Grundsätzliches Ja zur stärkeren Einbindung der BürgerInnen in die Gesetzgebung
Wien (pk) – Direkte Demokratie und Parlamentarismus ergänzen einander. So der Konsens der Parlamentsfraktionen
zur Halbzeit der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich, die am 11,03, zum vierten
Mal unter dem Titel "Meinungsbild der organisierten Zivilgesellschaft" zusammengetreten ist. Konkret
signalisierten die Fraktionen ein grundsätzliches Ja, was die stärkere Einbindung der BürgerInnen
in die Gesetzgebung betrifft, die Vorstellungen über ihre Ausgestaltung gehen jedoch auseinander. Sieht die
SPÖ hier noch Problematiken hinsichtlich Minderheiten, spricht sich die FPÖ klar für eine Volksgesetzgebung
aus. Dass ein Mehr an Demokratie und Mitbestimmung im Besonderen informierte BürgerInnen braucht, darüber
sind sich ÖVP, das Team Stronach und die NEOS einig. Die Grünen bleiben bei ihrem Vorschlag, das Modell
der dreistufigen Volksgesetzgebung einzuführen. Geleitet wurde die Sitzung vom Dritten Nationalratspräsidenten
Norbert Hofer.
SPÖ: Minderheiten müssen von Mehrheiten geschützt werden können
Geht es nach der SPÖ, sind bei der Weiterentwicklung der direkten Demokratie noch bestehende Spannungsfelder
zu lösen. Diese hätten sich auch durch die bisher 31 ExpertInnenmeinungen und Diskussionsbeiträge
gezeigt, so Peter Wittmann. Konkret gehe es etwa um das Verhältnis zwischen der Exekutive und der Legislative.
Der Legislative stärkeres Gewicht durch die weitere Partizipation der Bevölkerung gegenüber der
Exekutive zu geben, sei grundsätzlich zu befürworten. Zur Zeit werde eine eher "exekutivlastige
Politik" in der Öffentlichkeit vertreten, das Spannungsverhältnis zwischen dem Vollzug der Gesetze
und der Schaffung der Gesetze müsse neu definiert werden, stellte Wittmann fest. Bei der stärkeren Einbindung
des Bürgers in den Gesetzwerdungsakt ergeben sich aber auch Problematiken, sagte er, es stelle sich etwa die
Frage, wie Minderheiten von Mehrheiten geschützt werden können und welche Mechanismen einzurichten sind.
Außerdem sieht er die Gefahr, dass jenen, die sich Kampagnen leisten können, die Möglichkeit eingeräumt
wird, sich Gesetzestexte zu bestellen. "Jene, die schwächer sind und sich in der Gesellschaft nicht so
gut artikulieren können, dürfen nicht unter die Räder kommen", warnte Wittmann.
ÖVP: Echte, ernstgemeinte Partizipation braucht informierte BürgerInnen
"Partizipation in einer repräsentativen Demokratie ist kein Systembruch, sondern eine logische Konsequenz",
sagte Wolfgang Gerstl für die ÖVP. Voraussetzung dafür seien informierte BürgerInnen, die Zusammenhänge
verstehen können und konkrete Antworten auf spezifisch gestellte Fragen bekommen. Dieses Interesse gelte es,
von Seiten der Politik zu nähren, wichtig sei, dass BürgerInnen Informationen auch fernab der "geschliffenen
Pressetexte" einfordern können. "Lenken wir das Interesse auf uns, machen wir die interessierten
BürgerInnen zu einem von uns", sagte Gerstl und sprach sich für eine "echte, ernstgemeinte
Partizipation" und bessere politische Kommunikation aus. Der gemeinsame Nenner sollte die Sicherung der Demokratie
sein, stärken könne man diese nur durch Partizipation. Dieses Mehr an Mitbestimmung muss auch definiert
werden, wie Gerstl meinte, und plädierte für eine breit unterstützte Liste an konkreten Vorstellungen
für eine Demokratiereform. Schon hier sollten BürgerInnen in die direkten politischen Gesprächen
miteingebunden werden.
