Ausstellung im Wien Museum am Karlsplatz in
Kooperation mit dem International Cultural Centre (MCK) in Krakau – von 26. März bis 30. August 2015
Wien (wienmuseum) - Galizien war fast so groß wie das heutige Österreich, die Hauptstadt Lemberg
um 1900 die viertgrößte Stadt Österreich-Ungarns. Heute weiß man kaum noch, wo Galizien einst
lag. Doch immer noch ist es ein Raum, der Imaginationen auslöst: als Inbegriff weltverlorener Abgeschiedenheit,
als Kerngebiet des Ostjudentums, als multikulturelles Armenhaus der Monarchie.
Joseph Roth, der selbst aus Brody stammte, sprach von einem "Zwischenreich". Heute gehört der Westteil
zu Polen, Ostgalizien liegt in der Ukraine. Politik und Krieg haben der Frage nach der europäischen Identität
der Region Aktualität gegeben. Entstanden ist Galizien als künstliches Gebilde in Folge europäischer
Machtpolitik: 1772 fiel nach der Teilung Polens ein Gebiet an Österreich, dem man den Namen "Galizien"
gab - für Joseph II. ein zu "zivilisierendes" Territorium, das Bodenschätze und Rekruten lieferte.
Galizien war von ethnoreligiöser Vielfalt geprägt: Man sprach Polnisch, Ukrainisch und Jiddisch, man
war römisch-katholisch, jüdisch und griechisch-katholisch.
Erstmals gilt der Blick den divergierenden polnischen, ukrainischen, österreichischen und jüdischen Perspektiven.
Diese werden mit historischen Fakten konfrontiert. Dem Mythos Armut und Rückständigkeit stand der Mythos
Fortschritt gegenüber. Um 1900
wurde Galizien durch seine großen Ölvorkommen zum "österreichischen Texas". Nach der
Teilautonomie von 1867 entstand der Mythos vom "guten Kaiser" in Wien. Galizien als multiethnisches Arkadien?
Zugleich nahmen aber die sozialen und nationalen Spannungen zu. Ein Abschnitt widmet sich "Galizien in Wien":
Ab 1880 strömten jüdische Migranten - darunter Künstler und Intellektuelle - in die Reichshauptstadt.
"Galizien nach Galizien" heißt das Schlusskapitel: Mit dem Zerfall der Monarchie verschwand Galizien
1918 von der Landkarte, doch als Mythos feierte es nach 1989 ein Comeback. Die Ausstellung, die in Kooperation
mit International Cultural Centre in Krakau entstand, war dort von 9. Oktober 2014 bis 8. März 2015 zu sehen.
Kronland und "Kolonie"
Galizien gehörte im Mittelalter als Teil des Fürstentums Halytsch-Wolodymyr für kurze Zeit zur ungarischen
Krone, woraus 500 Jahre später Kaiserin Maria Theresia ihren Anspruch auf das Land untermauerte. Von der lateinischen
Bezeichnung des mittelalterlichen Fürstentums leitete sich auch der Name des neues Kronlandes ab:
"Galizien und Lodomerien", wobei Lodomerien, das ehemalige Wolodymyr, niemals Teil Galiziens war. Hingegen
wurden 1775 Teile des Fürstentums Moldau, das vom osmanischen Reich an Österreich abgetreten wurde, unter
dem Namen Bukowina Galizien angegliedert (mit Czernowitz als Hauptstadt wurde die Bukowina 1849 zum eigenen Kronland).
Galizien erwies sich für die Österreicher bald als ethnisch, kulturell, religiös und sprachlich
äußerst komplexes Gebiet. Die Straßenverbindungen zwischen Wien und dem Kronland waren schlecht,
eine loyale Beamtenschaft musste von außen geholt werden, vorzugsweise aus den tschechisch-sprachigen Gebieten.
