Arbeiterkammer: Wichtiger Schutzschild für ArbeitnehmerInnen oder Modell der Vergangenheit
Wien (pk) - Eine heftige und teilweise auch emotionale Debatte entwickelte sich am 23.04. im Nationalrat
über die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern. Insbesondere die Arbeiterkammer (AK) wurde seitens der FPÖ
und der NEOS mit großen Vorwürfen konfrontiert. Die Mitgliedsbeiträge für die AK steigen,
während die Realeinkommen in den letzten Jahren gesunken seien, so der Vorwurf. Ein Dorn im Auge mancher Abgeordneten
waren auch die Kampagnen der AK. Man warf ihr in diesem Zusammenhang vor, damit die Kassen der SPÖ zu entlasten.
Die SPÖ-Redner wiederum verwiesen auf die Leistungen der AK für ihre Mitglieder, die weit über die
juristische Beratung hinausgehen, und vermuteten hinter der Forderung nach Kürzung der Beiträge und Abschaffung
der Pflichtmitgliedschaft einen Anschlag auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
NEOS: Kammern in jetziger Form sind nicht im 21. Jahrhundert angekommen
Ausgangspunkt für diese Debatte war die – letztendlich mehrheitlich abgelehnte - Forderung der NEOS nach schrittweiser
Senkung der Arbeiterkammerumlage, die allen ArbeitnehmerInnen automatisch vom Gehalt abgezogen wird. Sie soll den
NEOS zufolge in den kommenden fünf Jahren jährlich um 0,05% reduziert, im Endeffekt also halbiert werden.
Die Einnahmen der Arbeiterkammer aus der Umlage seien von 279 Mio. € im Jahr 2004 auf 391 Mio. € im Jahr 2013 gestiegen,
die Mittelverwendung zeige, dass Einsparungspotential vorhanden sei, macht Abgeordneter Gerald Loacker (N) im Namen
seiner Fraktion aufmerksam. Die NEOS kritisierten, wie auch die FPÖ, dass in den letzten neun Jahren die Beiträge
für die Arbeiterkammer um 40% gewachsen seien, während die Kaufkraft ihrer Mitglieder gesunken sei. Die
geplante weitere Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage werde noch mehr Mittel in die Kammer fließen lassen,
sagte Loacker in seinem Redebeitrag und hielt es für inakzeptabel, dass die AK Rücklagen bilden kann,
Haftungen für andere Gesellschaften übernimmt, Werbekampagnen fährt und ausgeweitete Prüfungen
im Bereich des Konsumentenschutzes vornimmt. Seiner Meinung nach muss die AK auf ihre Kernaufgaben reduziert werden,
und dafür reiche auch die Hälfte der Einnahmen.
Schützenhilfe erhielt er von Klubobmann Matthias Strolz, der zwar die großen Verdienste der Arbeiter-
und der Wirtschaftskammer in der Vergangenheit würdigte, seiner Meinung nach sind die Kammern aber nicht im
21. Jahrhundert angekommen. Beide seien wichtige Institutionen auch in der Zukunft, wenn sie sich neu erfinden,
meinte Strolz. Derzeit arbeiteten aber Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer in erster Linie im Sinne ihrer "Tintenburgen",
und das sei moralisch nicht in Ordnung. Auch Nikolaus Alm (N) trat vehement für eine schrittweise Umstellung
zur freiwilligen Interessensvertretung ein. Seine Kritik konzentrierte sich vor allem auf die Wirtschaftskammer,
die nichts dagegen unternehme, dass die geplante Steuerreform den Unternehmen nichts bringt.
Ihren Standpunkt untermauerten die drei NEOS-Politiker mit weiteren Entschließungsanträgen, die sie
im Rahmen der Debatte einbrachten, jedoch ebenfalls keine Mehrheit fanden. So verlangte Matthias Strolz die Abschaffung
der Zwangsmitgliedschaft in gesetzlichen beruflichen Vertretungen, Nikolaus Alm beantragte die schrittweise Streichung
der Kammerumlage 2. Die gesetzlichen beruflichen Vertretungen sollten durch den Rechnungshof auch auf ihre Zweckmäßigkeit
überprüft werden können, meinte Loacker, er blieb aber auch mit diesem Vorstoß in der Minderheit.
Team Stronach gegen Pflichtmitgliedschaft und für steuerliche Absetzbarkeit der Kammerbeiträge
In die gleiche Kerbe schlugen auch die RednerInnen von FPÖ und Team Stronach. Das Team Stronach wolle Selbstbestimmung
und keine Zwangsbeglückung, sagte etwa Waltraud Dietrich(T) und stellte in Richtung SPÖ die Frage, warum
man Angst vor der Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft hat, wenn doch die AK so toll arbeitet. Auch sie legte in
der Debatte einen Entschließungsantrag vor, in dem sie die steuerliche Absetzbarkeit des Arbeiterkammerbeitrags
vorschlägt. Sie fand damit ebenfalls keine ausreichende Unterstützung.
