Abgrenzung von Strafvollzug und Psychiatrie, keine lange Untersuchungshaft junger StraftäterInnen
Wien (pk) - Für die Ziehung einer sachgerechten Grenze zwischen Strafvollzug und Psychiatrie sprachen
sich die Abgeordneten von SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS in der Nationalratssitzung vom 23.04. aus. In
einer Entschließung fordern sie eine umfassende Evaluierung des Maßnahmenvollzugs. Besonderes Augenmerk
soll nach Meinung der Abgeordneten dabei auf die Untersuchungshaft für jugendliche StraftäterInnen gelegt
werden. Deren Untersuchungshaft solle so kurz wie möglich gehalten bzw. weitgehend vermieden werden, meinen
die UnterstützerInnen des Entschließungsantrags. Als Alternative sollen betreute Wohngruppen dienen.
Außerdem soll so rasch wie möglich ein Jugendhaftkompetenzzentrum eingerichtet werden.
Zudem treten die Abgeordneten dafür ein, das in Wien etablierte Modell der Jugendgerichtshilfe bundesweit
zu installieren und die sozialpädagogische Betreuung für Jugendliche in ausgewählten Justizanstalten
zu erweitern. Der vom Menschenrechtsausschuss ausgearbeitete Entschließungsantrag zum Straf- und Maßnahmenvollzug
basiert auf einem von SPÖ und ÖVP eingebrachten Entschließungsantrag. Abgelehnt wird diese Initiative
von der FPÖ und vom Team Stronach.
FPÖ bezweifelt Notwendigkeit von Jugendhaftanstalt
FPÖ-Abgeordneter Christian Lausch sprach von einem unausgegorenen Antrag, dem seine Fraktion nicht zustimmen
könne. Bisher habe die Bundesregierung wenig zur Verbesserung des Maßnahmenvollzugs getan. Statt der
versprochenen 100 zusätzlichen Planstellen im Maßnahmenvollzug habe Justizminister Brandstetter nur
27 geschaffen, zeigte er sich enttäuscht. Lausch bezweifelte zudem die Notwendigkeit einer eigenen Jugendhaftanstalt
bzw. eines Jugendhaft-Kompetenzzentrums, da die Zahl von Jugendlichen in Haft sehr niedrig sei. Die Haftanstalt
Gerasdorf sei zudem 80 Kilometer von Wien entfernt, was einen großen Personal- und Zeitaufwand für Transporte
bedeuten würde.
ÖVP: Justizminister ist auf dem richtigen Weg
Maria Theresia Fekter (V) hielt fest, dass es in Österreich derzeit etwa 9000 Strafgefangene gibt. Etwa
zehn Prozent davon befinden sich im Maßnahmenvollzug. Nachdem Probleme bekannt wurden, habe eine Arbeitsgruppe
eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, die bereits weitgehend umgesetzt wurden, lobte Fekter. Offene Fragen sah
sie beim Umgang mit unzurechnungsfähigen TäterInnen. Hier sei die Qualität der Gutachten und das
Entlassungsmanagement zu verbessen, sagte sie. Im Jugendstrafvollzug sei der Justizminister "zumindest auf
dem richtigen Weg", sagte Fekter.
Ziel der Strafhaft sei die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sagte Friedrich Ofenauer (V). Ein wichtiges
Mittel dazu sei sinnvolle Beschäftigung. Das gelte in besonderer Weise für den Jugendstrafvollzug. Hier
habe ein Jugendhaft-Kompetenzzentrum eine besonders wichtige Aufgabe. Ofenauer zeigte sich überzeugt, dass
der Katalog von Verbesserungsvorschlägen im Maßnahmenvollzug rasch umgesetzt wird.
Team Stronach: Betreute Wohngruppen keine Alternative zu Untersuchungshaft
Auch Christoph Hagen (T) sah zwar gute Punkte im Maßnahmenkatalog des Antrags, insgesamt lehnte er ihn aber
als unausgereift ab. Allerdings seien zu viele Fragen offen. Er äußerte Zweifel an der Sinnhaftigkeit
von betreuten Wohngruppen für jugendliche Untersuchungshäftlinge. Untersuchungshaft werde bei Verdunkelungs-,
bei Tatbegehungs- oder bei Fluchtgefahr verhängt. Betreute Wohngruppen seien deshalb keine brauchbare Alternative,
stellte er fest. Der Justizminister habe ihm bisher nicht beantworten können, wie dieses Problem gelöst
werden soll.
SPÖ: Wiedereingliederung muss Priorität haben
Die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt nach Straf- und Maßnahmenvollzug sei eine
Frage von großer Wichtigkeit, sagte Franz Kirchgatterer (S). Er lobte die Volksanwaltschaft, die viel zur
Aufdeckung von Missständen in den Strafanstalten getan habe. Nun gelte es, noch weitere Verbesserungen umzusetzen.
Kirchgatter ging in seiner Wortmeldung auch auf das Thema der Vorratsdatenspeicherung ein, das im Menschenrechtsausschuss
ebenfalls behandelt worden war. Nachdem erwiesen sei, dass sie nichts zum Schutz vor Terrorismusgefahren beigetragen
habe, sehe die SPÖ keine Notwendigkeit für ihre Wiedereinführung. "Wir wollen keinen Spitzelstaat",
sagte Kirchgatterer.
