Wien (tu) - Mit vier Millionen Euro fördert die EU ein internationales Forschungsprojekt, das von der TU
Wien geleitet wird. Ziel ist die Entwicklung einer Thoriumkern-Uhr, deren Genauigkeit alle heutigen Messmethoden
in den Schatten stellen soll. Atomuhren sind die genauesten Messinstrumente überhaupt, sie gehen erst nach
Milliarden Jahren um eine Sekunde vor oder nach. An der TU Wien möchte man aber noch einen Schritt weitergehen.
Mit Hilfe von Thorium-229-Kernen soll eine Atomkern-Uhr entwickelt werden, die noch deutlich präziser und
gleichzeitig einfacher und robuster ist als bisherige Atomuhren. Damit ließe sich sogar untersuchen, ob die
Naturkonstanten tatsächlich konstant sind, oder sich im Lauf der Zeit minimal verändern.
Im Rahmen des Wissenschaftsförderungsprogramms Horizon 2020 fördert die EU nun das Forschungsprojekt
„nuClock“ für vier Jahre mit insgesamt vier Millionen Euro, an dem neben der TU Wien auch andere Universitäten
und Firmen aus, Deutschland und Finnland beteiligt sind.
Der Atomkern als Taktgeber
Jede Uhr braucht eine möglichst konstante Schwingung, die den Takt angibt. Das kann die Schwingung eines
Pendels sein, die Oszillation eines Kristalls in einer Quarzuhr – oder aber der Schwingungstakt des Lichts, das
von Atomen absorbiert wird.
„Nach den Gesetzen der Quantenmechanik können sich die Elektronen eines Atoms nur in bestimmten Zuständen
mit bestimmter Energie befinden“, erklärt Prof. Thorsten Schumm. Mit einem Laser, dessen Lichtfrequenz genau
zur Energiedifferenz zwischen zwei solchen Niveaus passt, kann man ein Elektron vom tieferen in das höhere
Energieniveau anheben. Danach fällt es wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und sendet wieder
Licht mit derselben Frequenz aus. Mit solchen Methoden kann man den Energieunterschied zwischen zwei Quantenzuständen
extrem präzise messen und damit eine Frequenz sehr genau definieren. Die Sekunde ist heute als jene Periode
definiert, in der das charakteristische Licht des Übergangs zwischen zwei Zuständen des Cäsium-Atoms
genau 9.192.631.770mal schwingt.
Atomkern-Uhr statt Atomuhr
Alle bisherigen Atomuhren nutzen Übergänge in der Elektronenhülle des Atoms. Viel besser wäre
es allerdings, statt der Elektronen im Atom den Atomkern selbst zu verwenden. Der Atomkern ist tausendmal kleiner
als die Elektronenhülle und viel weniger anfällig für Störungen von außen. „In gewöhnlichen
Atomuhren müssen die Atome mühsam gegen elektromagnetischen Feldern abgeschirmt werden, unsere Atomkern-Uhr
wäre viel robuster“, sagt Thorsten Schumm. Die Thorium-Kerne muss man nicht einmal isoliert untersuchen, man
kann sie sogar in Kristalle einbauen und wird noch immer dieselben Energiezustände messen. Für eine Atomkern-Uhr
braucht man kein speziell präpariertes Labor, man könnte sie relativ kompakt bauen und dann beispielsweise
in einem Satelliten ins All schießen, für die nächste Generation des Navigationssystems GPS.
„Das Problem dabei ist allerdings, dass die Übergänge zwischen Zuständen des Atomkerns meist auf
einer ganz anderen Energieskala stattfinden“, erklärt Simon Stellmer (ebenfalls Atominstitut, TU Wien). Wenn
Elektronen ihren Zustand ändern, entsteht typischerweise Licht im Bereich von einigen Elektronenvolt, bei
Zuständen des Atomkerns können es auch mal 100.000 Elektronenvolt sein. Man braucht daher einen ganz
besonderen Atomkern, der zwei Zustände aufweist, die beinahe dieselbe Energie haben.
Thorium-229
„Der beste Kandidat dafür ist Thorium-229, ein sehr seltenes Isotop, das nur künstlich hergestellt werden
kann.“, sagt Thorsten Schumm. Weniger als ein Milligramm davon steht der Wissenschaft heute weltweit zur Verfügung.