FPÖ spricht sich klar für Volksgesetzgebung aus
Mit der Einführung einer Volksgesetzgebung würde die Demokratie in Österreich wesentlich weiterentwickelt
werden, so die Position der FPÖ. Harald Stefan sah sich in der Forderung seiner Fraktion, der Bevölkerung
ein verbindliches Initiativrecht einzuräumen, durch die bisherigen abgegebenen Expertisen in der Enquete-Kommission
weitgehend bestätigt. Die Frage sei nun, ob man bereit ist, diesen Schritt zu setzen, zu berücksichtigen
sei auch der Schutz von Minderheiten, wie von Wittmann (S) angesprochen. Stefan sprach sich aber gegen eine "totale
Eingrenzung von Themen" beim Modell der Volksgesetzgebung aus, das würde direkte Demokratie nur wieder
aushöhlen, wie er meinte. Die Forderung nach Stärkung der direkten Demokratie heiße für die
FPÖ aber nicht, das Parlament zu schwächen, machte Stefan zudem klar. Der wesentliche Reiz bestehe darin,
dass nicht nur vom Parlament, sondern aus der Bevölkerung selbst relevante Themen angesprochen werden.
Grüne für Modell der dreistufigen Volksgesetzgebung
Dem Souverän muss die Möglichkeit gegeben werden, auch zwischen den Wahlen verbindlich Einfluss nehmen
zu können. Das funktioniere am besten mit dem Modell der dreistufigen Volksgesetzgebung auf Landes- und Bundesebene,
führte Daniela Musiol den Standpunkt ihrer Fraktion aus. Es seien noch viele Fragen offen, an einem bestimmten
Punkt müsse man aber von den Visionen in die Umsetzung übergehen. Ihr Appell sei daher, die Enquete-Kommission
nicht nur zum Informationsaustausch zu nutzen und an "kleinen Rädchen zu drehen", sondern "einen
großen Wurf" zu Stande zu bringen, auch auf die Gefahr hin, noch nachjustieren zu müssen. "Ich
bin nicht bereit, hier am Ende einen philosophischen Maßnahmenkatalog abzuwinken", stellte Musiol in
den Raum und forderte spätestens im Herbst Vorschläge zu gesetzlichen Änderungen. Evident sei dabei,
dass sich Parlamentarismus und direkte Demokratie nicht ausschließen.
Team Stronach hält am Modell der BürgerverterInnen fest
Geht es nach dem Team Stronach, soll direkte Demokratie eine Berücksichtig der Anliegen der Bevölkerung
als Basis für die Entscheidungsfindung durch politische Gremien sicherstellen. Es gehe aber nicht an, dass
sie zu einer Abschiebung der Verantwortung auf die Bevölkerung führt, sagte Rouven Ertlschweiger. Außerdem
dürfe direkte Demokratie nicht die Folge von sinkenden Umfragetiefs oder Politikverdrossenheit sein. Das Team
Stronach stehe nach wie vor zum Modell der BürgerverterInnen auf Bundesebene, wie in Vorarlberg bereits erfolgreich
eingeführt, so Ertlschweiger. Seine Fraktion halte außerdem vermehrte Volksbefragungen und Volksbegehren
zu Ermessensfragen sowie verstärkte Information der Bevölkerung, insbesondere im Bereich der politischen
Bildung im Unterricht, für sinnvoll. Außerdem stehe das Team Stronach für die verstärkte Einbindung
von VerterterInnen qualifizierter Organisationen wie NGO's und Fachorganisationen in die Informationsbeschaffung
etwa in parlamentarischen Ausschüssen und für Transparenz und weitgehende Information der Bevölkerung
über die Vorgänge in der Politik.
NEOS: "Direkte Demokratie funktioniert dann gut, wenn sie von unten kommt"
"Klar ist, dass direkte Demokratie und Mitbestimmung nichts ist, wovor wir uns fürchten müssen",
sagte Nikolaus Scherak für die NEOS.
In der bisherigen Diskussion seien zudem viele Punkte eingebracht worden, warum Mitbestimmung momentan nicht wirklich
funktioniert. Das habe damit zu tun, dass existierende Elemente so umgesetzt wurden, dass sie teilweise nicht ernstzunahmen
waren, führte Scherak aus und bewertete dies als "Scheinpartizipation". Direkte Demokratie funktioniere
besonders dann gut, und das würden die bisherigen Expertisen und Diskussionen belegen, wenn sie von unten
kommt. Geht es nach den NEOS, muss das Parlament offener und transparenter sein, das etwa durch längere Begutachtungsverfahren
oder einem "legal footprint" von Gesetzesvorschlägen für die bessere Nachvollziehbarkeit, wie
Initiativen entstehen. "Wir müssen die Menschen dauerhaft mitnehmen", sagte Scherak. Parlamentarismus
und direkte Demokratie müssten als klares Miteinander gesehen werden, im Mittelpunkt dabei stehen Scherak
zufolge aber die BürgerInnen und Bürger.
