Faymann: "Weniger oft den kleinsten
 gemeinsamen Nenner verkündigen"

 

erstellt am
27. 01. 15
11.00 MEZ

Wien (bpd) - Der Bundeskanzler in einer großen Interviewrunde mit den Chefredakteuren mehrerer Tageszeitungen.

Tageszeitungen: Österreich steht bei der Steuerreform vor der Entscheidung, in vielen Bereichen wird ein Reformstau beklagt. Was tun Sie?

Werner Faymann: Ich sehe eine historische Chance, unsere Schwächen auszubessern. Das sind neben der Frage der Gerechtigkeit vor allem Schule und Bildung. Arbeit ist zu hoch besteuert. Ich nehme Analysen von internationalen Instituten und Wirtschaftsexperten sehr ernst. Wenn aber im Bildungssystem gravierende Schwächen beim Lesen, Schreiben und Rechnen bemängelt werden, dann liegt auf dem Tisch, was zu tun ist. Leicht gesagt und schwer getan.

Tageszeitungen: Wo ist die größte Schwierigkeit bei der Steuerreform?

Faymann: Wir wollen fünf bis sechs Milliarden Euro investieren. Entscheidend ist aber: Wo soll das Geld dafür herkommen? In unserem Konzept stehen zwei Mrd. Euro aus dem vermögensbezogenen Bereich, da muss auch woanders Geld gesucht werden. Von den Steuereinnahmen gehen 40 Prozent automatisch an Länder und Gemeinden. Das heißt, wir brauchen eine Effizienzverbesserung im Rahmen von Steuerreform und Finanzausgleich. Es stellt sich die Frage: Wo sparen Länder und Gemeinden? Die öffentliche Verwaltung muss insgesamt billiger werden.

Tageszeitungen: Zuletzt hieß es, dass Stiftungen höher besteuert werden und Erbschafts- und Schenkungssteuer kommen könnten. Dafür verzichtet die SPÖ auf klassische Vermögensteuern.

Faymann: Am Schluss brauchen wir einen Kompromiss, die Menschen haben uns für Ergebnisse gewählt. Aber der Kompromiss muss Sinn ergeben. Es ist noch unklar, wo das Geld herkommt, die Kleinigkeit von fünf bis sechs Milliarden Euro muss auf den Tisch. Ich frage aber auch: Was ist mit der Transparenzdatenbank? Was wir in der Regierung auch brauchen, ist Mut zur Wahrheit. Man muss mehr durchsetzen und weniger kleinste gemeinsame Nenner verkündigen.

Tageszeitungen: Klingt nach härterem Kurs.

Faymann: Das Problem in einer Koalition ist: Ein Nein ist stark, ein Ja hingegen meist schwer zu erreichen. Ein anderes Wahlrecht wäre eine Alternative. Wenn ein Läufer auf der Streif auch nur eine Hundertstelsekunde vorn ist, dann hat er gewonnen. Im Sport ist das eindeutig, und ich könnte einer Veränderung auch in der Politik persönlich etwas abgewinnen. Die Opposition will bisher aber nicht. Wenn eine Wahlrechtsreform in Richtung Mehrheitswahlrecht weiter undurchsetzbar bleibt, wovon ich ausgehe, so muss eben Druck erzeugt werden, indem Konflikte ausgetragen werden. Das ist ja auch im Privaten oft besser. Es bringt nichts, die Existenz der Unterschiede zu leugnen, und es ist keine Schande, wenn es wie beim Handelsabkommen TTIP Unterschiede gibt. Konflikte sollen offen ausgetragen werden, Wadlbeißereien braucht kein Mensch.

Tageszeitungen: Wie sehen Sie den Zustand der Koalition mit der personell neu aufgestellten ÖVP?

Faymann: Manches ist leichter geworden, etwa bei den Diskussionen in der Bildung. Da merke ich den Unterschied, die Schnittmenge ist größer geworden, nicht aber bei anderen Fragen wie jüngst etwa bei Versetzungen beim Bundesheer. Wir müssen jetzt vieles weiterbringen, sonst wäre es absurd, bei der nächsten Wahl wieder die Große Koalition für die Erledigung großer Themen anzupreisen.

Tageszeitungen: Neben den Steuern ist die Bildung eine zentrale Frage, bei der sich herausstellen wird, ob Worten auch Taten folgen.

Faymann: Die Verkrampfung der Positionen ist gelöst, etwa in der Frage Gymnasium und Neue Mittelschule sowie bei der Ganztagsschule. Ich bin auch nicht dafür, dass Kinder da hingehen müssen, ich will den Eltern aber sagen können, wo die nächste Schule ist. Verallgemeinerung ist zuweilen ein Problem. Ich brauche nicht überall mehr Lehrer oder Sprachtrainer, deshalb muss ich das ja nicht überall tun, sondern nur, wo es notwendig ist. In der Neuen Mittelschule brauche ich vielleicht nicht überall zwei Lehrer, sondern oft nur einen und bei Bedarf auch drei. Und Schulautonomie kann ja nicht heißen, dass sich der Direktor nur die besten Schülerinnen und Schüler aussucht, sondern er müsste sich die Lehrer aussuchen können. Dafür bräuchte es einen Pool und eine bessere Versetzbarkeit. Lehrer sind laut Rechnungshof 100 Stunden zu wenig in der Klasse. Das kann ich lösen, wenn ich das nicht will, kann ich auch noch 50 Stunden weglassen. Es kostet halt viel. Die Zeit ist gut für Reformen, weil es aus der Bevölkerung einen gewissen Rückenwind gibt.

Tageszeitungen: Sie haben jüngst beim SPÖ-Parteitag nur knapp 84 Prozent der Stimmen erhalten, worauf eine Diskussion über einen Nachfolger ÖBB-Chef Christian Kern einsetzte. Waren in der Zwischenzeit Parteigranden bei Ihnen, die Ihnen zusagten, dass es einen Führungswechsel nicht geben wird?

Faymann: Reiche werden immer reicher und Arme ärmer, die Mittelschicht zerreißt es, für uns in der SPÖ ist das ein Albtraum. Den Parteitag habe ich nicht negativ empfunden. Es gab kein Ergebnis wie einst bei Bruno Kreisky oder Franz Vranitzky, aber es ist ein gutes Zeichen, wenn weit über drei Viertel auch in schwierigen Zeiten sagen, man solle weiter Verantwortung tragen statt von der reinen Lehre in der Opposition zu träumen. Die SPÖ kenne ich genau, auch alle möglichen internen Diskussionen. Von Christian Kern habe ich in der Partei nichts gehört, obwohl ich sehr gute Ohren habe. Das sehe ich als reine Mediendiskussion.

Tageszeitungen: Die SPÖ-Landeshauptleute Voves und Niessl haben gefordert, dass die Nichtbereitschaft zur Integration strafbar sein soll. Auch Ihre Ansicht?

Faymann: Dass es heißt, man solle sich in Österreich an Gesetze halten, finde ich noch nicht spektakulär. Die Frage ist, muss ich Gesetze weiter ändern? Wir haben ja auch eine ganze Liste an Anti-Terror Regelungen beschlossen. Die Frage ist nicht so kontroversiell, wie es scheint. Auf den Terror muss ich reagieren, indem ich der Polizei bessere Ausrüstung gebe, ich brauche aber gleichzeitig soziale Maßnahmen bei Jugendlichen. Es geht nur mit einer Kombination aus Strafe und Hilfe.

Dieses Interview mit dem Bundeskanzler wurde am Wochenende in Kitzbühel von den Chefredakteuren der Bundesländer-Zeitungen und "Die Presse" geführt.

 

 

 

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