EU-Nachbarschaftspolitik soll differenzierter
 gestaltet werden

 

erstellt am
15. 04. 15
11.00 MEZ

EU-Kommissar Johannes Hahn im EU-Unterausschuss des Nationalrats
Wien (pk) – Die Europäische Nachbarschaftspolitik soll sich in Zukunft differenzierter gestalten. Man werde mit den Partnerländern einen maßgeschneiderten Umgang pflegen, die EU müsse von ihrem Instrumentarium her in die Lage versetzt werden, flexibler auf die Situation der betreffenden Staaten zu reagieren und stärker auf deren spezifische Bedürfnisse und neue Entwicklungen eingehen zu können. Das betonte EU-Kommissar Johannes Hahn am 14.04. im EU-Unterausschuss des Nationalrats. Er bezog sich dabei auch auf das Konsultationspapier mit dem Titel "Auf dem Weg zu einer neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik", das er gemeinsam mit der Hohen Vertreterin für die Außenpolitik, Federica Mogherini, vorgelegt hat. Demnach soll sich die Europäische Nachbarschaftspolitik zu einem integralen Bestandteil der EU-Außenpolitik entwickeln und Seite an Seite mit Diplomatie und Krisenmanagement zum Einsatz kommen. Für den Zeitraum von 2014 bis 2020 hat die EU dafür 15,4 Mrd. € zur Verfügung gestellt.

Es gebe je nach Entwicklungsstand die unterschiedlichsten Formen der Zusammenarbeit, sagte Hahn, wobei die EU-Kommission die europäischen Interessen im Fokus habe, nämlich Frieden, Stabilität und Wohlstand in der Nachbarschaft zu schaffen. Johannes Hübner bemerkte dazu seitens der FPÖ kritisch, die Entwicklung habe seit 2011 eine völlig andere Richtung genommen. Im Gegensatz dazu hielt Tanja Windbüchler-Souschill (G) ein Mehr an Europa für unumgänglich, vor allem im Hinblick darauf, dass sich Nachbarschaftspolitik sehr schwierig gestalte. Das betreffe nicht nur die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sondern erfordere auch mehr Friedenspolitik und einen engeren Schulterschluss der Mitgliedstaaten, merkte sie an. Angesichts der großen Anzahl tiefgreifender Konflikte rund um Europa könne man die Herausforderungen nur gemeinsam meistern, meinte auch ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka.

Die Europäische Nachbarschaftspolitik wurde im Jahr 2003 mit dem Ziel ins Leben gerufen, einen "ring of friends" der EU zu schaffen. Sie umfasst die östlichen Nachbarstaaten Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und die Ukraine sowie im östlichen und südlichen Mittelmeerraum die Länder Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Palästina/PNA, Syrien und Tunesien. Belarus, Libyen und Syrien nehmen derzeit jedoch nicht an diesem Programm im vollen Umfang teil.

Neue Akzente in der Flüchtlingspolitik
Besondere Akzente will der EU-Kommissar in der Flüchtlingspolitik setzen, zumal es in der Nachbarschaft Europas rund 20 Millionen Flüchtlinge gibt. Millionen Menschen werden innerhalb eines Landes vertrieben, Palästinenser seien nun schon in der dritten Generation Flüchtlinge, zeichnete Hahn die dramatische humanitäre Situation. Im Libanon sind bereits 50% der dort lebenden Menschen Flüchtlinge. Dieser Herausforderung habe sich die EU zu stellen, machte Hahn klar und unterstrich in diesem Zusammenhang besonders die Bedeutung einer entsprechenden Ausbildung und Gesundheitsversorgung für die Betroffenen. Nur wenn man den Menschen eine wirtschaftliche Perspektive gibt, könne man die Radikalisierung hintan halten, so der EU-Politiker. Auch müsse man sich um jene Kommunen kümmern, die Flüchtlinge aufnehmen, denn diese seien an den Grenzen ihrer Kapazität angelangt.

Energieabhängigkeit ist Achillesferse der EU
Als weiteres Thema von enormer Bedeutung nannte Hahn die Energiesicherheit, da die Energieabhängigkeit die Achillesferse der EU darstelle. Bereits Einsparungen von einem Prozent würden die Gasimporte stark reduzieren, bemerkte Hahn und unterstrich damit die Bedeutung der Energieeffizienz.

Diese Zielrichtung der Energiepolitik sei aber nicht nur für Europa wesentlich, sondern auch für Drittstaaten, wie etwa für die Ukraine, die völlig auf Gasimporte verzichten könnte, würde sie beim Energieverbrauch die Europäischen Werte erreichen. Matthias Strolz (N) hatte zu diesem Thema darauf aufmerksam gemacht, dass die Energieunion über die EU-Grenzen hinaus gedacht werden müsse.

Stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft
Er beziehe auch vermehrt die Zivilgesellschaft ein, bekräftigte Hahn gegenüber Windbüchler-Souschill (G), und treffe daher in jedem Land, das er besucht, deren VertreterInnen, um sich ein Gesamtbild machen zu können. Die Situation der Zivilgesellschaft stelle sich aber in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich dar, konstatierte er. Das Gebot der Stunde sei auch, äußerst sensibel zu agieren und darauf zu achten, Personen nicht zu gefährden. Das gelte insbesondere auch für den arabischen Raum, wo es der EU ein besonderes Anliegen ist, die Zivilgesellschaft zu stärken.

