Bundeskanzler Faymann und Minister Ostermayer berichten über aktuelle EU-Vorhaben in ihrem
Zuständigkeitsbereich
Wien (pk) – Die Europäische Union hat seit Herbst vergangenen Jahres mit Jean-Claude Juncker einen
neuen Kommissionspräsidenten und mit Donald Tusk einen neuen Ratspräsidenten. Ob sich das auf die EU-Politik
auswirken wird und wenn ja wie, ist noch offen. Für 2015 hat die neue EU-Kommission jedenfalls schon ein erstes
Arbeitspaket geschnürt. Welche Prioritäten in diesem Programm verankert sind, welche Schwerpunkte das
derzeitige EU-Vorsitzland Lettland verfolgt und mit welchen weiteren Themen sich die Staats- und Regierungschefs
der EU-Länder heuer vorrangig beschäftigen werden, darüber hat Bundeskanzler Werner Faymann dem
Nationalrat nun einen Bericht vorgelegt. Gemeinsam mit Kanzleramtsminister Josef Ostermayer informiert er die Abgeordneten
über aktuelle EU-Vorhaben in seinem und Ostermayers Zuständigkeitsbereich. Maßnahmen zur Ankurbelung
von Wachstum und Beschäftigung, die Ausweitung des digitalen Binnenmarkts und der forcierte Kampf gegen den
Terror sind demnach einige der Vorhaben, die auf der EU-Agenda ganz oben stehen.
Laut Bericht wollen die EU-Staats- und Regierungschefs heuer zumindest zu fünf Gipfeltreffen zusammenkommen.
Neben den regulären Tagungen des Europäischen Rates am 19./20. März, am 25./26. Juni, am 15./16.
Oktober und am 17./18. Dezember ist auch ein informelles Treffen am 12. Februar geplant. Bei diesem ersten Meeting
im heurigen Jahr soll es nicht nur – in Reaktion auf die Terroranschläge in Paris – um Maßnahmen zur
Terrorismusbekämpfung gehen, auch die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion wird eine gewichtige
Rolle spielen. Durch eine besser aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik soll nicht
zuletzt die Stabilität des Euro erhalten werden.
Insgesamt hat die EU-Kommission dem Bericht zufolge zehn Prioritäten für das Jahr 2015 festgelegt. Neben
neuen Impulsen für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen und einer engeren Koordination der Wirtschaftspolitik
werden unter anderem auch ein vertiefter, fairerer Binnenmarkt mit gestärkter industrieller Basis sowie "ein
vernünftiges und ausgewogenes Freihandelsabkommen" mit den USA genannt. Außerdem strebt die Kommission
eine neue Migrationspolitik sowie mehr Gewicht auf der internationalen Bühne an und will einen stärkeren
Fokus auf Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit legen. Ebenfalls auf der Liste: ein vernetzter digitaler Binnenmarkt
und eine robuste Energie-Union mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzpolitik.
Strategie "Europa 2020": Etliche Ziele drohen verfehlt zu werden
Besondere Bedeutung bei der Erreichung des Wachstumsziele der EU kommen der Strategie "Europa 2020" und
dem so genannten "Europäischen Semester" zu, wie aus dem Bericht hervorgeht. Da der wirtschaftliche
Aufschwung schleppender verläuft, als noch vor einem Jahr erwartet, sind zusätzliche Investitionen geplant,
die, so die Erwartung der Kommission, gemeinsam mit der Weiterführung von Strukturreformen und wachstumsfreundlicher
Haushaltskonsolidierung die Grundlage für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa schaffen sollen.
Dieser neue Investitionsschwerpunkt wird ausdrücklich auch von Österreich begrüßt.
