Sozialminister Hundstorfer bezeichnet unterschiedlich hohe Auszahlungen als "Sozialhilfe-Logik"
im Föderalismus
Wien (pk) - Armut hat viele Gesichter – und wird in Österreich weiterhin je nach Bundesland unterschiedlich
ausgeglichen, erschließt sich aus dem Rechnungshofbericht zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Konkret
erhoben die PrüferInnen 2012 anhand von Daten aus Tirol und Vorarlberg, dass die ausgezahlten Leistungen teilweise
deutlich von der Bund-Länder-Vereinbarung abweichen. In Tirol waren die Auszahlungsbeträge um bis zu
1.250 € höher, in Vorarlberg um rund 900 €. Da gemäß des Föderalismusprinzips Sozialhilfeangelegenheiten
zu den Kompetenzen der Bundesländer gehören, könne sein Ressort keine zusätzlichen Länderzahlungen
verbieten, unterstrich Sozialminister Rudolf Hundstorfer am 18,03, im Rechnungshofausschuss des Nationalrats. Bei
den laufenden Verhandlungen zur Fortsetzung der 15a-Vereinbarung für die Mindestsicherung strebe man aber
eine klare Datenlage über die einzelnen Leistungsströme zur weiteren Steuerung der Maßnahme an.
Um einheitliche Standards bei der Mindestsicherung zu gewährleisten, sei ein funktionierender Informationsaustausch
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unabdingbar, bekräftigte Rechnungshofpräsident Josef Moser.
Das derzeitige System konterkariere die Absicht, durch die Mindestsicherung österreichweit eine möglichst
gleichwertige Sozialhilfe umzusetzen. Der Bund schieße über diverse zusätzliche Leistungen Geld
zu, ohne bei der Vollziehung mitreden zu können. Inwieweit nach Ablauf der geltenden Vereinbarung mit dem
Bundesländern im Finanzausgleichsgesetz der Bund mindestsichernde Zahlungen noch beisteuern werden können,
sei aufgrund der steigenden Kosten unsicher, warnte der RH-Präsident.
Moser sieht Finanzierungsprobleme durch föderale Aufgabenverteilung
Eine Harmonisierung der Verteilung von Ausgaben- und Aufgabenverantwortung zwischen den Gebietskörperschaften
ist für Rechnungshofpräsident Moser ein Gebot der Stunde, um einen nachvollziehbaren Mitteleinsatz bei
den Leistungen zur Mindestsicherung (MS) zu erreichen. Besonders problematisch gestaltet sich ihm zufolge die Finanzierungsfrage
bei diversen Freibeträgen in den Bundesländern - etwa für AlleinerzieherInnen - die der Vereinbarung
mit dem Bund widersprächen und letztlich zu deutlichen Mehrausgaben bzw. erhöhtem Finanzierungsaufwand
führten.
Derzeit können zum einen die per 15a-Vertrag vereinbarten MS-Leistungen für Lebensunterhalt, Wohnbedarf
und Krankenhilfe von Bund, Ländern und Gemeinden durch verschiedenste Zuwendungen begleitet werden, beschreibt
der RH-Bericht die Lage. Gespeist werden die Leistungen teils aus dem Landeshaushalt (z.B. Tirol), teils über
den Sozialfonds (z.B. Vorarlberg) Zum anderen sind vom Bund finanzierte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
zur Wiedereingliederung von MindestsicherungsbezieherInnen in das Erwerbsleben ebenfalls mitzurechnen, da der Bezug
einer Mindestsicherung von der Bereitschaft zur Arbeitsleistung abhängt, sofern die Arbeitsfähigkeit
gegeben ist. Hier riet Moser, LeistungsbezieherInnen sollten direkt vom Arbeitsmarktservice individuelle Beratung
erhalten, anstatt die AMS-Standorte lediglich als Übermittlungseinrichtung der MS-Anträge an die Bezirksverwaltung
zu nutzen, wie es im Moment der Fall sei. Unzureichende Informationen erhielten die Betroffenen auch hinsichtlich
Krankenversicherung, besonders jene MS-BezieherInnen, die eine Beschäftigung unter der Geringfügigkeitsgrenze
nachgehen und dadurch eine in Hinblick auf die erworbenen Ansprüche günstigere Selbstversicherung abschließen
können.