FPÖ: AK ist zur Propagandaabteilung der SPÖ geworden
Mit dem Vorwurf, die AK sei zu einer Propagandaabteilung der SPÖ geworden, da sie in deren Sinne Kampagnen
fahre und damit das Budget der SPÖ entlaste, heizte Herbert Kickl (F) die Debatte an. Er warf generell der
AK vor, ihre Arbeit mit der SPÖ-Parteiarbeit zu verschmelzen. Auch die Kurse der Sozialakademie der AK, die
von den Zwangsbeiträgen bezahlt würden, seien so zugeschnitten, dass sie auf die SPÖ passen. Als
moralisch bedenklich bezeichnete auch er, das, wie er sagte, mangelnde Problembewusstsein der AK, die in den letzten
Jahren um 40 % mehr Beiträge lukriere, während die realen Löhne gesunken sind. In diesem Sinne prangerte
Axel Kassegger (F) die Sonderpensionen in der AK an und befand, dass durch die zahllosen Kampagnen enormes Geld
verschwendet werde. Dieses Geld sei hart erarbeitet und daher für die Mitglieder und nicht für die Funktionäre
einzusetzen. Mit einem Seitenhieb kritisierte Kassegger auch die Wirtschaftskammer, deren Output für ihn in
keiner Relation zu dem steht, was die Unternehmen einzahlen.
SPÖ und ÖVP warnen vor Gefährdung des sozialen Friedens
Vehement verteidigt wurde die Arbeiterkammer von den Rednern der SPÖ. NEOS und Freiheitliche wollen die Arbeiterkammer
schwächen und damit auch die Rechte der ArbeitnehmerInnen, warnte Rainer Wimmer (S). Eine Reduktion des Budgets
um 50 % werde die Qualität der Leistungen schmälern und das wäre ein Angriff auf die ArbeitnehmerInnen,
die die AK wie ein Schutzschild brauchten. Wolfgang Knes (S) sah in den Forderungen nach Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft
und Kürzung der Beiträge einen Angriff auf die Sozialpartnerschaft. Ähnlich argumentierte Johann
Hechtl (S), nach dessen Auffassung die ArbeitnehmerInnen enorm von der erfolgreichen Arbeit der Arbeiterkammer
profitieren. Die NEOS wollten damit den Sozialstaat zerschlagen, stellte er die Befürchtung in den Raum.
In gleicher Weise trat Wolfgang Katzian (S) mit einer emotionalen Verteidigungsrede für die AK ans Rednerpult.
Die Anwürfe seien "letztklassig", so seine Worte. Er verteidigte auch die Wahrnehmung umfassender
Aufgaben durch die AK, die auch im entsprechenden Gesetz niedergeschrieben sind. Für ArbeitnehmerInnen sei
etwa der Konsumentenschutz ein wichtiges Anliegen, und die diesbezügliche Arbeit der AK sei anerkannt. Auch
gehe die geplante große Steuerentlastung auf Initiativen der Arbeiterkammer und des ÖGB zurück.
Seine Aussagen wurden auch von Sozialminister Rudolf Hundstorfer unterstützt, der die Ausbildung von Betriebsrätinnen
und Betriebsräten in der Sozialakademie als eine Kernaufgabe der AK bezeichnete.
Österreich sei ein Sozialpartner-Staat und das System habe sich bewährt, hielt auch Gabriel Obernosterer
(V) fest. Selbstverständlich müssten sowohl Arbeiterkammer als auch Wirtschaftskammer weiter an sich
selbst arbeiten und mit den Mitgliedsbeiträgen sparsam umgehen und bestmögliche Leistungen anbieten.
Er zeigte sich überzeugt davon, dass sich beide Institutionen dieser Verantwortung bewusst sind und daher
den entsprechenden Weg auch fortführen. Ebenso wollte Fritz Grillitsch (V) die Sozialpartnerschaft nicht mutwillig
politisch in Frage stellen. "Gefährden wir nicht den sozialen Frieden", so ein Apell. Dennoch übte
er Kritik am Verhalten von Werner Muhm, Direktor der AK Wien, der seiner Meinung nach als ideologischer Berater
des Bundeskanzlers den Klassenkampf heraufbeschwört.
Grüne: Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft würde grundlegende Systemänderung bedeuten
Es sei zwar nicht alles optimal, meinte Birgit Schatz aus der Sicht der Grünen im Hinblick auf das, wie sie
sagte, Kampagnenunwesen und den Personenkult sowie auch im Hinblick auf mangelnde Transparenz. Dennoch hält
sie die AK als eine wichtige Solidargemeinschaft der ArbeitnehmerInnen, die in diesem System gleich repräsentiert
seien. Sie machte auch darauf aufmerksam, dass viele Beschlüsse von den Sozialpartnern vorberaten werden.
