Salzburgs Handelsstruktur und Raumordnung
 auf dem Prüfstand

 

erstellt am
09. 02. 15
11.00 MEZ

Rössler präsentierte Studie über aktuelle Kaufkraftströme: Mehr Chancengleichheit für den ländlichen Raum
Salzburg (lk) - Seit vielen Jahren ist das Bundesland Salzburg mit einem sehr ungleichen Wachstum von Verkaufsflächen im Handel konfrontiert – mit weitreichenden Konsequenzen für den Flächenverbrauch und die Raumordnung des Landes. Mit der großangelegten Studie der Firma CIMA Austria Beratung + Management GmbH ist es nun möglich, wesentliche Parameter dieser Entwicklung auch in konkrete Zahlen zu fassen. Das Ergebnis ist eindeutig: Salzburg verfügt bereits über mehr als eine Million Quadratmeter Verkaufsfläche, das ist ein Spitzenwert im Bundesländervergleich. Der massive Verkaufsflächenzuwachs führt nicht nur zu einem hohen Landschaftsverbrauch, sondern verursacht auch massive Kaufkraftverschiebungen, die vor allem die Ortskerne in ländlichen Regionen schwächen.

Bei der Präsentation der Studie gemeinsam mit dem CIMA-Geschäftsführer Mag. Roland Murauer betonte Raumordnungsreferentin Landeshauptmann-Stellvertreterin Dr. Astrid Rössler am 06.02.; "Verantwortungsvolle Raumordnungspolitik muss sich stärker der Chancengleichheit des ländlichen Raumes widmen und dabei das Zusammenspiel und die Vielfalt von Handel, Wohnen und sozialen Beziehungen in den Ortszentren fördern. Wenn wir wollen, dass Ortskerne und ländlicher Raum mit Leben erfüllt sind, müssen wir die entsprechenden Strukturen stärken." Angesichts der besorgniserregenden Studienergebnisse sind für Rössler Konsequenzen dringend notwendig: Es gelte gegenzusteuern und Fehlentwicklungen zu stoppen.

Zentrale Studienergebnisse
Auf Basis der im Jahr 2004/2005 erstmals durchgeführten Einzelhandels- und Kaufkraftstromanalyse SABE-V für das Bundesland Salzburg sowie die angrenzenden oberbayerischen Landkreise wurden im Zeitraum März bis Dezember 2014 die wichtigsten handelsspezifischen Standortkennzahlen einer fundierten Evaluierung unterzogen.

Die Analyse der aktuellen Kaufkraftströme umfasste dabei rund 15.000 telefonische Haushaltsinterviews im Bundesland Salzburg sowie den angrenzenden Regionen (z.B. Oberbayern, Oberösterreich, Tirol, Kärnten, Steiermark). Zusätzlich wurden in 13 ausgewählten "zentralen" Handelsstandorten des Bundeslandes Salzburg 2.748 Handelsbetriebe hinsichtlich Verkaufsflächen- und Sortimentsstruktur, Betriebstyp etc. begutachtet.

Sehr hohe "Einkaufstreue" der Bevölkerung
2,9 Milliarden Euro umfasst das gesamte einzelhandelsspezifische Kaufkraftvolumen im Bundesland Salzburg. Von dieser Summe verbleiben 87 Prozent in den Handelsbetrieben des Bundeslandes (-4 Prozent seit 2007). Besonders hoch fällt die "Standorttreue" der rund 534.000 Salzburgerinnen und Salzburger bei "Waren des täglichen Bedarfs" (91 Prozent Bezirksbindung) aus. Bei den für einen Einkaufsstandort besonders wichtigen mittelfristigen Bedarfsgruppen (Bekleidung, Schuhe, Sportartikel, etc.) liegt die Bundesland-Eigenbindung bei 80 Prozent. Bei den langfristigen Sortimenten (z.B. Möbel, Elektrowaren, Baumarktartikel) beträgt der Eigenbindungswert 87 Prozent.

Betrachtet man die lokalen Kaufkrafteigenbindungen in den 13 untersuchten "zentralen" Handelsstandorten fällt auf, dass neun wichtige Handelsdestinationen im Bundesland seit 2004/2005 negative Entwicklungen, insbesondere die einwohnerstarken Flachgauer Zentralorte (z.B. Seekirchen –10 Prozent; Neumarkt am Wallersee -7 Prozent; Oberndorf -7 Prozent) zu verzeichnen hatten. Darüber hinaus stellte die Studie fest, dass in nur vier der 30 weiteren "kleinregionalen" Zentren des Bundeslandes die Kaufkrafteigenbindung zunahm. Alle übrigen Orte stagnierten bzw. mussten erhebliche Einbußen hinnehmen.

