TTIP, Grexit, LUX-Leaks: Über diese und andere Themen diskutierten EU-Abgeordnete und
Regionalpolitiker vor dem überwiegend jugendlichen Publikum beim Bürgerforum in Leoben.
Leoben/Wien (europarl) - Wo beginnt Europa, wo endet es? Woher kommt die EU-Skepsis unter Europas BürgerInnen?
Diese Fragen stellte Moderator Stefan Winkler (Kleine Zeitung) zu Anfang des Bürgerforums in Leoben am 05.03.
Sündenbock EU
Der Europaabgeordnete Jörg Leichtfried (SPÖ, S&D) wies auf die Sündenbockfunktion der EU hin:
"Es herrscht die Ansicht, dass ,die in Brüssel' über uns entscheiden. Dabei sind es das Europäische
Parlament und der Rat, da sind wir Österreicher ja dabei."
Vizepräsidentin Ulrike Lunacek (Grüne/EFA) ergänzte, dass nationale Regierungen Entschlüsse,
die ihnen nicht passten, zu Hause so präsentierten, als ob "die in Brüssel" das entscheiden
hätten. "Gelingt aber etwas, dann tun sie, als hätten sie das erreicht, nicht ,die EU'."
Barbara Eibinger (ÖVP), Klubobfrau im steirischen Landtag, wies darauf hin, dass dieser der erste war,
der das Rederecht für Europaabgeordnete einführte. "Das ist für uns Abgeordnete wichtig, um
zu verstehen, dass wir Teil der Entscheidungen in Brüssel sind."
Es sei wichtig, die EU-Themen direkt zu den Bürgern zu bringen, "wie heute Abend": "Wir brauchen
zusätzliche Einrichtungen wie die Europahäuser, die diese Funktionen übernehmen."
Für den steirischen Unternehmer Martin Kargl (Neos) ist die EU selbstverständlich: "Die Neos lieben
Europa!" Transparenz, ein wichtiges Anliegen der Neos, sei zwar im Europäischen Parlament (EP) gegeben,
so Kargl, doch im Rat sei das leider nicht der Fall: "Dann wundert es mich auch nicht, dass die Minister und
Staatschefs daheim etwas ganz anderes erzählen, als bei den Treffen wirklich passiert ist."
Georg Mayer (FPÖ, fraktionslos) liebt zwar Europa, "aber nicht die EU". Das Problem, so Mayer, sei,
dass wichtige Entscheidungen wie aktuell jene um Griechenland, "im Hinterkammerl" beschlossen würden:
"Da gibt es null Transparenz, deshalb haben die Menschen kein Vertrauen."
Gemeinsame Außenpolitik
Die erste Frage aus dem Publikum betraf den von den Grünen angeregten und von den Fraktionschefs abgelehnten
Untersuchungsausschuss zu LUX-Leaks.
Es entbrannte eine Diskussion zwischen Ulrike Lunacek, die im EP Stimmen für den U-Ausschuss gesammelt hatte,
und Jörg Leichtfried, dessen Fraktion zu jenen gehörte, die den Ausschuss ablehnten. Stattdessen wird
nun ein Sonderausschuss installiert. Lunacek: "Der hat aber leider nicht das Recht, Regierungsdokumente einzusehen,
sondern ist abhängig vom guten Willen der Mitgliedsstaaten." Leichtfried konterte, dass der Sonderausschuss
ein breiteres Mandat und daher ebenso wichtige Kompetenzen habe.
Eine weitere Frage beschäftigte sich mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU: "Wir
haben einen Krieg vor den Toren Europas. Ist das Sache der Außenminister oder kann man das auf EU-Ebene lösen?"
Lunacek, Eibinger und Leichtfried sind sich einig, dass es hier mehr Kompetenz auf EU-Ebene braucht - ganz anders
sieht das Georg Mayer. Seit der Krise in der Ukraine sei er froh, dass es keine gemeinsame Außenpolitik gebe:
"Ich bin froh, dass die 28 nicht mit einer Stimme sprechen." Mayer stößt sich an den Sanktionen
gegen Russland. Den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, "eine unternehmerische Lösung" kann er
sich hingegen gut vorstellen.
Grexit steht nicht zur Debatte - da waren sich Leichtfried und Lunacek einig. "Man wird sich einigen, die
Griechen werden nicht in Konkurs gehen", so Leichtfried. Auch Eibinger gab sich zuversichtlich: "Die
Herren sind jetzt am Boden angekommen. Man wird mit ihnen verhandeln können."
Am einigsten waren sich die Diskutierenden beim Thema TTIP: Es darf keine Investitionsschutzklauseln (ISDS) geben.
"Wir bauen im Europäischen Parlament ein Drohszenario auf", erklärte Leichtfried, "schafft
die Kommission es nicht, bestimmte Punkte wie ISDS zu klären, dann wird das Parlament nicht zustimmen".
Außenhandel fair gestalten
Als letzten Punkt der Veranstaltung widmete man sich dem Thema "Europa als Sehnsuchtsort": "Wir
jammern viel in Europa, aber viele setzen ihr Leben aufs Spiel, um herzukommen", bemerkte Eibinger. Ein Publikumsgast
hatte nach gemeinsamer europäischer Asylpolitik gefragt. "Wir brauchen eine gemeinsame Asylpolitik und
Frontex soll die Aufgabe bekommen, Flüchtlinge in Seenot nicht nur aufzuspüren, sondern auch zu retten",
sagte Kargl.
Für Leichtfried stellt sich die Frage, was Europa tun kann, damit der Wunsch zu flüchten geringer wird.
Die Antwort liege einerseits in der Außenhandelspolitik (in Anspielung auf Afrika), andererseits in der Sicherheitslage.
Vizepräsidentin Lunacek, die sich auch eine gesamteuropäische Asylpolitik wünscht, erklärte,
woran diese scheitert: "Die Innenminister wollen kein einheitliches System. Da fehlt der politische Wille
beim Rat."
Das Bürgerforum in Leoben war das erste nach der Europawahl. Die Bürgerforen bieten Bürgerinnen
und Bürgern, denen europäische Angelegenheiten am Herzen liegen, die Möglichkeit, mit PolitikerInnen
zu diskutieren und ihnen Fragen zu stellen. Am Podium sitzen sowohl Europaabgeordnete (möglichst aus der Region)
als auch VertreterInnen der regionalen Politik.
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