SPÖ-Abgeordnete Nurten Yilmaz (S) und ihr Fraktionskollege Konrad Antoni erinnerten an die Schließung
des Jugendgerichtshofs. Damit sei eine wichtige Institution zerstört worden. Beide Abgeordnete hoben die Bedeutung
der Einführung der Jugendgerichtshilfe hervor. Ihre Ausweitung auf ganz Österreich müsse forciert
werden, forderte Antoni. Er betonte, wie auch Harry Buchmayr (S), die Wichtigkeit der Resozialisierung und der
Wahrung der Menschenrechte im Straf- und Maßnahmenvollzug.
Auf bedenkliche Entwicklungen im Maßnahmenvollzug wies Ulrike Königsberger-Ludwig (S) hin. Viele Personen,
die bereits als geheilt gelten, würden derzeit nicht entlassen, weil es keine ausreichende Nachbetreuung gebe,
kritisierte sie. Es gelte hier, eine menschenrechtlich bedenkliche Situation zu verbessern. Sie hoffe, das werde
nicht an der Finanzierungsfrage scheitern. Maximilian Unterrainer (S) begrüßte, dass der Justizminister
auf Missstände im Strafvollzug reagiere.
Grüne: Maßnahmenvollzug leidet unter Ressourcenmangel
Nach Jahren des Leugnens werde anerkannt, dass es vor allem im Maßnahmenvollzug Reformbedarf gebe, sagte
Albert Steinhauser (G). Die Zahl der Personen im Maßnahmenvollzug steige an, da sie oft nach Haftverbüßung
nicht entlassen werden. Damit stiegen die Kosten und die Ressourcen für den Vollzug werden knapp. Probleme
gebe es auch mit langen Wartezeiten für Therapien, der mangelnden Qualität von Gutachten und zu wenig
Nachbetreuung. Der Entschließungsantrag enthalte gute Vorschläge, diese müssten aber umgesetzt
werden, was nicht zuletzt eine Kostenfrage sei. Er gehe aber vom guten Willen des Justizminister aus, die angekündigten
Reformen auch umsetzen zu wollen, sagte Steinhauser.
NEOS drängen auf rasche Reform des Maßnahmenvollzugs
Nikolaus Scherak (N) meinte, der Antrag sei nicht optimal formuliert, aber es werde ein massives Menschenrechtsproblem
Österreichs angesprochen. In Deutschland wurde die Sicherheitsverwahrung unterdessen als verfassungswidrig
bezeichnet, da sie massiv in die menschliche Freiheit eingreife, stellte er fest. Dort gelte auch das "Abstandsgebot",
eine klare Trennung von Straf- und Maßnahmenvollzug. In Österreich sei diese jedoch oft nicht gegeben.
Unter anderem fehle auch eine ausreichende Kontrolle der Zulässigkeit einer Unterbringung in der Maßnahme
und fehlender Rechtsschutz der Betroffenen.
Es gehe um eine Frage der Menschenrechte und damit der gesellschaftlichen Verantwortung, betonte Beate Meinl-Reisinger
(N). Die Umsetzung der an sich positiven Reformvorschläge der Expertenkommission zum Maßnahmenvollzug
passiere leider zu langsam, sagte die Abgeordnete und drängte in einem Entschließungsantrag auf rasche
Schritte. Vor allem wollen die NEOS die Schaffung eines eigenen Gesetzes für den Maßnahmenvollzug. Es
gelte, auf geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu reagieren und das Gesundheitsressort einzubinden,
fordern sie. Der Antrag blieb jedoch in der Minderheit.
Brandstetter: Österreich soll im Straf- und Maßnahmenvollzug wieder an die Spitze kommen
Justizminister Brandstetter konzedierte, dass die Reform von Straf- und Maßnahmenvollzug eine gewaltige Aufgabe
sei, die sein Ressort nicht allein lösen könne. Österreich habe ein Menschenrechtsproblem, das gelöst
werden müsse. Das Thema Straf- und Maßnahmenvollzug sei ein unangenehmes und deshalb politisch zu lange
vernachlässigt worden. Aus diesem Grund habe Österreich seinen früheren Spitzenplatz in diesem Bereich
verloren. Zur Kritik von FPÖ-Abgeordnetem Lausch hielt der Minister fest, das Jugendhaft-Kompetenzzentrum
sei nicht nur für Untersuchungshäftlinge da, sondern habe weit größere Aufgaben. Dort sollen
jugendliche Straftäter im Hinblick auf eine Resozialisierung Betreuung und sinnvolle Beschäftigung erhalten.
Die Besetzung von 100 neuen Planstellen dauere, da die Ausbildung bestqualifizierter Beamter eben eine gewisse
Zeit brauche.
Sein Ressort stehe vor einer riesigen, aber sehr notwendigen Aufgabe, sagte der Minister. Es gelte, Menschen gut
zu betreuen und möglichst wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Was psychisch kranke StraftäterInnen
betrifft, so müssten diese als PatientInnen angesehen und behandelt werden. Sie sollten daher dem Gesundheitsressort
unterstellt werden. Dazu bedürfe es noch schwieriger Verhandlungen mit den Ländern. Da es aber um eine
Verpflichtung der öffentlichen Hand gehe, sei es letztlich eher nebensächlich, auf welcher Ebene dafür
das Budget zur Verfügung gestellt wird, meinte Brandstetter. Ein Thema von immer größerer Wichtigkeit
sei die Frage, wie Radikalisierung im Strafvollzug verhindert bzw. Deradikalisierung stattfinden könne. Hier,
wie in anderen Bereichen, habe Österreich die Chance, sich an den besten internationalen Beispielen zu orientieren.
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