Das Europäische Semester 2015 wurde durch den von der EU-Kommission Ende 2014 vorgelegten Jahreswachstumsbericht
eingeleitet. Dieser wird nun, wie der vorliegende Bericht erläutert, zunächst auf Ebene der Fachminister
beraten. Bei der Frühjahrstagung am 19./20. März wollen die Staats- und Regierungschefs dann die Fortschritte
bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen 2014 prüfen und sich auf neue Leitlinien für
die nationalen Reform- und Stabilitätsprogramme verständigen. Diese müssen bis spätestens Ende
April vorliegen und werden im Anschluss von der Europäischen Kommission bewertet. Für Mitte Juli ist
die formale Annnahme der länderspezifischen Empfehlungen 2015 geplant.
Was die Strategie Europa 2020 betrifft, hat eine Bestandsaufnahme im vergangenen Jahr ergeben, dass die EU-Bildungs-,
Klima- und Energieziele im Wesentlichen erreichbar sind, die Beschäftigungs-, F&E-, Investitions- und
Sozialziele hingegen nicht. Zudem verläuft die Umsetzung in den einzelnen EU- Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich.
Österreich sei allerdings dagegen, die Kernziele der Strategie zu ändern, hält der Bericht fest.
Vielmehr solle die konsequente Umsetzung der Strategie im Vordergrund stehen.
Darüber hinaus wird von Seiten der Regierung darauf gedrängt, das von der EU-Kommission in Aussicht gestellte
Sonder-Investitionspaket mit der Kohäsionspolitik abzustimmen. Insgesamt stehen laut Bericht für die
Verringerung der Kluft zwischen reicheren und ärmeren EU-Regionen in den kommenden Jahren rund 325 Mrd. €
zur Verfügung, das sind 34% des EU-Haushalts.
Für die EU-Strategie für den Alpenraum, die wie die Strategie für den Ostseeraum, den Donauraum
und den Adriatisch-Ionischen Raum staatenübergreifende Kooperationen fördern soll, soll im Juni 2015
ein fertiges Konzept vorliegen.
Funktionsfähigkeit der Europäischen Union soll verbessert werden
Im laufenden Jahr fortgeführt werden soll auch der Diskussionsprozess in eigener Sache. Um die Funktionsfähigkeit
der EU im Rahmen der bestehenden Verträge zu verbessern, hat der Rat der EU im Juli 2014 die Gruppe "Freunde
der Präsidentschaft" eingerichtet, mit dem Auftrag, die aktuelle Funktionsweise des institutionellen
Systems zu überprüfen und konkrete Verbesserungsvorschläge vorzulegen. Angeregt wird unter anderem,
die Kontakte zwischen der Kommission und den nationalen Parlamenten zu vertiefen, Gesetzgebungsakte im Nachhinein
zu evaluieren, die Zusammenarbeit der Trio-Präsidentschaft zu verbessern, nationale ExpertInnen bei der Vorbereitung
delegierter Rechtsakte einzubinden sowie die Fristen für die Subsidiaritätskontrolle durch die nationalen
Parlamente flexibler zu handhaben. Zudem soll nach Meinung der Expertengruppe die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips
nicht nur am Beginn eines Rechtsetzungsverfahrens geprüft werden, sondern während des gesamten legislativen
Prozesses unter Beobachtung stehen.
Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention verzögert sich
Ins Stocken geraten ist der angestrebte und im EU-Vertrag verankerte Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK). Ein auf Expertenebene erarbeiteter Entwurf für ein entsprechendes Abkommen
wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem im Dezember 2014 vorgelegten Gutachten zerpflückt.
Der Entwurfstext sei in wesentlichen Punkten nicht mit dem grundlegenden Unionsrecht vereinbar, so die Conclusio
der EU-RichterInnen. Unter anderem würde man laut EuGH mit dem Abkommen die unionsrechtlich gebotene Verpflichtung
der EU-Staaten zu gegenseitigem Vertrauen unterlaufen und die Befugnisse des EuGH einschränken. Zudem bestehe
die Gefahr, dass die Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaten beeinträchtigt wird
und dass Handlungen, die im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gesetzt werden, der
Kontrolle des Europäischen Menschengerichtshofs (EGMR), nicht aber der Kontrolle des EuGH unterliegen.