Wenn man nun die Pflichtmitgliedschaft abschaffe, dann seien die Kammern nicht mehr demokratisch legitimiert und
das würde eine völlige Umstellung des Systems bedeuten.
Das Anliegen, der NEOS, die Beiträge an die Arbeiterkammer gesondert und nicht gemeinsam mit den Sozialversicherungsbeiträgern
am Gehaltszettel auszuweisen, wurde nicht abgelehnt, sondern mehrheitlich dem Finanzausschuss zugewiesen. Matthias
Strolz (N) meinte, wenn man den Leuten unter Zwang etwas wegschneidet, dann müsse man es auch ausweisen. Auch
Johann Hechtl von der SPÖ bekundete seine Unterstützung für mehr Transparenz.
FPÖ macht sich Sorgen um Spitalswesen in Wien
Nicht durchgekommen ist die FPÖ mit ihrem Antrag, in dem sie an die Regierung appelliert, bei der Umsetzung
der neuen Dienstzeitregelung von maximal 48 Wochenstunden für SpitalsmedizinerInnen funktionierende Gesundheitsdienste
vor allem in der Bundeshauptstadt mittel- und langfristig zu gewährleisten. Laut Dagmar Belakowitsch-Jenewein
(F) versagt die Stadtpolitik in dieser Frage, denn weder organisatorisch noch finanziell seien bislang die nötigen
Vorkehrungen getroffen worden. Die FPÖ-Gesundheitssprecherin kritisierte scharf die Wiener Gesundheitsstadträtin
Sonja Wehsely und rief den Sozialminister auf, hier als Vermittler aufzutreten.
Stadträtin Wehsely und Gesundheitsministerin Oberhauser könnten sich nicht aus der Verantwortung stehlen,
meinte auch Gerald Loacker von den NEOS. Wie in Wien vorgegangen werde, komme das einer Geringschätzung der
ärztlichen Tätigkeiten gleich. Loacker hielt daher im Zuge der Arbeitszeitkürzung für SpitalsärztInnen
weitere Maßnahmen für notwendig, etwa im Bereich des unterstützenden Personals.
Grüne wollen Bundesrahmen für Bedarfsorientierte Mindestsicherung
Die Grünen wiederum warnen vor Kürzungen der Mindestsicherung bei gleichzeitigem Bezug einer Familienbeihilfe
für volljährige Kinder, die aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich
dauerhaft außerstande sein werden, sich selbst Unterhalt zu verschaffen. Dass diese Beihilfe keinen Teil
des Einkommens zur Bemessung der Mindestsicherung darstellt, ist nach Vorstellung von Grünen-Sozialsprecherin
Judith Schwentner im Familienlastenausgleichsgesetz zur verankern. Auch dieser Antrag blieb in der Minderheit.
Schwentner räumte zwar ein, dass es derzeit in den Bundesländern keine Kürzungen gebe, für
sie spricht aber nichts dagegen, diesen Zustand auch gesetzlich abzusichern. Allgemein verlangte sie einmal mehr
einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Diese sei das letzte soziale
Netz für viele Menschen, und es könne nicht sein, dass es von der Postleitzahl abhängt, wo man wieviel
bekommt, sagte sie.
Abgeordnete für mehr Transparenz bei Auftragsvergaben der Sozialversicherungsträger
Mutmaßliche Ungereimtheiten bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) haben schließlich die FPÖ
dazu veranlasst, von Sozialminister Hundstorfer einen Bericht über sämtliche Auftragsvergaben der PVA
in den Jahren 2009 bis 2015 einzufordern. Die diesbezügliche Initiative wurde aber mit dem Argument mehrheitlich
abgelehnt, dass dies bei rund 4.000 Vergaben im Wert von 5 Mio. €, wie Bundesminister Rudolf Hundstorfer erläuterte,
einen zu hohen Verwaltungsaufwand verursachen würde.
Durch die Mitbewerber gebe es derzeit schon infolge der Einspruchsmöglichkeit Kontrollrechte, die Einsprüche
würden auch auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts veröffentlicht, warf etwa Josef Muchitsch (S)
ein. Auch die Aufsichtsorgane der Sozialversicherungsträger seien hier gefordert, ergänzte Michael Hammer
(V). Die Grünen konnten dem Argumenten des hohen Verwaltungsaufwands durchaus etwas abgewinnen, Judith Schwentner
kündigte aber an, zahlreiche Vergaben in Form von schriftlichen Anfragen näher auszuleuchten. Alle waren
sich aber einig, dass die Vergaben transparent sein müssen. Als Antragstellerin verlangte Dagmar Belakowitsch-Jenewein
(F) in der Debatte einmal mehr die Zusammenlegung der 22 Sozialversicherungsanstalten.
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