Gespräch zum Internationalen Holocaust-Gedenktag im Parlament
Wien (pk) – "Nie hätte ich gedacht, im österreichischen Parlament einmal ein solches Gespräch
führen zu können", sagte ein tief bewegter Ari Rath im Gespräch mit Moderator Michael Kerbler.
Bei der Gedenkveranstaltung im Sitzungssaal des österreichischen Nationalrat anlässlich des Internationalen
Holocaust-Gedenktages erörterten Rath und Kerbler am 27.01. die schwierigen Fragen des Erinnerns, des Verzeihens
und der Verdrängung und welche Lehren aus der Vergangenheit für das Heute gezogen werden können.
Er habe lange gezögert, die österreichische Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen, als ihm dieses
Angebot gemacht wurde, berichtete Rath. Grund dafür waren Erfahrungen, die sich tief eingeprägt hatten.
Dazu gehört etwa die große Begeisterung, mit der sich nach dem "Anschluss" viele ÖsterreicherInnen
daran machten, ihre jüdischen NachbarInnen auszuplündern und zu demütigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg
habe es lange gedauert, bis Österreich bereit war, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Dazu bedurfte es
erst der so genannten "Waldheim-Affäre", stellte Rath fest. Er erinnerte in diesem Zusammenhang
auch an einen Satz, den Bundeskanzler Franz Vranitzky anlässlich seines Besuchs in der Gedenkstätte Yad
Vashem formuliert hatte: "Die Gefahr ist noch nicht gebannt, wir müssen wachsam sein." Auch heute
gebe es politische Entwicklungen, die ihn mit Sorge erfüllen, stellte Rath fest.
Es sei seine feste Überzeugung, dass man die Geschichte nicht verdrängen dürfe. "Die Wurzeln
der Zukunft liegen in der Vergangenheit", zitierte Rath einen Freund, den amerikanischen Reformrabbiner Herbert
A. Friedman. Zukunft könne erst entstehen, wo die Bereitschaft vorhanden ist, aus der Vergangenheit zu lernen.
Verzeihen sei eine schwierige Sache, wenn es um eigentlich Unverzeihliches geht, darüber waren sich Rath und
Kerbler einig. Sein Zugang sei, dass man sich mit der nächsten Generation auseinandersetzen müsse, denn
hier stehe weniger das Verzeihen im Mittelpunkt als der Versuch, neue Verbindungen zwischen Menschen aufzubauen,
sagte Rath.
Aufbruch ins Ungewisse im Jahr 1938
Im Rahmen der Gedenkveranstaltung hatten auch Jugendliche die Gelegenheit, ihre Fragen an Ari Rath zu richten.
Bernadette Höbart-Schiessl, Christina Kroiß und Saraya Schwarzenecker, Schülerinnen der BAKIP 7
Marta Salvatoris, interessierten sich dafür, wie Rath die Zeit des Anschlusses und seine Auswanderung erlebt
hat und wie ihm im Vergleich dazu Wien heute erscheint.
1925 in Wien als Arnold Rath geboren, wuchs Ari Rath im Wiener Alsergrund auf. Als Schüler war er schon vor
1938 dem Wiener Alltags-Antisemitismus ausgesetzt. Schon 1934 ordnete der damalige Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg
an, jüdische SchülerInnen nach Möglichkeit in eigenen "Judenklassen" zusammenzufassen,
erinnerte sich Rath. Nach dem sogenannten "Anschluss" war es für ihn die zentrale Erfahrung, "über
Nacht vom Menschen zur Unperson geworden zu sein" und als solche der Willkür und Verfolgung ausgesetzt.
Dies änderte die Haltung gegenüber dem Zionismus und Palästina völlig. Bis 1938 habe unter
den Wiener Jüdinnen und Juden und damit auch in seiner Familie die Haltung vorgeherrscht, dass "einem
hier nichts passieren könne."
Er und sein Bruder gelangten über einen Kindertransport nach Palästina. "Es war keine geplante Reise,
sondern ein Aufbruch ins Ungewisse", erzählte Rath. Damals war er erst 13 Jahre alt. Er schreibe es seinem
starken Willen zu, dass er sich in den schwierigen Verhältnisse im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina
zurechtfinden konnte. Auch dort waren die Verhältnisse alles andere als friedlich. Italienische Bomberflugzeuge
aus Rhodos konnten Haifa und Tel Aviv erreichen, und die französischen Truppen in Libanon und Syrien wurden
anfänglich von Vichy-treuen Offizieren befehligt und bildeten ebenfalls eine Gefahr.
Wenn er heute durch Wien, vor allem die ehemalige "Mazzesinsel", den zweiten und zwanzigsten Bezirk,
gehe, so sei das immer mit einem gewissen Gefühl der Beklemmung verbunden, sagte Rath. Er fühle sich
immer "ein wenig wie auf einem Friedhof", denn die "Stadt ohne Juden" sei Wirklichkeit geworden,
wenn auch anders, als Hugo Bettauer sich das vorgestellt habe. Das jüdische Leben Wiens, das es heute wieder
gebe, sei jedenfalls nicht vergleichbar mit dem, was es vor 1938 war. Rath betonte, es falle ihm auch heute noch
nicht leicht, über diese Vergangenheit zu reden. Aber er sehe es als eine wichtige Aufgabe, als Zeitzeuge
für das Gespräch mit Jugendlichen zur Verfügung zu stehen. So lange es ihm noch möglich sei,
werde er diese übernehmen.
Die musikalische Gestaltung der Gedenkveranstaltung wurde von Ernst Molden übernommen.
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