Das Atominstitut der TU Wien wertete japanische Messdaten aus, die nach dem Reaktorunglück
in Fukushima gesammelt wurden. Die Bemühungen Japans waren erfolgreich, trotzdem werden zusätzliche Messungen
empfohlen.
Wien (tu) - Noch nie wurden so viele Daten über Radioaktivität von Lebensmitteln gesammelt wie
in Japan seit dem Reaktorunglück von Fukushima. Über 900.000 Proben wurden untersucht, die Messergebnisse
wurden von den japanischen Behörden online zugänglich gemacht. Eine systematische Analyse dieser Daten
fehlte bisher allerdings, deshalb nahmen sich nun Spezialisten der TU Wien dieser Aufgabe an. Die Bemühungen
Japans werden gelobt, trotzdem werden zusätzliche Messungen empfohlen: Strontium-90 wurde bisher in den Analysen
nicht berücksichtigt, langfristig könnte dieses Nuklid aber eine wichtige Rolle spielen.
Japan stellt Daten frei zur Verfügung
"Die Bemühungen der japanischen Behörden waren gigantisch und im Wesentlichen auch sehr erfolgreich",
sagt Georg Steinhauser (Colorado State University / TU Wien). "Auch die Entscheidung, die Daten online zugänglich
zu machen, ist sehr begrüßenswert." Allerdings ist das bloße Sammeln von Daten ohne eine
fundierte Interpretation wenig hilfreich. Steinhauser analysierte daher gemeinsam mit Stefan Merz (TU Wien) die
Radiocäsium-Daten, die im ersten Jahr nach dem Unglück gemessen wurden.
Insgesamt überschritten im ersten Jahr nach dem Unfall japanweit 0,9% der gemessenen Proben die Grenzwerte
(in der Präfektur Fukushima waren es 3,3%). In der letzten zur Verfügung stehenden Beobachtungsperiode
vom 1. April 2014 bis 31. August 2014 waren es japanweit 0,2% (Präfektur Fukushima: 0,6%). "Das sind
allesamt relativ niedrige Prozentsätze", meint Georg Steinhauser.
Pflanzen, Tiere, Wasser
Untersucht wurden die Daten in drei Kategorien: Pflanzliche Produkte, tierische Produkte und Trinkwasser. "Die
Belastung des Trinkwassers war sehr gering, in den anderen Kategorien zeigen sich ganz typische zeitliche Verläufe",
erklärt Steinhauser. Die Radioaktivität der Gemüseproben war direkt nach dem Unfall sehr hoch -
allerdings kamen die meisten der Proben, die über dem Grenzwert lagen, nie auf den Markt. Die japanischen
Behörden hatten den Verkauf von Gemüse aus den betroffenen Gebieten rechtzeitig gesperrt.
Innerhalb eines Monats fielen die Maximalwerte etwa um einen Faktor zehn, vier Monate nach dem Unfall waren dann
gar keine Grenzwertüberschreitungen mehr festzustellen. "Interessant ist, dass einen weiteren Monat später,
im August 2011, die Maximalwerte wieder stiegen", berichtet Georg Steinhauser. "Die Pilzsaison hatte
begonnen, und Pilze sind bekannt dafür, Cäsium gut zu speichern." Dieser Effekt ging bald wieder
zurück, Mitte November 2011 allerdings waren noch einmal erhöhte Werte zu finden: Das war der Zeitpunkt,
als die getrockneten Pilze verkaufsfertig waren.
Bei den tierischen Produkten ergab sich ein völlig anderer zeitlicher Verlauf. Sie waren zunächst kaum
belastet, weil es Monate dauert, bis ein Tier relevante Mengen von radioaktivem Cäsium über die Nahrung
aufgenommen hat. Ab Frühsommer 2011 kam es aber auch bei tierischen Produkten zu Grenzwertüberschreitungen.
"Die Zahl der Personen, die aufgrund des Reaktorunglücks von Fukushima mehr als das erlaubte Millisievert
pro Jahr mit der Nahrung aufgenommen haben, dürfte sehr gering gewesen sein", sagt Georg Steinhauser.
"Solche Überschreitungen dürften fast ausschließlich bei Personen vorgekommen sein, die selbst
im Garten Lebensmittel angebaut oder Pilze gesammelt haben und somit die behördlichen Vorsichtsmaßnahmen
umgingen."
Zusätzliche Strontium-Messung nötig
Einen wichtigen Verbesserungsvorschlag für die japanischen haben die österreichischen Strahlenschutzexperten
allerdings trotzdem: "Strontium-90 ist ein besonders schwierig nachzuweisendes Radionuklid, es wurde bisher
von den Behörden ignoriert", sagt Steinhauser. Anfangs war das auch in Ordnung so - Strontium-90 tritt
nämlich immer gemeinsam mit Cäsium-137 auf. Eine Cäsium-Messung genügt nach dem Reaktorunfall
also, um die Gefahr einschätzen zu können.
Längerfristig ändert sich aber das Verhältnis der beiden Nuklide: Cäsium wird relativ schnell
von Mineralien immobilisiert, Strontium bleibt längere Zeit verfügbar und kann auch weiterhin von Pflanzen
aufgenommen werden. Wenn man also nun weiterhin bloß Cäsium misst, unterschätzt man möglicherweise
die Belastung durch Strontium-90. "Wir appellieren daher dringend an die japanischen Behörden, die Vorschriften
basierend auf einer Korrelation zwischen Strontium-90 und Cäsium-137 gemäß den Erkenntnissen in
unserem Paper anzupassen", sagt Georg Steinhauser.
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