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Initiativen der Zivilgesellschaft und Interessenvertretungen am Wort
Zu Wort kamen dieses Mal vorrangig VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Initiativen, etwa von "mehr
demokratie!" und "Volksgesetzgebung jetzt". Durch eine verstärkte Bürgerbeteiligung würde
das Vertrauen in die Demokratie und die Legitimation gestärkt, Furcht vor dem Volk sei nicht angebracht, hielt
etwa Herwig Hösele von der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform stellvertretend für viele
Wortmeldungen fest. Allerdings gab es auch einige skeptische Stimmen. So warnte Claudia Rosenmayr-Klemenz seitens
der Wirtschaftskammer vor unerwünschten Folgewirkungen durch eine zu hohe Dosis direkter Demokratie.
Die Politikwissenschaftlerin Tina Olteanu plädierte dafür, einen stärkeren Fokus auf unkonventionelle
Formen der Bürgerbeteiligung zu richten. Auch Flash-Mobs, organisierte Nachbarschaftstreffen oder Hashtag-Kampagnen
könnten die öffentliche Meinung beeinflussen und damit etwas bewirken, gab sie zu bedenken. Namens des
Auslandsösterreicher-Weltbunds erhob Gustav Chlestil die Forderung, endlich E-Voting zu ermöglichen und
für AuslandsösterreicherInnen ein eigenes Nationalratsmandat zu reservieren. Die an der Enquete-Kommission
teilnehmenden BürgerInnen nutzten die Sitzung auch dazu, konkrete inhaltliche Anliegen zu äußern.
Gefordert wurde unter anderem die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und ein Verzicht auf
den Bau einer Schnellstraße in Hirschstetten.
Demokratie braucht gegenseitiges Vertrauen von Politik und Bevölkerung
Insgesamt waren zehn VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Initiativen, NGOs und klassischen Interessenvertretungen
zur Sitzung geladen, wobei die VertreterInnen der Zivilgesellschaft nicht nur einen Ausbau der direkten Demokratie
forderten. Dieser sei zwar wichtig, aber kein Allheilmittel, hielt etwa der ehemalige ÖVP-Politiker Hösele
(Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform) fest. Ergänzend dazu brauche es ein persönlichkeitsorientiertes
Wahlrecht. Ein solches sei Voraussetzung für selbstbewusste MandatarInnen und würde den Einfluss von
Parteiapparaten auf politische Entscheidungen zurückdrängen. Wesentlich ist für Hösele außerdem
eine informierte Öffentlichkeit, dafür seien lebenslange politische Bildung sowie eine unabhängige
und vielfältige Medienlandschaft erforderlich.
Dass eine Demokratiereform notwendig ist, folgert Hösele allein schon aus dem Umstand, dass bei der letzten
Nationalratswahl die NichtwählerInnen die größte Gruppierung waren, noch vor der SPÖ. Für
die Demokratie sei es wesentlich, dass die BürgerInnen der Politik und den Institutionen vertrauten und umgekehrt
auch die PolitikerInnen den BürgerInnen, sagte er. Hösele sprach sich in diesem Sinn dafür aus,
das aus der letzten Legislaturperiode offen gebliebene Demokratiepaket rasch zu beschließen. Für ihn
ist der Kompromiss, erfolgreiche Volksbegehren mit einer Unterstützung von 10% bzw. 15% der Wahlberechtigten
einer verpflichtenden Volksbefragung zu unterziehen, wenn das Parlament dem Anliegen des Volksbegehrens nicht Rechnung
trägt, ein tauglicher. Damit bleibe die Letzt-Entscheidung im Parlament.
Mit einer unverbindlichen Volksbefragung am Ende eines Diskussionsprozesses über ein erfolgreiches Volksbegehren
will sich Gerhard Schuster (Initiative "Volksgesetzgebung jetzt") hingegen nicht begnügen. Es brauche
eine verbindliche Volksabstimmung, bekräftigte er, alles andere sei undemokratisch. Das Modell der dreistufigen
Volksgesetzgebung wäre für ihn eine wichtige Ergänzung zu Gesetzesbeschlüssen durch das Parlament.
