Verschuldungs- und Entschuldungsprozesse prägen die weltweiten Konjunkturaussichten
Wien (wifo) - Der markante Rückgang der Rohölpreise stärkt die Konjunktur im Euro-Raum etwas.
Mittelfristig wird sie aber von Nachfragemangel und schwacher Preisentwicklung dominiert; auch das Fehlen von Auf-
und Abwertungsmöglichkeiten, insbesondere die relative Unterbewertung für Deutschland, hemmt die Wachstumsaussichten.
Für die USA ist der Konjunkturausblick sehr günstig, da der Privatschuldenüberhang dank rascher
Insolvenzen und großzügiger öffentlicher Budgetdefizite nach der Finanzmarktkrise rasch abgebaut
wurde. In China nimmt der Wohlstand stark zu, aber auch die Verschuldung. In Japan sollte der Entschuldungsprozess
der Unternehmen in den nächsten Jahren abgeschlossen sein. In Russland droht - trotz der mäßigen
Auslandsverschuldung - eine neue Finanzmarktkrise.
Seit Mitte 2014 ist der Rohölpreis um knapp die Hälfte gesunken; Ende 2014 lag er unter 60 $ je Barrel.
Die Ausweitung des Angebotes in den USA und die Abnahme der Nachfrage in China und Teilen Europas ermöglichten
diese Entwicklung. Die Vehemenz des Preisrückganges ergibt sich durch selbstverstärkende Spekulationseffekte
anlässlich der Russland-Krise. Da Preisspekulation stets mit erhöhter Volatilität einhergeht (Überschießen),
dürfte der Rohölpreis schon 2015 wieder leicht nach oben korrigieren (auf 75 $ je Barrel im Jahresdurchschnitt).
Bis 2019 unterstellt die vorliegende Prognose einen Anstieg auf 105 $; somit ist der Durchschnittspreis um rund
15 $ niedriger als in der mittelfristigen WIFO-Prognose 2013.
Dies stärkt die Konjunktur im Euro-Raum etwas. Der anhaltend hohe Schuldenüberhang im privaten Sektor
verringert die Konsum- und Investitionsmöglichkeiten aber nach wie vor. Die Nachfragestützung der öffentlichen
Hand ist in weiten Teilen des Euro-Raumes zu gering, um eine Entschuldung des privaten Sektors zu ermöglichen.
Zudem wächst die deutsche Wirtschaft - die größte Europas - über hohe Leistungsbilanzüberschüsse
zulasten ihrer Handelspartner, statt die günstige Finanzierungslage für expansive Fiskalpolitik zu nutzen.
Die vielfach mit der Euro-Finanzmarktkrise erhöhten Risikoaufschläge drücken die zu geringe private
Nachfrage zusätzlich. Dies dämpft wiederum die Inflation, was den Schuldenabbau weiter erschwert und
die Realzinssätze erhöht. Neben der schwachen Preisentwicklung wird in den kommenden Jahren auch die
Verschärfung der Fiskalregeln die Konjunktur belasten, da die hohe Liquiditätsbeschränkung im privaten
Sektor expansive ricardianische Effekte (Mehrausgaben in der Gegenwart in Antizipation künftiger Steuersenkungen)
nicht zulässt. Der neue Investitionsplan der Europäischen Kommission sieht vor allem Bürgschaften
für private Investitionen vor; die Ursache der Investitionsschwäche, mangelnde Absatzperspektiven wegen
zu geringer Einkommenszuwächse, wird dadurch nicht behoben. Staatsanleihenkäufe der EZB werden die Zinsstrukturkurve
abflachen und die Staatshaushalte entlasten. Zudem würden sie Finanzmarktstress unterbinden, falls weitere
Turbulenzen im Euro-Raum auftreten, etwa ein Austritt Griechenlands. Die reale Wachstumsrate beträgt im Euro-Raum
mittelfristig 1,3%.