Militärisch war das neue Territorium kaum zu verteidigen, da es durch die künstlichen Grenzziehungen
über keine natürlichen Barrieren verfügte. Für den Kolonialismus typische Praktiken, wie das
gegeneinander Ausspielen der verschiedenen Bevölkerungs- und Religions- gruppen, wurden angewendet. Um die
Position der polnischen Elite zu schwächen, wurde anfangs die griechisch-katholische Kirche, der vor allem
die Ruthenen ange- hörten, gegenüber der römisch-katholischen bevorzugt.
Den Juden gegenüber trat die neue Staatsmacht zwiespältig auf: 1782 wurde Religionsfreiheit zugesichert,
aber beim Militärdienst nahm man auf die Einhaltung der Reinheitsgebote keine Rücksicht. Gegen die Orthodoxie
und den mystischen Chassidismus unterstützte Österreich die "Haskala", die jüdische Aufklärung.
Polnischer Widerstand und Autonomie
Bereits zu Beginn der österreichischen Besetzung formierte sich Widerstand im polnischen Adel. Im Februar
1846 schließlich kam es zu jenen blutigen Ereignissen, die als "Galizische Bauernrevolte" oder
als "Galizisches Gemetzel" bezeichnet werden: Bauern revoltierten - wahrscheinlich von Österreich
dazu aufgestachelt - gegen ihre
polnischen Gutsherren, tausend Angehörige der polnischen Aristokratie wurden getötet. Erst nachdem die
Situation außer Kontrolle geraten war, griff die österreichische Armee ein.
Kurze Zeit gelang es den Polen in Krakau, die dort stationierten österreichischen Truppen zu vertreiben und
eine nationale Regierung zu bilden. Diese konnte sich allerdings nur ein paar Tage halten, danach verlor die seit
dem Wiener Kongress "freie Stadt Krakau" ihre Autonomie und wurde Galizien einverleibt. Ab den 1860er-Jahren
ließ die Dominanz der Österreicher nach, der schrittweise Ausbau der galizischen Autonomie stand im
Zusammenhang mit grundlegenden Reformen in der Monarchie und dem Ausgleich mit Ungarn 1867.
Polnisch wurde Amtssprache, die Autonomie im Bildungs- und Kulturbereich sowie das Kurienwahlrecht sicherten die
polnische Dominanz im Land, vor allem zu Lasten der ruthenischen/ukrainischen Bevölkerung, die im Osten die
Mehrheit stellte. In der österreichischen Regierung gab es seit 1871 einen Minister für Galizien, der
bis zum Ende der Monarchie stets polnischer Nationalität war. Polnische Politiker wurden auch auf andere wichtige
Ministerposten in Wien berufen. Die letzten Jahrzehnte der Monarchie wird vor allem aus polnischer Perspektive
oft als "glückliche Zeit" für Galizien dargestellt, Medien und Propaganda formten den Mythos
vom guten Kaiser Franz Joseph als "Vater seiner Völker". Doch zeitgleich nahmen die nationalen Spannungen
- insbesondere zwischen Polen und Ukrainern - zu, auch der Antisemitismus verstärkte sich.
Zwischen Massenauswanderung und Ölboom
Das größte Land der österreichischen Reichshälfte war deren ärmste Provinz. Aus der Perspektive
Wiens galt Galizien als "Halb-Asien" (Karl Emil Franzos), als "Land der Bären" oder als
"österreichisches Sibirien". Mit dem Begriff "galizischen Wahlen" meinte man die politische
Korruption im Land, mit jenem der "Ternopiler Moral" (nach der Stadt in Ostgalizien) Betrug und Misswirtschaft.