Auf diese komplementäre Säule solle man nicht verzichten. Um eine demokratische Willensbildung zu gewährleisten,
müssen seiner Auffassung nach allerdings auch die Medien in die Pflicht genommen und dazu angehalten werden,
Pro und Contra ausgewogen darzustellen. Zur Beschleunigung des Diskussionsprozesses zum Ausbau der direkten Demokratie
regte Schuster eine gemeinsame Internet-Plattform für den Meinungsaustausch an.
Initiativen überzeugt: Bevölkerung will mehr direkte Demokratie
Für mehr direkte Demokratie machte sich auch Erwin Mayer (Initiative "mehr demokratie!") stark.
Repräsentative Demokratie sei notwendig, sie müsse aber noch repräsentativer werden, hielt er fest.
Das gehe nur durch mehr direkte Demokratie.
Bemerkenswert ist für Mayer, dass, wenn man sich die Stellungnahmen zum in der letzten Legislaturperiode ausgearbeiteten
Demokratiepaket anschaut, in Summe der Ausbau der direkten Demokratie im Sinne von Verbindlichkeit, geringen Hürden
und kein Themenausschluss abgelehnt wird. Die Bevölkerung sehe das aber ganz klar anders, ist er überzeugt.
Mayer regte daher an, seitens der Enquete-Kommission eine repräsentative Umfrage in Auftrag zu geben, um zu
eruieren, ob eine Mehrheit der ÖsterreicherInnen für verpflichtende Volksabstimmungen über qualifiziert
unterstützte Volksbegehren und Veto-Referenden eintritt und welche Hürden bevorzugt würden. Der
Vorschlag wurde in weiterer Folge allerdings nur von Grün-Abgeordneter Daniela Musiol aufgegriffen.
Für immer wieder geäußerte Befürchtungen, Volksinitiativen könnten durch Boulevardmedien
oder finanzkräftige Gruppierungen in unzulässiger Weise beeinflusst werden oder zu Lasten von Minderheiten
gehen, zeigte Mayer kein Verständnis. Diese Gefahren seien bei direktdemokratischen Entscheidungen nicht größer
als bei Entscheidungen des Parlaments, betonte er. Überdies könne der Verfassungsgerichtshof verfassungswidrige
Gesetze jederzeit aufheben. Um Volksinitiativen eine Chance zu geben, forderte Mayer Kostenersatzregelungen und
eine objektive Information der Bevölkerung nach dem Vorbild des Abstimmungsbuchs in der Schweiz.
Auch Hans Asenbaum (Attac Österreich) sieht genug Möglichkeiten, um die Gefahr der Vereinnahmung von
Volksinitiativen, etwa durch Parteien oder finanzstarke Einzelakteure, zu bannen. So kann er sich etwa Budgetlimits
für Initiativen oder die Limitierung von Einzelbeiträgen vorstellen. Zudem würde seiner Ansicht
nach eine reservierte Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Pro- und Contra-Argumente die
ausgewogene Information der Bevölkerung fördern.
Die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung ist für Asenbaum allerdings nur einer von mehreren
notwendigen Schritten, um BürgerInnen stärker in politische Entscheidungen einzubinden. Der Volkswille
solle nicht nur quantitativ, durch Wahlen und Abstimmungen, sondern auch qualitativ erfasst werden, betonte er.
Konkret regte Asenbaum etwa die verstärkte Einrichtung von Bürgerräten und die intensivere Nutzung
des Internets an.
NGOs besser in Gesetzgebung einbinden
Namens Global 2000 sprach sich Leonore Gewessler gegen zu hohe Hürden für direktdemokratische Instrumente
aus. Würden nur jene Volksbegehren einer verpflichtenden Volksabstimmung bzw. Volksbefragung unterzogen, die
von mehr als 10% der Wahlberechtigten unterschrieben wurden, würde man finanzschwache und kleine Initiativen
ausschließen, warnte sie. Im Gegenzug trat sie dafür ein, die Hürde mit 100.000 Unterschriften
festzulegen. Auch was den Ausschluss bestimmter Themen betrifft, äußerte sich Gewessler skeptisch: Alle
Rechtsakte, über die das Parlament entscheidet, sollen auch für direktdemokratische Instrumente offen
sein. Durch juristische Hilfe und Kostenersatz will die Expertin sicherstellen, dass auch Volksinitiativen ohne
starken finanziellen Hintergrund erfolgreich sein können.