Neue Instrumente zur Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit
Bereits seit längerem wird auf EU-Ebene auch darüber diskutiert, wie die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit
durch die einzelnen EU-Länder besser gewährleistet werden kann. Sowohl das Europäische Parlament
als auch etliche Mitgliedstaaten sprechen sich dafür aus, zusätzlich zur bestehenden Möglichkeit
der Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren neue Instrumente zu schaffen, um stärkeren Druck auf schwarze
Schafe ausüben zu können, ohne gleich zur Keule der Aussetzung der vertraglichen Rechte des jeweiligen
Mitgliedstaates greifen zu müssen. Im Dezember 2014 hat sich der Europäische Rat nun darauf verständigt,
wenigstens einmal jährlich einen politischen Dialog über die Frage der Achtung der Rechtsstaatlichkeit
zu führen, wobei für die Dialogführung strenge Grundsätze wie Objektivität und Nichtdiskriminierung
gelten. Ende 2016 soll der Diskussionsprozess evaluiert werden.
EU will digitalen Binnenmarkt forcieren und Cyber-Sicherheit stärken
Um den digitalen Binnenmarkt voranzutreiben, hat die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm 2015 ein ambitioniertes
Paket angekündigt. Unter anderem sollen neue legislative Schritte gesetzt, der Regulierungsrahmen für
den Telekommunikationssektor ergänzt, die EU-Gesetzgebung zum Urheberrecht modernisiert und die Cyber-Sicherheit
gestärkt werden. Einzelne Initiativen werden schon länger verfolgt, etwa was die verbesserte Interoperabilität
der EDV-Systeme der öffentlichen Verwaltungen und den erleichterten grenzüberschreitenden Zugang von
BürgerInnen und Unternehmen zu IKT-gestützten öffentlichen Dienstleistungen anlangt. Inzwischen
in Kraft getreten ist die "elDAS-Verordnung" – sie verpflichtet die Mitgliedstaaten ab Mitte 2016 schrittweise
zur Anerkennung elektronischer Identifizierungen und von Vertrauensdiensten für elektronische Transaktionen.
Im Herbst vergangenen Jahres hat die EU-Kommission außerdem eine Vereinbarung zur Einrichtung einer öffentlich-privaten
Partnerschaft unterzeichnet, die auf die Bereitstellung einer eigenen europäischen Cloud zur sicheren Speicherung
sensibler Daten abzielt. Im Rahmen des Programms Horizon 2020 sollen dafür von Seiten der EU Investitionsmittel
von mehr als 500 Mio. € bereitgestellt werden. Die Kommission geht davon aus, dass die Partner aus der Privatwirtschaft
mindestens das Vierfache dieses Betrags investieren.
Zur Stärkung der Cyber-Sicherheit hat die EU-Kommission bereits im Februar 2013 einen Richtlinienentwurf vorgelegt,
mit dem öffentliche und private Betreiber wesentlicher Dienste – etwa in den Bereichen Energie, Verkehr, Bankwesen,
Finanzmarkt, Wasserversorgung, Gesundheit und Internet – dazu angehalten werden sollen, angemessene Sicherheitsvorkehrungen
zu treffen und signifikante Störfälle zu melden. Inzwischen zeichnen sich laut Bericht Annäherungen
zwischen den Mitgliedstaaten ab, eine Einigung könnte noch unter der derzeitigen lettischen Präsidentschaft
erzielt werden. Österreich habe zwar nicht alle Forderungen im aktuellen Textvorschlag untergebracht, etwa
was den Wunsch nach Einbeziehung der öffentlichen Verwaltung und Ausnahmeregelungen für kleine und mittlere
Unternehmen (KMU) anlangt, die Diskussion gehe aber in die richtige Richtung, heißt es von Seiten der Regierung.