Galizien war eines der am dichtesten besiedelten Kronländer der Monarchie. Um 1900 lebten noch 80% der Bevölkerung
von der Landwirtschaft, allein im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wanderten knapp 500.000 Polen, Ukrainer,
Juden und Deutsch- sprachige in die USA, nach Kanada und Brasilien aus. Ab den 1890er-Jahren wurden Industrialisierung
und Modernisierung des Landes forciert und der Banken- und Versicherungssektor ausgebaut. Die galizischen Erdölvorkommen
machten Österreich- Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg mit einem Anteil von 5 Prozent zum drittgrößten
Produktionsland der Welt nach den USA und Russland. Technische Innovationen in Verbindung mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes
leiteten einen rasanten Ölboom in der ostgalizischen Region um Boryslaw und Drohobycz ein. Dennoch blieb Galizien
bis zum Ende der Monarchie ökonomisch rückständig. Die Wirtschaftsstruktur ähnelte der von
Kolonien: Rohstoffe wurden exportiert, Fertigprodukte überwiegend importiert.
Metropole Lemberg, polnisches Krakau
Zwischen 1850 und dem Ende der Monarchie vervierfachte sich die Bevölkerung der Hauptstadt Lemberg von 50.000
auf mehr als 200.000, knapp die Hälfte der Einwohner waren Polen, je ein Viertel Ukrainer und Juden. Insbesondere
ab den 1890er-Jahren boomte die Stadt: Öffentliche Gebäude wurden errichtet, ganze Stadtbezirke aus dem
Boden gestampft, Infrastrukturmaßnahmen getätigt. Die Urbanität Lembergs zeigte sich an modernen
Hotels, wie dem Hotel George, an Kaffeehäusern, Passagen und Waren- häusern wie dem modernistischen "Kaufhaus
Magnus", das 1913 eröffnete. Sie vermitteln bis heute im Stadtbild die einst engen Beziehungen zwischen
Lemberg und Wien.
Krakau kam 1846 zu Galizien. Damit endete der Status der Stadt als Republik (seit 1815) und ihre Bedeutung als
internationaler Handelsort. Insbesondere der Ausbau zur Festung unter österreichischer Herrschaft bremste
die Entwicklung Krakaus. Die konservative politische Elite sah die alte polnische Königsstadt vor allem als
Bewahrerin der großen nationalen Vergangenheit. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auch in Krakau
Schritte zur Modernisierung und Erweiterung der Stadt gesetzt, am Ende der Monarchie hatte die Stadt ca. 150.000
Einwohner.
Österreichische, polnische, ukrainische und jüdische Perspektiven
Galizien erschien aus Wiener Sicht vor allem als rückständiges, weit entferntes Land mit exotischen
Völkerschaften, unter ihnen Bojken, Lemken, Huzulen, Podhale-Goralen oder Armenier. Nach 1918 war es Joseph
Roth, der das Land und seine jüdische Tradition in Erinnerung hielt. Der Holocaust und die kommunistische
Zeit entrückten es noch weiter, Galizien wurde zu einem literarischen Topos.
In Polen repräsentierte das von Österreich annektierte Land lange Zeit ein tiefes Unrecht und eine nationale
Katastrophe. Erst seit der Autonomie Galiziens innerhalb der Habsburgermonarchie ab 1873 wandelte sich dieses
Bild. Anders als in den Gebieten der Teilungsmächte Russland und Preußen konnten sich in Galizien polnische
Kultur, Tradition und Politik relativ frei entfalten. So kam dem Land für die spätere Unabhängigkeit
eine Schlüsselrolle zu. Im Kalten Krieg wurde Galizien als Nachweis für die Zugehörigkeit zu Mitteleuropa
wiederentdeckt. Heute ist es in erster Linie ein Ort regionaler, tendenziell wertkonservativer Identität.
In der Ukraine wird Galizien als eine der Wurzeln für die Entstehung eines National- bewusstseins gesehen.
Das bezieht sich auf die Förderung der griechisch-katholischen Kirche durch Maria Theresia und Joseph II.,
die gegenüber dem römisch-katholischen Polen und dem orthodoxen Russland zu einem Ort ukrainischer Identität
wurde. Ein anderer Gründungsmythos bezieht sich auf die Vorgeschichte des Landes, auf Stadt und Burg Halyc,
einst Zentrum des galizisch-wolhynischen Fürstentums im Mittelalter.