Deutschlands durch Lohnzurückhaltung generierter Leistungsbilanzüberschuss bleibt auch mittelfristig
hoch, da eine Aufwertung nicht möglich ist (der Euro wird wegen der weiteren geldpolitischen Lockerung eher
abwerten). Die deutschen Exporte leiden aber unter dem Rückgang der Nachfrage aus Schwellenländern (insbesondere
aus China); hingegen treten die Nachteile der impliziten Unterbewertung der Währung (Mangel an Importnachfrage
gegenüber anderen engen Handelspartnern wie Frankreich und damit Schwächung von deren Konjunktur) immer
stärker zutage. Daher hemmt der Währungsverbund die Konjunktur in den kommenden Jahren. Auf Österreichs
zweitwichtigstem Exportmarkt, Italien, wird die Wirtschaftsleistung neben der Nachfrageschwäche mittelfristig
auch durch mangelhafte ordnungspolitische Rahmenbedingungen gestört. Bei der Durchsetzung vertraglicher Ansprüche
ist die Justiz in Italien laut dem Doing-Business-Bericht der Weltbank (2014) äußerst ineffizient. Der
administrative Aufwand von Unternehmen für die Steuerabfuhr ist in Italien bei Weitem der höchste innerhalb
der EU.
Wie schon in der mittelfristigen WIFO-Prognose 2013 ist der Konjunkturausblick für die USA weltweit am günstigsten.
Eine schuldnerfreundliche Insolvenzgesetzgebung sorgte für einen raschen Abbau des Privatschuldenüberhanges
nach der Finanzmarktkrise. Darüber hinaus stützt ein großzügiges öffentliches Budgetdefizit
die Konjunktur. Die Staatsschuldenquote nimmt mittelfristig nicht zu -anders als im Euro-Raum, wo zwar die Neuverschuldung
der öffentlichen Hand viel geringer ist, aber auch das Wirtschaftswachstum und die Inflation. Die reale Wachstumsrate
beträgt in den USA mittelfristig 2,8%.
China dürfte auf Basis der neuberechneten internationalen Kaufkraftparitäten die USA 2014 als weltgrößte
Volkswirtschaft abgelöst haben. Das Wachstum verliert zwar weiter an Dynamik, bleibt weltweit aber am höchsten.
Die in letzten Jahren markant gestiegenen Einkommen erhöhen Kaufkraft und Wohlstand, die Währung wertet
weiter auf. Allerdings belasten die staatlich geförderte exzessive Investitionstätigkeit und die damit
verbundenen Fehlallokationen die Wachstumsaussichten zunehmend. Die erheblich ausgeweiteten Schulden wurden in
wenig transparente Zweckgesellschaften ausgelagert ("Schattenbanken") und bedrohen daher die Finanzmarktstabilität.
Die reale Wachstumsrate beträgt in China mittelfristig 6 1/2%. In Japan könnte die jahrelange Bilanzrezession
überwunden werden, da die Entschuldung der Unternehmen abgeschlossen ist. Dadurch fällt die Einschränkung
der Investitionstätigkeit von dieser Seite her weg. Die Wirtschaftspolitik wirkt insgesamt akkommodierend,
die für 2017 geplante zweite Stufe der Mehrwertsteuererhöhung bleibt aber ein Risiko für die Konjunktur.
In Russland wird die Wirtschaft 2015 wegen des Rohölpreisverfalls schrumpfen. Die Abwertung des Rubel wirkt
inflationstreibend, erhöht die Zahlungsausfälle im Bereich der Fremdwährungsschulden und belastet
damit die in Russland tätigen Banken. Sie mildert aber die negativen Effekte des Rohölpreisverfalls auf
die Exporterlöse und den Staatshaushalt. Auch mittelfristig bleibt der Ausblick für die russische Wirtschaft
getrübt, da die hohen Rohstoffpreise in der Vergangenheit - ähnlich wie in Brasilien - Defizite der Wirtschaftsstruktur
überlagerten.
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