Verkaufsflächenentwicklung an Standorten mit rückläufiger Bevölkerung
Das gesamte Bundesland Salzburg weist derzeit eine Verkaufsfläche von 1,04 Millionen Quadratmeter auf (davon 29 Prozent in den Orts- und Stadtkernen). Im Bundesländer-Vergleich liegt Salzburg mit 1,94 m2 Verkaufsfläche pro Einwohner nur knapp hinter Kärnten (2,0 m2 Verkaufsfläche pro Einwohner) an zweiter Stelle in Österreich.

Während im gesamten Bundesland seit 2004/2005 die Verkaufsfläche um elf Prozent angestiegen ist, konnten in einzelnen Teilgebieten sehr unterschiedliche Entwicklungen festgestellt werden (z.B. Salzburg Stadt und Umland +18 Prozent; Innergebirgs-Handelsstandorte +36 Prozent).

Besonders auffallend ist die hohe Verkaufsflächenexpansion an Standorten mit rückläufiger Bevölkerungsentwicklung z.B. Zell am See mit +53 Prozent Verkaufsflächenzuwachs bei -1 Prozent Bevölkerungsrückgang; Tamsweg mit +25 Prozent Verkaufsflächenzuwachs bei -5,4 Prozent Bevölkerungsrückgang; Mittersill mit +36 Prozent Verkaufsflächenzuwachs bei -2,5 Prozent Bevölkerungsrückgang.

Enormer Standortwettbewerb unter "Innergebirgs"-Handelsstandorten
Aufgrund der enormen Verkaufsflächenentwicklung innerhalb der vergangenen zehn Jahre an einzelnen Standorten im Pinzgau und Pongau ist es zu regelrechten "Kannibalisierungseffekten" bei den Markt- und Einzugsgebieten zwischen den größeren Standorten gekommen. So konnte beispielsweise Zell am See, vor allem aufgrund der Expansion von Fachmärkten im Ortsteil Schüttdorf, sein Einzugsgebiet um 57 Prozent ausdehnen. Gleichzeitig reduzierte sich das entsprechende Einzugsgebiet von Saalfelden um 47 Prozent. Ähnliche Entwicklungen waren zwischen St. Johann und Bischofshofen zu beobachten.

Starker Kaufkraftzufluss aus Nachbarregionen
Die Kaufkraftzuflüsse aus den Nachbarregionen Salzburgs belaufen sich aktuell auf 269 Millionen Euro (+55 Prozent seit 2004/2005), wobei jedoch im Wesentlichen nur drei Salzburger Handelsdestinationen Nutznießer dieser Zuflüsse sind (Salzburg Stadt: 65 Prozent Anteil; Wals und Eugendorf: 25 Prozent Anteil).

Nach wie vor besonders attraktiv sind die Salzburger Handelszonen für die Konsumentinnen und Konsumenten aus dem angrenzenden Oberbayern (140 Millionen Euro Zufluss; +40 Prozent seit 2004/2005). Aber auch das benachbarte Oberösterreich, und hier insbesondere der Bezirk Braunau, ist ein wichtiges "Kaufkraftreservoir" für den Salzburger Handel (102 Millionen Euro Zufluss; +86 Prozent seit 2004/2005).

Virtuelle Einkaufswelten als größter Konkurrent des Einzelhandels
Der Online-Einzelhandel ist mittlerweile der stärkste Konkurrent für den Salzburger Einzelhandel. Insgesamt 159 Millionen Euro (das sind 5,5 Prozent des landesweiten Kaufkraftvolumens; +205 Prozent seit 2004/2005) fließen in diese virtuellen Einkaufswelten.

Positive Kaufkraftbilanz mit Nachbarregionen
Die Kaufkraftbilanz des Bundeslandes Salzburg mit seinen Nachbarregionen fällt deutlich positiv aus (+147 Millionen Euro; +36 Prozent seit 2004/2005). Besonders positiv ist die Bilanz mit dem oberbayerischen Raum (+77 Millionen Euro; +4 Prozent seit 2004/2005) sowie mit Oberösterreich (+66 Millionen Euro; +125 Prozent seit 2004/2005).

Tourismus als wichtiger Umsatzbringer für den Handel
Der gesamte Einzelhandelsumsatz im Bundesland beläuft sich auf knapp 3,54 Milliarden Euro. 15 Prozent oder 516 Millionen Euro stammen von Tages- und Nächtigungsgästen.