Gewessler ist allerdings nicht nur der Ausbau der direkten Demokratie ein Anliegen, sie plädierte auch vehement
dafür, die organisierte Zivilgesellschaft stärker in die Gesetzgebung einzubinden. Dafür hält
sie mehr Transparenz im Gesetzgebungsprozess für erforderlich. Gesetzesvorhaben sollten von Anfang an kommuniziert
und die Grundlagen dafür, etwa vorhandene Studien, veröffentlicht werden. Das Parlament sollte überdies
stärker für die Expertise und das Wissen von NGOs geöffnet werden. Für wesentlich erachtet
Gewessler außerdem ein Informationsfreiheitgesetz.
Wirtschaftskammer, ÖGB und Seniorenrat für behutsame Vorgangsweise
Für eine behutsame Vorgangsweise beim Ausbau der direkten Demokratie trat hingegen Claudia Rosenmayr-Klemenz
seitens der Wirtschaftskammer ein. Eine zu hohe Dosis an direkter Demokratie könnte zu unerwünschten
Effekten führen, warnte sie. Die Letztentscheidung über ein Gesetz müsse im Parlament bleiben. Ansonsten
drohe – bei geringer Abstimmungsbeteiligung – die Gefahr, dass eine kleine Bevölkerungsgruppe überproportionalen
Einfluss nehme. Das Wesentliche in der Politik sei der Kompromiss, argumentierte die Wirtschaftskammer-Vertreterin,
eine verpflichtende Volksbefragung oder eine verpflichtende Volksabstimmung über ein erfolgreiches Volksbegehren
würde dem aber nicht Rechnung tragen.
Auch ÖGB-Vertreter Martin Müller warnte vor überhasteten Schritten. Das System der repräsentativen
Demokratie in Österreich habe Schwächen, räumte er ein, das gleiche treffe aber auch auf das Modell
der direkten Demokratie in der Schweiz zu. Der ÖGB sei nicht der Ansicht, dass direkte Demokratie jedenfalls
und immer besser sei als repräsentative Demokratie.
Müller sprach sich aber klar für eine Weiterentwicklung der Demokratie aus. Das Parlament müsse
sich verstärkt mit den Anliegen von BürgerInnen auseinandersetzen. Konkret trat er dafür ein, die
Möglichkeit zur elektronischen Unterstützung von Volksbegehren zu schaffen und im Parlament eine verpflichtende
Enquete über das Anliegen eines Volksbegehrens abzuhalten. Überdies regte er an, BürgerInnen die
Möglichkeit zu geben, schriftliche oder mündliche Anfragen an die Regierung, etwa im Rahmen einer BürgerInnen-Fragestunde
im Parlament zu richten.
Einwände gegen das am Tisch liegende Demokratiepaket äußerte auch Peter Kostelka (Österreichischer
Seniorenrat), wobei er vor allem die häufige Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe kritisierte. Zudem gab
Kostelka zu bedenken, dass es nur wenige Volksbegehren bis zu einer verpflichtenden Volksbefragung schaffen würden,
geht man von der Zahl der Unterschriften bei bisherigen Volksbegehren aus. Positiv wertete Kostelka hingegen die
geplante Zentrale Wählerevidenz und die Möglichkeit der elektronischen Einbringung von Petitionen. Generell
hielt der Vertreter des Seniorenrates fest, NGOs erfüllten eine wichtige Funktion, sie seien aber nicht repräsentativ
für die Gesamtgesellschaft.
AuslandsösterreicherInnen fordern E-Voting und eigenes Nationalratsmandat
Gustav Chlestil, Präsident des Auslandsösterreicher-Weltbunds, plädierte dafür, das Kapital
der großen Zahl der AuslandsöstereicherInnen stärker zu nutzen. Die Einführung der Briefwahl
war für ihn ein wesentlicher Fortschritt, um AuslandsöstereicherInnen die Teilnahme an Wahlen zu ermöglichen,
es müssten seiner Ansicht nach aber weitere Schritte folgen. Für Chlestil ist es etwa unverständlich,
warum es immer noch nicht möglich ist, eine Stimme mittels E-Voting abzugeben, schließlich ist seiner
Einschätzung nach "sicherheitstechnisch längst alles gelöst". Mit einer Verabschiedung
des Demokratiepakets wären AuslandsöstereicherInnen ihm zufolge außerdem endlich berechtigt, auch
Volksbegehren zu unterstützen. Ein weiterer Wunsch Chlestils ist ein eigenes Nationalratsmandat für AuslandsöstereicherInnen.