Insbesondere seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 werden diese historischen Bezüge als Argumente
für die lange Zugehörigkeit des Landes zu Europa eingebracht.
In der jüdischen Tradition repräsentierte Galizien über Jahrhunderte ein Territorium, in dem sich
Juden unter dem Schutz der polnischen Könige vergleichsweise sicher und selbst bestimmt behaupten konnten.
Auch unter österreichischer Herrschaft war Galizien, das die "Mutter Israels" genannt wurde, ein
Raum, in dem sich die verschiedenen Richtungen des Judentums relativ frei entfalten konnten. Das jüdische
Galizien wurde im Holocaust vollständig ausgelöscht.
Galizien in Wien
1910 lebten 42.000 Menschen aus Galizien in Wien, das sind 2% der Bevölkerung. Orte und Institutionen waren
damit verknüpft: die griechisch-katholische Kirche in der Postgasse, die "galizische Garde", Synagogen
wie die "polnische Schul", das "Ministerium für Galizien" und das "Polnische Haus".
Ein "Wappenträger" repräsentiert das Kronland noch heute auf der Fassade des Wiener Rathauses,
ein Brunnen im Ehrenhof in Schönbrunn.
Polnische Aristokraten unterhielten Palais und traten als Mäzene auf, Politiker aus Galizien wurden zu Ministerpräsidenten
und Ministern berufen, ruthenische Arbeiter- vereine bildeten sich, Zeitungen wie die "Ruthenische Rundschau"
erschienen, Intellektuelle und Künstler wie der Architekt Friedrich Ohmann (u. a. Palmenhaus im Burggarten)
und die Dichter Iwan Franko und Joseph Roth hielten sich in Wien auf. Verarmte jüdische Zuwanderer kamen verstärkt
in den 1880er-Jahren und trafen auf einen radikalen Antisemitismus. Die "Galizianer" setzten dennoch
starke Zeichen der Selbstbehauptung, gründeten Unterstützungs- und Betvereine, viele sympathisierten
mit der nationaljüdischen Bewegung und dem Zionismus. Nach 1918 verließen etliche galizische Polen Wien,
für Ukrainer mit galizischen Wurzeln wurde die Stadt hingegen zum Exilort, nachdem die Kämpfe für
einen eigenständigen Staat verloren waren. In Wien gab es in den 1920er-Jahren für kurze Zeit eine pulsierende
jüdische/jiddische Kultur.
Galizien nach Galizien
Im abschließenden Kapitel der Ausstellung geht es um Galizien als mythischen Ort, als imaginären Raum,
der noch immer präsent ist. Auf Galizien berufen sich nicht nur moderne Literatur, Filme und Kunst, indem
sie in der Vergangenheit verlorene Identitäten suchen, sondern auch die Konsumkultur, indem sie das Attribut
"galizisch" für Werbezwecke als Nachweis von Produktechtheit und traditioneller Herkunft verwendet.
Für Juden ist Galizien geprägt vom Trauma des Holocaust, vom Gefühl einer untergegangenen Welt.
Im gegenwärtigen Europa, in dem die Europäische Union in manchem an die Habsburgermonarchie erinnert,
hält sich das Image Galiziens als Modell der Völkerverständigung und multiethnischen Koexistenz.
Im Kontrast zu diesem imaginären Galizien steht die Wirklichkeit der Schengen-Grenze. Sie trennt das Gebiet
in Polen auf der einen und Ukraine auf der anderen Seite. Die geopolitische Trennung von Europa führte in
der Westukraine zu einer Rückbesinnung auf die Zeit Galiziens und den Habsburgermythos, im Sinne einer "prowesteuropä-
ischen" Orientierung, was u.a. die zeitgenössische ukrainische Malerei mit Nachdruck zeigt.
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