Salzburger Zentralraum mit höchster Umsatzkonzentration
Im Vergleich zu den anderen Landeshauptstadtballungsräumen weist die Stadt Salzburg mit seinen unmittelbar angrenzenden Gemeinden mit rund 48 Prozent Anteil am Bundesland-Wert die höchste Konzentration alles vergleichbaren österreichischen Regionen auf (z.B. Ballungsraum Graz: 40 Prozent; Ballungsraum Innsbruck: 39 Prozent; Ballungsraum Linz: 32 Prozent).

Periphere Fachmarktzentren mit Umsatzauswirkung auf Stadtkerne
Der Vergleich zu den Daten von 2004/2005 zeigt klar auf, dass vor allem in jenen "zentralen" Handelsstandorten, welche innerhalb der vergangenen zehn Jahre neue periphere Fachmarktzentren angesiedelt haben, starke Umsatzeinbrüche in den jeweiligen Stadtkernen festgestellt werden konnten (z.B. Hallein: -12 Prozent; Straßwalchen: -27 Prozent; Zell am See: -16 Prozent).

Konsequenzen für die Raumplanung: Rückkehr in die Ortszentren
Angesichts der besorgniserregenden Studienergebnisse hält Landeshauptmann- Stellvertreterin Astrid Rössler Konsequenzen für dringend geboten: "Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, wir müssen hier dringend gegensteuern. Eine derartige Fehlentwicklung von Landschaftsverbrauch in peripheren Lagen, verbunden mit einem Wettlauf um Verkaufsflächenzuwächse, auf Kosten der bestehenden Handelsstrukturen in den Ortszentren müssen wir stoppen. Es bedarf einer Neubewertung der Standorte und Verkaufsflächen mit dem Ziel, die Ortskerne wieder zu stärken und damit eine Rückkehr der Verkaufsflächen in die Ortszentren zu bewirken", so Rössler.

Die Probleme lassen sich in wenigen Punkten zusammenfassen:
Durch die massive Konzentration großer Einkaufsflächen auf insgesamt wenige Standorte kommt es zu gravierenden Kaufkraftverschiebungen. Es gibt einige Gewinner, aber viele Verlierer, vor allem im ländlichen Raum.

Die Expansion an wenigen Standorten entwickelt zusätzlich Sogwirkung: alle verlieren an die "Mega-Agglomeration" Salzburg-Wals-Eugendorf. Der Verdrängungswettbewerb mit "Kannibalisierung" hat eingesetzt.

Die starke Verkaufsflächenentwicklung geht zu Lasten der Orts- und Stadtkerne. Der ländliche Raum mit seinen Regionalzentren wird stark geschwächt, das zeigt sich auch am Beispiel des Flachgaus – mit Ausnahme von Eugendorf – sehr deutlich.

Problematisch ist zudem die Tatsache, dass Salzburg mit dieser verfehlten Verkaufsflächenentwicklung nicht nur sich selber schadet: Es wird auch beachtliche Kaufkraft aus Bayern abgezogen. Damit unterläuft Salzburg die konsequente Raumordnungspolitik der bayerischen Nachbarn betreffend Einzelhandelsstruktur in den Ortskernen.

Rössler stellte unmissverständlich fest, dass die vorliegende Studie bei der Beurteilung von neuen Verkaufsflächen jedenfalls heranzuziehen ist.

Für laufende Ansuchen (derzeit 23 Fälle) wird es vor diesem Hintergrund ein vorgezogenes "Screening" geben, um unkritische Fälle zu identifizieren und allenfalls zu genehmigen; davon sind einige wenige Fälle betroffen.

Weitere Genehmigungen von größeren Verkaufsflächen und/oder Flächen an kritischen Standorten mit Agglomerationswirkung und/oder in peripherer Lage werden bis auf Weiteres ausgesetzt. Bei Standortverordnungen wird neben der projektspezifischen Beurteilung auch der vorliegenden Einzelhandelsstrukturuntersuchung zentrale Bedeutung zukommen.

Für die künftige Entwicklung von Verkaufsflächen im Bundesland Salzburg sollen regionale Masterpläne erstellt werden, die die Ziele und Weiterentwicklung des Einzelhandels in der jeweiligen Region definieren.

Die erforderliche Trendumkehr der Verkaufsflächenentwicklung wird in die Novelle zum Salzburger Raumordnungsgesetz mit einbezogen werden. Ein interkommunaler Finanzausgleich soll bei größerflächigen Handelsgebieten für eine gerechtere Verteilung der Steuergewinne sorgen.

 

 

 

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