BürgerInnenhaushalte als Mittel für mehr Transparenz
Tina Olteanu, Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, bedauerte, dass wenn
über direkte Demokratie diskutiert wird, vor allem von Abstimmungen die Rede sei. Ihrer Meinung nach sollte
man den Fokus stärker auf unkonventionelle Formen der Partizipation richten, auch wenn solche Instrumente
oftmals belächelt würden. Auch Flash-Mobs, organisierte Nachbarschaftstreffen und Hashtag-Kampagnen könnten
die öffentliche Meinung beeinflussen und damit etwas bewirken, ist sie überzeugt. Die BürgerInnen
wollten sich oft nur kurzfristig und themenbezogen an politischen Entscheidungen beteiligen bzw. auf Missstände
aufmerksam machen. Als wichtig erachtet es Olteanu außerdem, sich darüber Gedanken zu machen, dass manche
BürgerInnen weder konventionelle noch unkonventionelle Partizipationsmöglichkeiten wahrnehmen.
Olteanu brachte außerdem die Praxis der BürgerInnenhaushalte als direktdemokratisches Mittel ins Spiel.
Dabei erhalten BürgerInnen die Möglichkeit, auf Kommunalebene über Teile der Haushaltsmittel mitzubestimmen.
Olteanu riet im Falle einer Einführung, klaren politischen Willen zu BürgerInnenhaushalten zu zeigen,
den BürgerInnen mehr zuzutrauen, zu bedenken, dass online-basierte Abstimmungsverfahren alleine keine Dialoginstrumente
seien und dass es wichtig sei, die BürgerInnen ernsthaft und sinnvoll einzubinden, anstatt Scheinpartizipation
zu betreiben.
Feri Thierry von den NEOS sieht in BürgerInnenhaushalten ein "gutes Mittel für mehr Transparenz".
Man brauche keine Angst vor den BürgerInnen zu haben, wenn es um direkte Demokratie geht, auch wenn es dafür
natürlich Mut brauche, betonte er. Drei Phasen seien bei BürgerInnenhaushalten entscheidend: 1. Transparenz
und Information, 2. Konsultation, 3. Rechenschaft über letztendlich getroffene Entscheidungen.
Dass die Angst vor unangenehmen Themen oder unerwünschten Ergebnissen kein Argument gegen direkte Demokratie
sein könne, betonte Rechtsanwältin Susanne Fürst, die als Expertin von der FPÖ nominiert wurde.
Gerade, wenn es um ihr Geld gehe, wollen die Menschen mitentscheiden, ist sie überzeugt: "Und sie haben
auch das Recht dazu." Die VertreterInnen hätten sich dieser Ideen anzunehmen und sie weiterzuentwickeln.
BürgerInnen pauschal zu unterstellen, sie würden nur ihre Interessen verfolgen und sich nicht informieren,
sei überheblich und stimme nicht, so Fürst. Unbedingt brauche es unter anderem echte Beteiligung, niedrigere
Hürden und Verbindlichkeit.
Image der Politik verbessern
Rege beteiligten sich wieder die BürgerInnen an dieser vierten Sitzung der Enquete-Kommission Demokratiereform.
Einige bekräftigten ihre Wünsche und Forderungen aus den bereits vergangenen Sitzungen. Der Pensionist
Heinz Emhofer etwa nahm die Sitzung zum Anlass darzulegen, wie schlecht es seiner Einschätzung nach um das
Image der Politik stehe. Letztlich verschweige die Politik Dinge, ohne dass es Konsequenzen gebe, so Emhofer. Das
wiederum führe zu Politikverdrossenheit.
Die kaufmännische Angestellte Marlen Ondrejka zeigte sich nicht ganz überzeugt davon, ob mehr Demokratie
tatsächlich von allen Parteien gewollt sei. Sie kritisierte unter anderem das System "vor der Wahl so,
nach der Wahl so", auch das führe zu Politikverdrossenheit. Es sei an der Zeit, dass die Politik Vorschläge
aus dem Volk annehme und umsetze, so Ondrejka.
Sich stärker an der Politik zu beteiligten, könne sie sich sehr gut vorstellen, betonte Michelle Missbauer
(derzeit in Ausbildung). Mehr direkte Demokratie nach dem Vorbild Schweiz braucht es ihrer Meinung nach auch hierzulande.