In seinem Bericht stellt der Rechnungshof fest, die vielen mit der Mindestsicherung befassten Anlaufstellen machen
die Koordinierung der Leistungen sehr unübersichtlich. Erfassung und Auswertung der MS-Daten sei von Seiten
der Länder vor diesem Hintergrund nur ungenügend umgesetzt worden, bestätigte Präsident Moser
die Kritik von Martina Schenk (T). An der Bund-Länder-Vereinbarung zur bedarfsorientierten Mindestsicherung
bemängelte er generell, eine bundesweite Harmonisierung, gerade hinsichtlich der Auszahlungshöhe, könne
sich damit nicht ergeben, zumal 2010 verankert wurde, dass sich durch die Mindestsicherung das zuvor bestandene
Leistungsniveau nicht verschlechtern dürfe. Weil etwa die Wohnkosten österreichweit stark variieren,
rief Moser dazu auf, die Bemessung derartiger MS-Ausgaben bei den Verhandlungen zum kommenden Finanzausgleich unbedingt
zu beachten.
Um die tatsächlichen Aufwendungen für den Wohnbedarf abzudecken, erhielten in den geprüften Regionen
die BezieherInnen neben der Mindestsicherung auch Wohn- und Mietbeihilfen bzw. speziell in Tirol zusätzliche
Heizzuschüsse, geht aus dem RH-Bericht hervor, obwohl laut 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern
die Heizkosten dem Lebensunterhalt zuzurechnen sind. Hinzu kommen gegebenenfalls noch Kinderbetreuungsgeld und
Familienbeihilfe, wodurch die monatliche Leistung im Prüfzeitraum etwa bei Mehrkindfamilien teilweise auf
über 2000 € stieg. Seitens des Bundes werden überdies Aufzahlungen schlagend, wenn EmpfängerInnen
der Notstandshilfe weniger erhalten als die Mindeststandards der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und keine
relevante Vermögen vorhanden sind.
Während der Rechnungshof bei den Sozialbudgets der Länder durch die Einführung der Mindestsicherung
vor allem in puncto Krankenhilfe eine Entlastung ausmacht, sieht er Bundesmittel vermehrt beansprucht. So wurden
2011 vom Bund 23,97 Mio. € der Krankenhilfe-Ausgaben übernommen, womit eine Lastenverschiebung entgegen der
verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung eingetreten sei, kritisierte Moser. Gemäß Verfassung
sind die Länder für die Vollziehung der Sozialhilfe und somit für die Mindestsicherung zuständig.
Hundstorfer: Bundesländern entscheiden eigenständig über Zuschüsse zur Mindestsicherung
Die 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zur Abwicklung der Mindestsicherung bilde die Grundlage der
Leistungen, die nach der Logik der Sozialhilfe natürlich von den Bundesländern individuell aufgestockt
werden könnten, erklärte Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Die vom Rechnungshof angeführten Leistungen
von mehr als 2000 € an MS-EmpfängerInnen beträfen nur rund 30 Fälle, betonte der Minister, wobei
Zuschüsse wie Familienbeihilfe zum Leistungsvolumen dazugehörten. Für die Absicherung der rechtmäßigen
Leistungsausschüttung stünden den Bezirksverwaltungsbehörden viele Überprüfungsmöglichkeiten
der Vermögensverhältnisse von BezieherInnen offen, über österreichische Botschaften auch im
Ausland. Bei unberechtigter Inanspruchnahme der Leistungen seien zudem Sanktionen wie Kürzungen der Mindestsicherung
möglich; 2013 seien davon in Wien 9400 Personen betroffen gewesen. reagierte er auf Vorhaltungen des FPÖ-Mandatars
Gerald Hauser, der MS-Bezieherkreis umfasse auch viele Drittstaatenangehörige, die niemals Sozialbeiträge
in Österreich abgeführt hätten. Laut RH-Bericht waren zwei Drittel der MindestsicherungsbezieherInnen
im Jahr 2012 ÖsterreicherInnen. Zur Problematik des Datenaustauschs zwischen den Gebietskörperschaften
hielt Hundstorfer fest, der vertraglich mit den Bundesländern vereinbarte Informationsfluss funktioniere,
darüber hinausgehende Daten könnten nicht erzwungen werden, vor allem, da nicht jede Bezirkshauptmannschaft
dem jeweiligen Bundesland genaue Auskünfte auf dem Gebiet der Mindestsicherungsansprüche liefere.