Regierung warnt vor Abgehen von hohem Datenschutzniveau
Ebenfalls noch heuer abgeschlossen werden sollen die Verhandlungen über den neuen Datenschutz-Rechtsrahmen
der Union. Darauf drängt zumindest der Europäische Rat. Allerdings sind etliche Punkte noch strittig.
Für die österreichische Regierung ist es wesentlich, dass das derzeit geltende Datenschutzniveau nicht
unterschritten wird, sie sieht in diesem Zusammenhang noch viele Fragen offen.
Kultur: Neuer EU-Arbeitsplan für die Jahre 2015-2018
Ein eigenes Kapitel im Bericht ist dem Bereich Kultur gewidmet, der in die Zuständigkeit von Kanzleramtsminister
Josef Ostermayer fällt. Daraus geht unter anderem hervor, dass die im Rat "Kultur und Audiovisuelles"
vereinigten Fachminister im November des letzten Jahres einen neuen EU-Arbeitsplan für die Jahre 2015-2018
mit vier Prioritäten beschlossen haben. Demnach soll der Fokus auf eine für alle zugängliche Kultur,
das kulturelle Erbe, die Kreativwirtschaft sowie kulturelle Vielfalt und Mobilität gelegt werden. Außerdem
soll – unter Federführung von Eurostat – die Vergleichbarkeit von Kulturstatistiken verbessert werden. Österreich
betrachtet den Arbeitsplan auch als ein Instrument, um Best Practices zwischen den Mitgliedstaaten auszutauschen.
Als nicht sinnvoll wird von der Regierung die von manchen Ländern angestrebte Einbeziehung der Kultur in die
Strategie Europa 2020 betrachtet. Zum einen wolle man die Kernziele der Strategie nicht durch neue Themenbereiche
verwässern, zum anderen sei zu befürchten, dass sich die vorwiegende Beurteilung des Kultursektors nach
Wachstumsfaktoren wie Einnahmen und Besucherzahlen langfristig negativ auf Vielfalt, Qualität und Nachhaltigkeit
auswirkt, heißt es im Bericht.
Ausdrücklich von der Regierung begrüßt wird die im Kapitel "Audiovisuelles" in Aussicht
gestellte Überarbeitung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste.
Integration der Roma: Lob und Kritik für Österreich
Auch die Förderung von Volksgruppen fällt in die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes. Um die Situation
der Roma in Europa zu verbessern, hat die EU-Kommission bereits vor einiger Zeit einen Rahmen für nationale
Strategien zur Integration der Roma bis 2020 verabschiedet. Alle EU-Mitgliedstaaten bis auf Malta haben entsprechende
Konzepte vorgelegt. Für Österreichs Strategie gab es im April 2014 sowohl Lob als auch Kritik der EU-Kommission.
Vermisst wird etwa ein System zur Beurteilung der Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen, zudem könnte
Österreich mehr EU-Gelder abrufen und mehr in Richtung "Empowerment" tun. Positiv wurden hingegen
unter anderem das Gratis-Kindergartenjahr und die Ausbildungsmaßnahmen zur Unterstützung der Integration
von Roma in den Arbeitsmarkt beurteilt.
Mitgliederzahl des Ausschusses der Regionen wurde reduziert
Schließlich informiert der Bericht darüber, dass auf europäischer Ebene ein Kompromiss in Bezug
auf die notwendige Verkleinerung des Ausschusses der Regionen (AdR) von 353 auf 350 Mitglieder erzielt wurde. Demnach
mussten die drei kleinsten Mitgliedstaaten – Zypern, Estland und Luxemburg – je einen Sitz abgeben, ab 2020 sollen
die Karten aber neu gemischt werden. Österreich behält demnach vorerst seine 12 Sitze. Eine analoge Vorgangsweise
wird auch für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) angestrebt. Notwendig wurde der
Schritt, weil sowohl der AdR als auch der WSA mit dem EU-Beitritt Kroatiens die gesetzlich festgelegte Höchstzahl
von 350 Mitgliedern überschritten hat.
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