Denn: "Eigentlich sollte in einer Demokratie doch das Volk das Sagen haben." Würde man die Menschen
mehr einbeziehen, stiege auch das Interesse an Politik.
Wunsch nach E-Voting bekräftigt
Die Einführung eines E-Votings ist nicht nur Chlestil, sondern auch dem Medizintechniker Harald Petz ein großes
Anliegen, das betonte er erneut. An das Plenum gerichtet, meinte er: "Packen wir's an!" Ziel müsse
es sein, am Ende der Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie Ergebnisse zu beschließen, auf die
alle stolz sein können.
Über die Bevölkerung werde "drübergefahren", äußerte Helga Schattauer ( kaufmännische
Angestellte) ihr Gefühl. Sie bezweifelte überdies die Sinnhaftigkeit von Befragungen und Umfragen und
fragte, ob alles mit rechten Dingen zugehe. Zudem wies sie auf die hohen Kosten von Volksbefragungen hin: "Die
verbrauchen wahnsinnig viel Steuergeld, aber was kommt dann?"
Darf das Recht nicht direkt vom Volk ausgehen?
In Österreich gebe es keine BürgerInnen-, sondern eine Parteienverfassung, kritisierte Erwin Leitner,
Bundessprecher der Initiative "mehr Demokratie!". Daher sei es gar nicht möglich, Entscheidungen
herbeizuführen oder Volksabstimmungen zu initiieren. "Wir sind in unserem politischen System besachwaltet",
spitzte Leitner zu. Seine Forderung lautet daher: "Auch das Volk soll verbindliche Volksabstimmungen auslösen
können."
Universitätsdozent Paul Luif sieht vor allem in der Unverbindlichkeit von direktdemokratischen Mitteln ein
Problem. Volksbegehren hätten sich nicht wirklich bewährt, weil sie zu keiner verpflichtenden Entscheidung
führen. Obwohl es in der direkten Demokratie auch das "Bottom-up"-System gibt, das etwa in der Schweiz
zur Anwendung kommt, setze man in Österreich bisher lediglich auf "Top-down".
Mehr Lockerheit, weniger Angst vor Machtverlust
Barbara Ruhsmann, die in der Öffentlichkeitsarbeit tätig ist, nutzte ihre Redezeit unter anderem, um
einen Vorschlag der IG Demokratie einzubringen: Bei der Parteienfinanzierung wäre es angebracht, Förderungen
aliquot nach Wahlbeteiligung auszuzahlen, schlug Ruhsmann vor. Jener Teil, der durch die Menge der Nichtwähler
nicht ausbezahlt würde, könnte an Projekte zur Stärkung der direkten Demokratie gehen. Es sei nun
an der Zeit, das System zu öffnen und BürgerInnenbeteiligung zuzulassen, so Ruhsmanns Eindruck. An die
PolitikerInnen appellierte sie, mehr Mut zur Lockerheit zu zeigen und weniger Angst vor Machtverlust zu haben.
Noch allerdings zeigte sie sich nicht besonders vom aktuellen Dialogprozess überzeugt.
Grüne fordern konkrete Ergebnisse
Diesen Dialogprozess zu gestalten, darum gehe es jetzt, antwortete ihr Daniela Musiol (Grüne). Das brauche
Zeit. Allerdings müsse man nun tatsächlich Nägel mit Köpfen machen. Spätestens nach der
nächsten Sitzung im April müsse man konkret werden beziehungsweise in konkrete Verhandlungen zwischen
den Parteien eintreten, um zu guten Ergebnissen zu kommen.
Angst vor den BürgerInnen sehe er keine, betonte Josef Cap (SPÖ). Angst bestehe vielmehr vor dem Einschlafen
von Bürgerbeteiligungsprozessen. Am besten packe man alles Gesagte in ein "praktisch zu handhabendes
Modell". Angesichts der vielen Überlegungen zur direkten Demokratie und damit einhergehender Kritik an
bestehenden Entscheidungsprozessen wies er aber auch auf die Legitimation des Parlaments hin. Ja, es brauche Lösungen,
aber keine Umgehung des Parlaments, so Cap.
Die nächste Sitzung der Enquete-Kommission findet am 15. April statt und wird sich vor allem mit der Rolle
der Medien beschäftigen.
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