Stadt als regionaler Kontext für Architektur – von 18. Februar bis 2. April 2015 im Ausstellungszentrum
im Ringturm
Wien (vig) - Die neue Ausstellung der Reihe Architektur im Ringturm des Wiener Städtischen Versicherungsvereins
führt in den Südosten von Zentral- und Osteuropa, nach Serbien. Geografisch gesehen gliedert sich Serbien
in zwei Landschaftstypen, die durch die Sava-Donau-Linie geteilt werden. Der Norden ist geprägt vom Flachland,
der Süden besticht durch seine abwechslungsreichen, gebirgigen Landschaften mit Hochebenen, Becken und Flüssen.
Aus dem Nord-Süd-Verlauf ergeben sich im gemäßigten Kontinentalklima unterschiedliche, mikroklimatische
Verhältnisse, die sich auch im Bauen als Kontext niederschlagen. Die Schau spannt einen Bogen von den Wegbereitern
moderner Architektur in den 1920er und 1930er Jahren bis hin zur Bauproduktion zwischen 1945 und 1980 - einer Epoche,
in der die Moderne als "staatstragende Stilrichtung" etabliert wurde. Die baulichen Spezifika im sozialistischen
Jugoslawien werden anhand zahlreicher Architekturbeispiele und Personenportraits herausgearbeitet, einige Beispiele
der zeitgenössischen Szene stellen die Verbindung zur Gegenwart her.
Stadt als regionaler Kontext für Architektur
Architektur im akademischen Sinne entwickelte sich in Serbien im Zusammenhang mit der Industrialisierung, die in
diesem Land gegen Ende der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Damit einher ging eine Urbanisierung,
die insbesondere im sogenannten zentralserbischen Industriegürtel - sehr stark durch österreichische
und deutsche Unternehmen geprägt - die Städte anwachsen ließ. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die
Hochkultur im Allgemeinen und die Baukultur im Speziellen von den Klöstern getragen. Das Fehlen einer städtischen
Tradition hatte zur Folge, dass es vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert keine Hauptstadt gab. Der wechselnde
Aufenthaltsort des Königs stellte jeweils für die Dauer seiner Anwesenheit vorübergehend die Hauptstadt
dar.
Industrialisierung begünstigt Stadtentwicklung
Städte entwickelten sich in Serbien im Nordteil aus großen Dörfern. Südlich der Sava-Donau-Linie
gingen sie hingegen kulturhistorisch aus der osmanischen Caršija, dem Markt im Zentrum der Siedlungen, hervor.
Die Entwicklung der größeren Städte wurde vor allem durch die zweite industrielle Revolution begünstigt.
Durch die einsetzende Mechanisierung begann die Landflucht. Während der Industrialisierung zwischen 1945 und
1965 verließen über 9 Millionen Menschen ihr dörfliches Umfeld. Durch die Binnenwanderung wurden
sowohl die Stadt als auch das Dorf zu kulturellen Hybriden und die Transformation der Stadt, in der es sich ländlich
lebte, war das Ergebnis.
Brilliante Persönlichkeiten der Moderne
Neben Nikola Dobrovic zählten vor allem Dragiša Brašovan (1887-1965), Branislav Kojic (1899-1987) und
Milan Zlokovic (1898-1965) zu den herausragenden Persönlichkeiten der damaligen, serbischen Architekturszene.
Sie formten nicht nur die Entwicklung der Architektur in der Hauptstadt seit den 1930er Jahren, sondern waren auch
als Hochschullehrer und Intellektuelle mit ihrem Werk bis in die 1960er Jahre im ganzen Land für mehrere Generationen
prägend. Zlokovic war einer der Gründerväter der "Gruppe der Architekten moderner Richtung",
die bei der Idee der modernen Architektur im neuen Staat der 1920er und 1930er Jahre eine bedeutende Rolle spielte.
Er zeichnete sich durch seine Herkunft, Mehrsprachigkeit und Ausbildung aus und seine Belgrader Bauten zählen
zu den außergewöhnlichen Architekturbeispielen, die bis heute bestehen und als begehbare Zeugen noch
immer einen wichtigen Bezugspunkt darstellen.
Die architektonische Handschrift bedeutender Serben
Als einer der wichtigsten Protagonisten der modernen Architektursprache in Novi Sad galt Djordje Tabakovic
(1897-1971). Von ihm stammen neben vielen kleineren Privatbauten stadtbildprägende Gebäude (mehrgeschossiges
Gebäude Dr. Rudolf Klein und Wohnhaus Dr. Jovanovic, beide 1932, oder Tanurdžicev-Gebäude mit seiner
signifikanten Eckrundung, alle im Zentrum der Stadt, 1934). Zu den wichtigsten Vertretern der darauf folgenden
Generation von Architekten zählen Ivo Antic (Museum zeitgenössischer Kunst, Belgrad, 1965), Aleksej Brkic
(das Büro- und Geschäftshaus Hempro, 1953, Sozialversicherungsgebäude, 1957; beide in Belgrad),
Milorad Matsura (Druckereigebäude der Armee in Belgrad, 1948-1950) und Bogdan Bogdanovic (1922-2010). Bogdanovic,
der beinahe 20 Jahre in Wien im Exil gelebt hat, leistete mit seinen Denkmälern und Zeichnungen, der Gestaltung
des jüdischen Friedhofs in Belgrad sowie seiner originellen "Dorfschule der Architektur" in Mali
Popovic einen eigenwilligen und doch tiefgründigen Beitrag zur architektonischen Kultur Serbiens. Als Ältester
der Architekturszene Serbiens lebt und publiziert immer noch der 1921 in Cacak geborene Mihajlo Mitrovic (Wohnbauten
in Niš; Wohnbau im Stadtzentrum Belgrads, 1964, Genex Center, 1970-1980).