„Es gibt derzeit viele Hinweise darauf, dass der Kern von Thorium-229 einen angeregten Zustand besitzt, der bloß
etwa 7 Elektronenvolt oberhalb des Grundzustands liegt.“ Für kernphysikalische Verhältnisse ist das eine
winzige Energiedifferenz. Die Lebensdauer dieses Zustands ist extrem lang: Erst nach tausenden Sekunden kehrt der
Atomkern vom angeregten Zustand wieder in den Grundzustand zurück – meist hat man es in der Quantenphysik
mit Lebensdauern von winzigen Sekundenbruchteilen zu tun.
„Quantenphysikalisch ist die Lebensdauer mit der Präzision der Messung verknüpft“, sagt Simon Stellmer.
„Je länger der angeregte Zustand lebt, umso präziser ist die Energie der dazugehörigen Strahlung
definiert.“ Einerseits ist das sehr positiv: Das Licht, das dem Übergang zwischen den beiden Thorium-Kernzuständen
entspricht, soll schließlich eine möglichst genau definierte Frequenz haben, damit man einen möglichst
genauen Taktgeber für die Zeitmessung zur Verfügung hat. Allerdings ist damit auch ein großes Problem
verbunden: Ebenso genau muss man nämlich die richtige Frequenz treffen, um den Übergang überhaupt
zu finden.
Die Thorium-Nadel im Frequenz-Heuhaufen
„Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Thorsten Schumm. „Man muss den Thoriumkern
mit genau der richtigen Lichtfrequenz bestrahlen, dann absorbiert er die Strahlung, geht in den etwas höheren
Energiezustand über, wechselt dann ein paar tausend Sekunden später wieder in den ursprünglichen
Zustand zurück und sendet dabei wieder Licht aus, das wir messen können. Doch wegen der extrem hohen
Genauigkeit, die man hier braucht, ist es sehr schwierig, den Übergang tatsächlich zu finden und seine
exakte Frequenz zu bestimmen.“ Jede mögliche Frequenz auszuprobieren würde unüberschaubar lange
dauern, daher arbeitet das Team an verschiedenen Möglichkeiten, der exakten Thoriumkern-Frequenz auf die Spur
zu kommen.
„Wenn wir den gesuchten Kernübergang erst mal zweifelsfrei identifiziert haben, dann kann man eine ganze Menge
damit machen“, ist Simon Stellmer sicher. „Alle nötigen Technologien zur technischen Nutzung dieses Phänomens
sind mittlerweile verfügbar – grundsätzlich haben wir nun ein gutes Verständnis davon, was zu tun
ist.“
Wie konstant sind die Naturkonstanten?
Wenn die Atomkern-Uhr erst funktioniert, wird es viele spannende Anwendungsmöglichkeiten geben. „Man wird
damit nicht nur Zeit messen, man möchte auch überprüfen, ob die grundlegenden Konstanten der Physik
wirklich konstant sind. Es gibt Theorien, die nahelegen, dass sich gewisse physikalische Größen, wie
etwa die Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung, im Lauf der Zeit langsam verändern“, sagt Schumm.
„Wenn sich herausstellt, dass sich die Naturkräfte über Milliarden Jahren wandeln, dann würde das
unser Verständnis vom frühen Universum völlig umkrempeln.“ Atomkern-Uhren wären so empfindlich,
dass man solche Veränderungen, sollte es sie tatsächlich geben, bereits im Lauf einiger Jahre messen
könnte.
Hochdotierte EU-Förderung
Die Entwicklung der Atomkern-Uhr ist eine hochkomplexe Aufgabe, sie benötigt die besten experimentellen Techniken,
Detektoren und Laser aus ganz unterschiedlichen Forschungsbereichen. Daher holte sich das Team der TU Wien noch
eine ganze Reihe von Partnerorganisationen an Bord. Im Projekt „nuClock“, das von der TU Wien geleitet wird, werden
in den nächsten vier Jahren nun auch Universitäten aus Deutschland und Finnland und ein Industriepartner
mitarbeiten. Gefördert wird das Projekt mit vier Millionen Euro – als eines von bloß 24 Forschungsprojekten
aus allen Fachbereichen in ganz Europa, die im Rahmen der FET-Open Ausschreibung des Wissenschafts-Förderprogramms
Horizon 2020 finanziert werden. Weniger als 4% der eingereichten Projekte wurden akzeptiert, die Förderung
gilt daher als große Auszeichnung.
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