Jülich (fz) – Sprechen und Sprache verstehen sind komplexe Leistungen, bei denen im Gehirn zahlreiche Gebiete
zusammenarbeiten. Der JARA-BRAIN Wissenschaftler Prof. Karl Zilles und ein Team aus Jülich, Aachen, Leipzig
und Finnland konnten nun erstmals nachweisen, dass es einen einzigartigen molekularen Fingerabdruck gibt, der die
sprachrelevanten Hirnregionen auszeichnet. Der gemeinsame Code definiert sich durch die spezifische Konzentration
verschiedener Transmitterrezeptoren, die Schlüsselmoleküle der Signalverarbeitung sind. Ihre typischen
Konzentrationen in den Sprachregionen unterscheiden sich deutlich von denen anderer Regionen, die keine sprachrelevanten
Aufgaben wahrnehmen. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im renommierten Fachmagazin "Cortex"
publiziert. (DOI: 10.1016/j.cortex.2014.07.007)
Beim Sprechen und Sprachverständnis arbeiten nicht nur nahe zusammenliegende, sondern auch weit entfernte
Gehirnareale zusammen. Laute müssen aufgenommen und Begriffen zugeordnet, Wörter im Satzzusammenhang
erfasst werden und vieles mehr. Diese Informationen werden über Nervenfasern weitergeleitet und in den beteiligten
Sprachregionen verarbeitet. "Bisher war die molekulare Grundlage dieser Verarbeitungsprozesse nicht bekannt",
erläutert der Neuroanatom Karl Zilles. Ihm und seinem Team gelang es, den molekularen Code zu bestimmen, indem
sie in einem aufwändigen Prozess Tausende von hauchdünnen post mortem Hirnschnitten analysierten. Im
Fokus des wissenschaftlichen Interesses standen dabei fünfzehn verschiedene Transmitterrezeptoren, die bei
der Signalübertragung im Gehirn eine große Rolle spielen. Transmitterrezeptoren sind komplexe Eiweißmoleküle,
die als "Andockstationen" für Botenstoffe wie etwa Glutamat, GABA, Acetylcholin, Noradrenalin, Serotonin
und Dopamin im Gehirn dienen. Sie sitzen in der äußeren Hülle ("Membran") der Nervenzellen.
Mit der quantitativen Rezeptorautoradiographie machten die Forscher die Verteilung und Konzentration dieser Rezeptoren
in den acht untersuchten Hirnarealen für Sprachverständnis und in zahlreichen anderen, nicht-sprachrelevanten
Arealen sichtbar.
"Bei unseren Untersuchungen erhielten wir eine sehr genaue Vorstellung davon, in welcher Konzentration die
Rezeptoren an welcher Stelle des jeweiligen Hirnareals vorlagen", so Zilles. Um zu sehen, welche Areale miteinander
in Verbindung stehen, verglichen die Forscherinnen und Forscher anschließend die Rezeptorausstattung der
unterschiedlichen Regionen mit Hilfe eines statistischen Verfahrens, der hierarchischen Clusteranalyse. Damit lassen
sich in großen Datenmengen Gruppen identifizieren, die Gemeinsamkeiten haben – sogenannte Cluster. Das Ergebnis:
"Die molekularen Fingerabdrücke der sprachrelevanten Areale ähnelten sich, so dass sie ein Cluster
bilden. Dieses unterscheidet sich deutlich von Clustern anderer Hirnregionen, die beispielsweise sensorische Signale
aus den Augen, Ohren oder den Tastorganen weiterverarbeiten." Bei der Clusteranalyse zeigte sich außerdem,
dass das Sprachcluster in der linken Hemisphäre mehr Regionen umfasst als in der rechten. Dies entspricht
auf molekularer Basis der klinischen Erfahrung, dass die linke Hemisphäre beim Sprechen und Sprachverständnis
dominiert.
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