Spitzenbauten der serbischen Architektur
Der politischen Strategie des langjährigen Staatschefs Tito ist es zu verdanken, was noch heute an erstaunlich
hochwertigen und internationalen Beispielen serbischer Bauproduktion aus jener Zeit vorhanden ist. Die Ikonen der
Wohn- und Verwaltungsbauten und der kulturellen Einrichtungen stammen fast alle aus der Zeit zwischen 1945 und
1980. Sie basieren zwar durchwegs auf der klassischen Moderne, die als repräsentative Architektursprache von
oben gewünscht war, wurden jedoch eigenständig entwickelt. Die Entscheidung der Machthaber, die Architektur
der Moderne zur "staatstragenden Stilrichtung" zu erklären, ist der wesentlichste Unterschied der
Baukultur Jugoslawiens und damit Serbiens zur Entwicklung in den Ländern des sogenannten Ostblocks. In Serbien
haben aber auch viele Architekten aus dem gesamten damaligen Bundesgebiet Jugoslawiens gebaut, denn die großen
Bauaufgaben waren fast durchwegs über landesweit offene Architektur-Wettbewerbe ausgeschrieben.
Das heute leer stehende Gesamtjugoslawische Parlament (Mihailo Jankovic, Antun Ulrich, Vladimir Potocnjak, Zlatko
Najman, Dragica Perak, 1947-1961), das Museum für Luftfahrt, (Ivan Štraus, 1969-1989), das Museum der Nationalen
Revolution in Novi Sad (Ivan Vitic, 1959-1963) oder der Wohnblock 28 in Novi Beograd (Ilija Anautovic, 1971) sind
Beispiele solcher Wettbewerbserfolge von Architekten aus anderen Bundesstaaten. Seinerzeit sollten Ausschreibungen
wie diese zur Belebung des Wissenstransfers innerhalb der Grenzen Serbiens ebenso wie zur Identitätsstiftung
in Gesamtjugoslawien beitragen. Diese Praxis führte zu einem anhaltend hohen Qualitätsbewusstsein, welches
durch regelmäßige, theoretische Beiträge in der in Belgrad erscheinenden Zeitschrift Arhitektura
i urbanizam gepflegt und weitergetragen wurde.
Metamorphose - ein Stadtteil in Veränderung
Spezielle Aufmerksamkeit verdient das bereits in den späten 1930er Jahren angedachte und ab den 1950er
Jahren entstandene Novi Beograd, ein kompletter Stadtteil mit zahlreichen Einzelarchitekturen. Auf den städtebaulichen
Grundlagen von Nikola Dobrovic, Miloš Sombarski und mehreren Städteplanern des Instituts für Urbanismus
für Belgrad ist es in der Ebene am linken Save- Ufer, die im 18. Jahrhundert noch Sumpfgebiet war, entstanden.
An dieser Neustadt wird unter permanenter Veränderung beziehungsweise Anpassung der idealplanerischen Vorgaben
in wechselnder Qualität bis heute gebaut. Sie gilt in ihrer architektonischen Gesamtheit als gelungenes Beispiel
einer geplanten Stadterweiterung der Spätmoderne unter starkem Einfluss der Charta von Athen. Bei den stark
durchgrünten Wohnvierteln ist die besonders angenehme Weitläufigkeit auffallend.
Schauplatz der Geschichte
Eine wenig bekannte Anlage, die sich durch herausragende Gesamtplanung auszeichnet, stellt der Trg partizana
(Platz des Partisanen) in Užice dar. In sensiblem Umgang mit der vorgefundenen Topografie hat der, unter anderem
in Rom ausgebildete, Architekt Stanko Mandic eine raumbildende Einheit von Gebäuden und Plätzen geschaffen,
die in Funktion, Maßstab, Wegführung und Blickrichtungen bis heute nichts von ihrer Atmosphäre
eingebüßt hat, auch wenn die ursprüngliche Komposition leicht erodiert ist. Das Postgebäude
wurde im Jahr 1999 durch NATO-Bomben zerstört und die, am Platz als wichtigster Bezugspunkt aufgestellte,
Tito-Statue gestürzt.
Serbiens Architekturschulen
Im Jahr 1846 wurde die einzige Architekturschule Serbiens in Belgrad gegründet. Heute existieren mehrere
Ausbildungsstätten in der Hauptstadt, eine zweite Architekturschule in Niš und ein Lehrgang in Novi Sad. Berichterstattung
und Auseinandersetzung über Architektur hat in der Belgrader Tageszeitung Politika Tradition: Seit über
50 Jahren erscheint hier eine Kolumne, meist von Mihajlo Mitrovic verfasst, in dessen Fußstapfen Bojan Kovacevic
zu treten beginnt. Seit 1960 (und heute unter veränderter Herausgeberschaft) erscheint monatlich die Fachzeitschrift
Arhitektura i urbanizam. Seit kurzem geben auch die Architektenvereine Niš und Novi Sad eine Zeitschrift heraus
(Arhitekt bzw. Dans). Seit 2003 wird in Niš neben einem jährlichen Architekturtag eine Architektur-Triennale
organisiert. Die jüngsten Vertreter der serbischen Architekturszene versuchen heutzutage eigene Wege zu gehen.
Dank der obengenannten Schulen existiert eine lebendige Szene, welche die tragfähigen Bauten der Moderne vor
Augen hat. Ein Bewusstsein für deren qualitätsvolle Erhaltung ist im Entstehen.
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