Wien (oekostrom) - Als erster österreichischer Stromversorger legt die oekostrom AG Nichtigkeitsbeschwerde
beim Gerichtshof der Europäischen Union gegen die Erweiterung des britischen Atomkraftwerkes Hinkley Point
ein. Die britische Regierung plant, den Ausbau des Atomkraftwerkes mit 23 Milliarden Euro zu subventionieren, die
Beihilfe wurde kürzlich von der Europäischen Kommission genehmigt. Die oekostrom AG kritisiert, dass
mit dem Projekt eine Technologie ohne Zukunft subventioniert wird und sieht darin einen Verstoß gegen das
europäische Wettbewerbsrecht. Die Entscheidung hat zudem Signalwirkung auf die geplanten AKW Projekte in Ungarn
(Paks II) und Tschechien (Temelin, Dukovany) nahe der österreichischen Grenze.
Die Europäische Kommission hatte in ihrer Beihilfen-Entscheidung auf das gemeinsame Interesse der Mitgliedstaaten
verwiesen - ihre Argumentation basiert auf dem EURATOM-Vertrag aus dem Jahr 1957. "Allein die Tatsache, dass
die Beihilfe mit einem Vertrag aus dem Jahr 1957 argumentiert wird, zeigt, dass es sich um eine alte Technologie
handelt, die in den vergangenen 60 Jahren nicht marktfähig geworden ist", kritisiert Lukas Stühlinger,
im oekostrom-Vorstand für die Stromproduktion zuständig. "Die Kosten für die Entsorgung der
Brennstäbe sind in den 23 Mrd. EUR an Subventionen vollkommen unzulänglich berücksichtigt, geschweige
denn das Risiko von Atomunfällen à la Fukushima und Tschernobyl", so Lukas Stühlinger weiter.
Hinkley Point C als Präzedenzfall für Atomprojekte in Österreichs Nachbarschaft
"In der Beihilfe für das britische Atomkraftwerk sehen wir einen gefährlichen Präzedenzfall
für zukünftige Projekte nahe der österreichischen Grenze", so Stühlinger. "Wenn sich
also die Kommission mit ihrer Entscheidung durchsetzt, könnten bereits geplante AKW-Projekte beispielsweise
in Ungarn und Tschechien finanziell ausgestattet und umgesetzt werden." Kein europäisches Unternehmen
würde derzeit neue AKW aus eigener Tasche finanzieren. Subventionen machen Atomstrom jedoch wieder rentabel
- sauberer und sicherer Strom aus Sonnen- und Windkraft würde ausgebremst werden.
Wettbewerbsverzerrung zugunsten einer Technologie ohne Zukunft
Die britische Regierung plant, für jede Kilowattstunde Atomstrom aus Hinkley Points Reaktorblock C eine
garantierte Vergütung von umgerechnet knapp 11 Cent zu zahlen - plus Inflationsausgleich für 35 Jahre!
Diese garantierte Vergütung ist rund dreimal so hoch wie der aktuelle Marktpreis. Die massiven Subventionen
führen schließlich zu einer Wettbewerbsverzerrung am europäischen Strommarkt: Das AKW kann seinen
Strom äußerst günstig über Jahre und garantiert anbieten und sogar bei negativen Marktpreisen
Gewinne erzielen. Als Folge sinkt der Strompreis sowohl in Großbritannien als auch - durch grenzüberschreitenden
Stromtransfer und -handel innerhalb der EU - in Österreich.
Die Beihilfen führen aber - im Unterschied zu den Erneuerbaren -nicht dazu, dass neue vielversprechende Technologien
marktreif gemacht werden, sondern dass eine Technologie, die für kommende Generationen massive Folgekosten
verursacht, über Jahrzehnte weitergeführt wird. "Spätestens seit Tschernobyl und Fukushima
ist klar, dass Atomkraft eine Technologie ohne Zukunft ist. Das erkennt man alleine daran, dass es keinen Versicherer
auf der Welt gibt, der bereit ist, ein Atomkraftwerk zu versichern", gibt Lukas Stühlinger zu bedenken.
Hinkley Point C wäre das erste AKW-Bauprojekt in Großbritannien seit mehr als 20 Jahren und der erste
Reaktorneubau in Europa seit der Katastrophe von Fukushima. Das AKW soll 2023 ans Netz gehen und rund 60 Jahre
laufen. Die gesamten Kosten des Projekts belaufen sich laut EU-Kommission auf umgerechnet etwa 43 Milliarden Euro.
"Seit ihrer Gründung 1999 steht die oekostrom AG für eine Energiezukunft aus 100 Prozent erneuerbaren
Energien ohne Öl und Atom", so Lukas Stühlinger abschließend. "Wir sehen es als unsere
Verantwortung an, im Verbund mit anderen Energieversorgern alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen,
um das Projekt doch noch zu verhindern."
Die Klage wird von Rechtsanwältin Dr. Dörte Fouquet von Becker Büttner Held, der führenden
deutschen Kanzlei im Energierecht, begleitet und voraussichtlich Mitte Mai 2015 gemeinsam mit dem deutschen Stromversorger
Greenpeace Energy und mehreren deutschen Stadtwerken eingebracht.
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