Hausers Vorwurf, angesichts der steigenden Zahl an MS-BezieherInnen seien die Gemeinden außerstande, weiterhin
ihren Beitrag zu leisten, kommentierte Hundstorfer mit dem Hinweis, bei den Verhandlungen zur entsprechenden 15a-Vereinbarung
hätte der Gemeindebund natürlich ebenfalls eine Stimme. Folglich wies der Minister auch die Kritik Judith
Schwentners (G) zurück, die Gespräche über die Ausgestaltung der Mindestsicherung fielen intransparent
aus. Analog zum Rechnungshof forderte Schwentner grundsätzlich eine Neugestaltung der Mindestsicherung ein,
am besten mit einer bundesweiten Regelung in Verfassungsrang. Nachschärfungsbedarf machte sie konkret in Hinblick
auf Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit von MS-EmpfängerInnen aus. Gerald Loacker (N) bekräftigte
letzteres Anliegen mit einem Antrag auf Anpassung der Freibeträge, sodass die Mindestsicherung nicht mehr
im Ausmaß eines über dem Freibetrags liegenden Erwerbseinkommens gekürzt wird, sondern in einem
geringeren Verhältnis. Das würde die Anreize für MS-BezieherInnen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen,
maßgeblich erhöhen, ist Loacker überzeugt, wohingegen die bestehenden Regelungen eine Berufstätigkeit
für viele Betroffene finanziell unmöglich machen. Dem NEOS-Antrag nach GOG §27 stimmte mit den Oppositionsparteien
jedoch nur eine Minderheit der Ausschussmitglieder zu.
Bundesminister Hundstorfer konstatierte, in den letzten Jahren habe das AMS 85.000 Personen mit Mindestsicherung
verzeichnet, die wieder ins Arbeitsleben integriert worden sind. Dennoch arbeite sein Ressort permanent an der
Weiterentwicklung der Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung, etwa mit dem AMS-Projekt "Gesundheitsstraße",
über das die arbeitsmedizinische Begutachtung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit an einer Stelle
abgewickelt werde, informierte er Abgeordneten Hermann Gahr (V). Das AMS als einzige Anlaufstelle in MS-Fragen
einzusetzen, sei aber wenig zielführend, doch über 30% der BezieherInnen wegen Minderjährigkeit
oder aus anderen Gründen gar nicht erwerbsfähig seien, also nicht zum AMS-Zielpublikum gehörten.
SPÖ-Mandatar Johann Hell resümierte, grundsätzlich bilde die bedarfsorientierte Mindestsicherung
einen sozial- und gesundheitspolitischen Fortschritt, wenn auch mit Bedarf an Nachjustierungen, wie der Rechnungshof
aufgezeigt habe. Mit Minister Hundstorfer war Hell allerdings einer Meinung, die RH-Anregung, einheitliche Versorgungssysteme
für Notstandshilfe und Mindestsicherung bei längerfristigen Bezugszeiträumen vorzusehen, sei abzulehnen,
da hier Versicherungsleistungen mit Sozialhilfen vermischt würden. Der Rechnungshofbericht zur bedarfsorientierten
Mindestsicherung wurde vom Ausschuss schließlich einstimmig angenommen und ins Nationalratsplenum geschickt.
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