Hahn positiv zu Reformbemühungen in der Ukraine
In der Diskussion wurden die zahlreichen und sehr unterschiedlichen Probleme der Länder, mit denen die EU im Rahmen der Nachbarschaftspolitik Kontakte pflegt, thematisiert. Als besonders kompliziert bezeichnete der EU-Kommissar die Situation unter anderem im Maghreb-Gebiet und im Süd-Kaukasus, insbesondere auch in Armenien. Obwohl sich das Land nun der Eurasischen Union angeschlossen hat, bleibe die EU für eine Zusammenarbeit offen, stellte er fest.

In Ägypten seien die Einflussmöglichkeiten der EU angesichts der Militärhilfe der USA und der Finanzhilfe der Golfstaaten limitiert, bremste Hahn zu große Erwartungen an die EU-Politik. Die Europäische Union unterstütze vor allem die Zivilgesellschaft und könne sich verstärkt nur über die wirtschaftliche Schiene äußern.

Breiteren Raum nahm die Debatte über die Ukraine ein. Dieses Land habe nun eine demokratisch legitimierte Regierung, unterstrich Hahn und fand Anerkennung für die dortigen politischen Bemühungen, ein funktionierendes Rechtssystem aufzubauen, gegen Oligarchen vorzugehen, Unternehmen zu gründen und Arbeitsplätze zu schaffen. Es gebe in dem Land noch unheimlich viel zu tun, sagte Hahn und bezifferte den Finanzbedarf mit 42 Mrd. €. Die EU werde Kredite unter bestimmten Auflagen zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang verteidigte der EU-Kommissar die Sanktionen gegen Russland. Sie würden so lange in Kraft bleiben, bis das Abkommen von Minsk umgesetzt ist. Selbstverständlich würden die Gesprächskanäle offen gelassen, sagte er, und Österreich würde im Europäischen Kontext eher als russlandfreundlich angesehen.

Hahn für Weiterverhandlungen mit der Türkei – Aufnahmefähigkeit aber zentrale Frage
Johannes Hahn ist in der EU-Kommission nicht nur für die Nachbarschaftspolitik zuständig, sondern auch für die Erweiterungspolitik. Dementsprechend kam auch die Türkei zur Sprache. In diesem Zusammenhang bezweifelte der außenpolitische Sprecher der SPÖ Josef Cap, dass Europa für dieses Land mit der riesigen Einwohnerzahl und seiner Landwirtschaft aufnahmefähig sei - abgesehen vom gesellschaftlichen Weg, den die Türkei derzeit unter Präsident Erdogan einschlägt.

Die Türkei habe heute nicht unbedingt einen "proeuropäischen Touch", meinte auch der EU-Kommissar, dennoch hält er es für eine Frage der Fairness, die ergebnisoffenen Verhandlungen weiter zu führen und zu Ende zu bringen. Das Ergebnis sei dann zu bewerten, sagte er, und dabei seien selbstverständlich die gesamten Rahmenbedingungen einer Neubewertung zu unterziehen. Dazu gehöre auch die Frage der Finanzierung und jene der Aufnahmefähigkeit.

Balkanländer sind wichtige Partner für Österreich
Was den Balkan betrifft, so liege das Schwergewicht in den Verhandlungen mit den Ländern auf der Etablierung rechtsstaatlicher Verhältnisse, auf der Sicherstellung der Freiheitsrechte und des Minderheitenschutzes und auf der Stärkung der Justiz. Zentrales Thema bleibe der Kampf gegen die Korruption, so Hahn, der darauf hinwies, dass vielfach die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben seien, aber die Umsetzung fehle. Deshalb müsse man bei den Beitrittsverhandlungen von einem Prozess sprechen, der seine Zeit brauche. Die Länder müssten in ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verfasstheit an das EU-Niveau herangeführt werden, um keine Belastung für die EU darzustellen, konstatierte er.

Hahn sprach damit auch die Erweiterungsmündigkeit an, die sich innerhalb der EU auch im Zuge der Wirtschaftskrise breit gemacht habe. Einmal mehr hob er jedoch die Bedeutung der Nachbarländer am Balkan für die Österreichische Wirtschaft hervor und untermauerte damit das entsprechende innerstaatliche Interesse an einer positiven Entwicklung am Balkan. Österreich sei zum Beispiel in Serbien mit 18% der größte Auslandsinvestor, gefolgt von Deutschland mit 10%; der Anteil Russlands belaufe sich auf 4,5%.

Zu temporären Grenzkontrollen innerhalb der EU, die von Rouven Ertlschweiger (T) wegen der steigenden Schlepperkriminalität angesprochen worden waren, äußerte sich Hahn zurückhaltend. Besser ist es seiner Ansicht nach, die Schengen-Außengrenzen zu stabilisieren.

Die zahlreichen Detailfragen, in dieser Tour d'Horizon der Europäischen Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik stellten die Abgeordneten Christine Muttonen, Josef Cap (beide S), Reinhold Lopatka, Angelika Winzig (beide V), Johannes Hübner, Barbara Rosenkranz, Wendelin Mölzer (alle F), Tanja Windbüchler-Souschill (G), Rouven Ertlschweiger (T) und Matthias Strolz (N).

 

 

 

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