickeln. Unbedingt
müsse direkte Demokratie von unten nach oben wachsen, davon brauche es viel mehr – allerdings stets mit Verantwortungsbewusstsein,
Leidenschaft und Augenmaß. Außerdem warf der Gemeinderat ein: "Wir müssen vom Sieger-Verlierer-Denken
wegkommen. Es ist immer ein Sieg für die Demokratie!"
Keine Angst vor BürgerInnenentscheidungen
Eine gewisse Angst der Politik, BürgerInnen Entscheidungen einzuräumen, sieht Christoph Starzer (Salzburger
Gemeinderatsklubobmann, NEOS) tatsächlich. Darum sei es an der Zeit, hier einen großen qualitativen
Sprung zu machen: "BürgerInnen muss eine Teilhabe zugestanden werden, denn sie zahlen am Ende die Zeche."
Man dürfe nicht einfach die Hürden für Volksbefragungen und -abstimmungen hinaufsetzen, weil den
Regierenden ein Ergebnis nicht gepasst hat, betonte Rechtsanwältin Susanne Fürst stellvertretend für
die FPÖ. Das sei zum Beispiel in Oberösterreich passiert und werde nun im Herbst wieder korrigiert. Politiker
sollten vielmehr auf Wünsche der Bevölkerung eingehen und die Ergebnisse sportlich nehmen. Immerhin:
"Das Recht geht vom Volk aus." Das war übrigens der meistzitierte Satz in dieser Debatte.
Mitbestimmung braucht Transparenz und Informationsfreiheit
Werden direktdemokratische Mittel nicht umgesetzt, führe das zu Frustration, warnte Abgeordneter Nikolaus
Scherak von den NEOS. Die Bevölkerung sollte nicht nur viel mehr Rechte haben, etwas zu initiieren, sondern
sie müsse auch darauf vertrauen können, dass Ergebnisse umgesetzt werden. "Und vor allem braucht
Mitbestimmung auch Transparenz und Informationsfreiheit", betonte Scherak.
Darin, den WählerInnen zu sagen, ihre Meinung sei gefragt, es dann aber doch anders zu machen, sieht auch
Bundesrat Werner Herbert von der FPÖ eine Gefahr. Das sei ignorant und frustrierend. Daher müsse sich
die Politik folgende Fragen stellen: "Welche Erwartungshaltungen haben die WählerInnen und wie erfülle
ich diese beziehungsweise wie gehe ich damit um?"
Salzburg geht mit BürgerInnenrat gegen Politikverdrossenheit vor
Der vielzitierten Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, war einer der Gründe, weshalb in Salzburg nicht
nur ebenfalls eine Enquete-Kommission eingerichtet wurde, sondern auch ein BürgerInnenrat. Die Landtagsabgeordnete
und zweite Landtagspräsidentin in Salzburg, Gudrun Mosler-Törnström (SPÖ), findet: "Interesse
kann man am besten unten erwecken, also auf Gemeindeebene." Wer Mitglied dieses BürgerInnenrats ist,
sei gleich umso mehr interessiert und darüber hinaus seien diese Menschen wiederum Multiplikatoren. "Wenn
wir diesen Weg gehen, sind wir ein ganzes Stück weiter", so Mosler-Törnström.
Für sie sei die Politikverdrossenheit nur ein Nebenaspekt, sagte später die Wiener Gemeinderätin
Jennifer Kickert (Grüne). Am wichtigsten sei es, zu besseren beziehungsweise besser begründeten Entscheidungen
zu kommen. Bei direktdemokratischen Methoden wünscht sie sich mehr Mut zum Experiment, man sollte dies und
das einfach ausprobieren.
MandatarInnen sollen mehr Mut zeigen
Gemeinsam statt gegeneinander müssen ParlamentarierInnen und BürgerInnen arbeiten, man dürfe die
beiden nicht gegeneinander ausspielen, sagte Rouven Ertlschweiger vom Team Stronach. Jedoch brauche es von Seiten
der MandatarInnen viel mehr Mut. Ergebnisse aus Befragungen usw. könne man als solides Fundament hernehmen
und darauf aufbauen.
"Wir leisten einen Eid, indem wir uns der Bevölkerung verpflichten", erinnerte der steirische Landtagsabgeordnete
Peter Samt von der FPÖ. Eine Aufgabe von Politik und Gesetzgebung sei es, darauf zu achten, dass die Rahmenbedingungen
eingehalten werden. Auf Gemeindeebene etwa sei das aber sehr problematisch. So wurden bei der Gemeindeumstrukturierung
in der Steiermark Abstimmungsergebnisse ignoriert, daher habe die Bevölkerung das Gefühl, "man sei
über sie drübergefahren".
Ein Eindruck, den Otmar Hiebaum, Bürgermeister der Gemeinde Markt Hartmannsdorf und Vertreter der Steirischen
Gemeindeinitiative (Grüne) teilt. "Die steirische Regierung war nicht bereit, direktdemokratische Mittel
zuzulassen", bedauerte er. Die Meinung der Bevölkerung dürfe man aber nicht einfach ignorieren.
Das Schlusswort dieser Debatte blieb Bürgervertreter Heinz Emhofer. Von der Politik wünsche er sich,
dass diese Enquete-Kommission ernst genommen wird: "Macht keine Nägel mit Köpfen, sondern einen
Nagel mit einem Kopf!"
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