Nationalrat debattiert politische Verantwortung angesichts des Sterbens im Mittelmeer
Wien (pk) – Außenpolitische Themen dominierten den zweiten Debattenblock der Sitzung des Nationalrats
vom 22.04. Eine Vertragsänderung beim in Wien ansässigen Internationalen Zentrums für Migrationspolitikentwicklung
(International Centre for Migration Policy Development – ICMPD) bot dem Plenum die Gelegenheit, grundsätzlich
über Migrationsbewegungen nach Europa sowie die jüngste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer und
die politischen Konsequenzen daraus zu debattieren. Hierzu wurde mit Stimmenmehrheit ein Entschließungsantrag
von SPÖ und ÖVP gefasst, in dem die Antragsteller einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für
die EU-Flüchtlingspolitik darlegen.
Die Zustimmung des Nationalrats fanden auch mehrere internationalen Abkommen. So wird etwa eine bessere Zusammenarbeit
zwischen Österreich und Deutschland auf dem Gebiet des Passwesens beschlossen. Österreich wird außerdem
Einspruch gegen den Beitritt Burundis zum Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher
Urkunden von der Beglaubigung einlegen. Die Republik zieht aber letzte Vorbehalte gegen die Konvention zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau hinsichtlich des besonderen Arbeitnehmerschutzes von Frauen zurück.
Europa sucht Antworten auf Flüchtlingsströme und Migrationsbewegungen
Das Stichwort "Migration" führte zu einer lebhaften Debatte über den weiteren Umgang mit
der Flüchtlingssituation am Mittelmeer. Dazu wurden auch mehrere Entschließungsanträge eingebracht.
Anlass für diese Debatte war eine Änderung des Vertrags über die Gründung und den Betrieb des
Internationalen Zentrums für Migrationspolitikentwicklung (International Centre for Migration Policy Development
- ICMPD), die gegen die Stimmen der FPÖ angenommen wurde. Sie gesteht der in Wien ansässigen Einrichtung
ein internes Steuersystem zu. Konkret bedeutet dies, dass in den für die ICMPD-MitarbeiterInnen geltenden
Gehaltstabellen rechnerisch ein gewisser Betrag für interne Sozialleistungen der Institution ausgewiesen wird.
Johannes Hübner (F) stellt zum ICMPD fest, es sei für ihn nicht feststellbar, was diese Institution zur
Lösung der wichtigen Frage der Migration tatsächlich beitrage. Das Institut sei eine internationale Organisation,
finanziert vor allem von EU-Staaten, deren MitarbeiterInnen keine Steuern zahlen müssten. Das sei mit Steuergerechtigkeit
nicht vereinbar. Er forderte, dass zumindest EU-Staaten künftig auf solche Privilegien für ihre BürgerInnen
verzichten. Hübner benützte seine Wortmeldung, um eine Neuregelung des Asylrechts zu fordern. Es müsse
verhindert werden, dass durch die Aussicht auf Asyl Migrationsdruck nach Europa entstehe.
Eva Glawischnig-Piesczek (G) verteidigte hingegen die Arbeit des ICMPD. Sie forderte, dass Österreich mehr
für die Aufnahme von Flüchtlingen unternimmt. Europa ziehe an seinen Außengrenzen neue Mauern hoch,
kritisierte die Grüne Klubobfrau und forderte eine Wiederaufnahme der Aktion "Mare Nostrum" zur
Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Die Politik der Flüchtlingsabwehr und Abschottung müsse
ein Ende haben, sagte sie und forderte den Außenminister auf, endlich Taten zu setzen. FRONTEX sei untauglich,
wenn es gelte, menschliche Katastrophen zu verhindern. Es brauche ein "Mare Nostrum 2". Wer gegen diese
Forderung sei, nehme den Tod von Flüchtlingen in Kauf, stellte Glawischnig fest. Es gehe auch nicht an, die
Flüchtlingsproblematik auf die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens auszulagern, die selber vor riesigen
Problemen stehen.
SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder hielt fest, dass Europa auf die aktuelle Lage reagieren müsse, und brachte
einen Entschließungsantrag von SPÖ und ÖVP ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich
in der EU für die Ausweitung und Verbesserung der Maßnahmen zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer
einzusetzen. Europa müsse die Verantwortung gemeinsam wahrnehmen, sagt Schieder. Der Antrag wurde mehrheitlich
angenommen.
Christoph Vavrik (N) sagte, es gebe eine Mitverantwortung für die unfassbaren Tragödien im Mittelmeer
durch unterlassene Hilfeleistung. Das Sterben gehe trotz aller Aufrufe immer weiter. Man müsse daher auch
unkonventionelle Wege überlegen. Notwendig sei eine gesamtheitliche Lösung, sagte er und brachte zwei
Entschließungsanträge ein. Er sprach sich darin für ein geregeltes Resettlement-Programm von Flüchtlingen
innerhalb der EU sowie für eine finanziell adäquat ausgestattete Such- und Rettungsmission im Mittelmeer
aus. Die beiden Entschließungsanträge blieben in der Minderheit.
Jessi Lintl (T) stellte fest, das ICMPD sei eine wichtige Einrichtung der Migrationsforschung, aber dies sei angesichts
der dramatischen Situation zu wenig. Es gelte, rasch die notwendigen politischen Beschlüsse zu fassen, um
das Ertrinken von Flüchtlingen zu verhindern. In Libyen habe der IS nun Zugang zum Mittelmeer, was eine enorme
Gefahr darstelle. Auch müsse gegen verantwortungslose Schlepper vorgegangen werden. Auch ÖVP-Abgeordneter
Georg Strasser lobte die Arbeit des Instituts, das wichtige Beiträge zum geordneten Diskurs über Migrationsfragen
liefere.
Außenminister Sebastian Kurz nahm zur Kritik Hübners an internationalen Organisationen in Österreich
Stellung. Er vertrete vehement den Standpunkt, dass es wichtig sei, dass Österreich Sitz von Internationalen
Organisationen und NGOs bleibe. Das trage zur Weltoffenheit der Republik bei und bringe auch einen wirtschaftlichen
Mehrwert.
Zur Flüchtlingsfrage hielt Kurz fest, es gebe die Pflicht und Notwendigkeit zur Rettung von Flüchtlingen.
Eine Aufstockung der Rettungskapazitäten werde daher von allen AußenministerInnen der EU klar unterstützt.
Langfristig gebe es aber die Notwendigkeit, der skrupellosen Schlepperei die Grundlage zu entziehen. Der Gedanke
von Asylzentren in Nordafrika müsse daher weiter verfolgt werden. Langfristig brauche man auch eine bessere
Unterstützung der Herkunftsländer und eine Verbesserung der Lebensbedingungen dort, um den Migrationsdruck
zu senken. Eine Aufstockung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit sei daher notwendig, befand Kurz.
Tanja Windbüchler-Souschill (G) zeigte sich unzufrieden mit der Erklärung des Außenministers. Die
Außenpolitik sei trotz aller Beteuerungen des Gegenteils weiterhin an Wirtschaftspolitik, nicht an Menschenrechten
orientiert. Die EU müsse legale Einreisemöglichkeiten schaffen, anstatt sich noch mehr abzuschotten.
50 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht. Auf dem Weg nach Europa sei davon nur ein geringer Prozentsatz
von ihnen. Sie brachte einen Entschließungsantrag der Grünen mit der Forderung nach "Mare Nostrum
2" ein, der jedoch abgelehnt wurde.
Fraktionskollege Peter Pilz (G) übte heftige Kritik an Kurz und sagte, die Situation im Mittelmeer sei allen
europäischen Außenministern längst bekannt gewesen. Trotzdem hätten sie nichts unternommen,
als Italien sein Seerettungsprogramm für beendet erklärte. Der Antrag der Koalition sei zu wenig, er
nenne den Punkt "Seerettung" von Flüchtlingen gar nicht. Der Außenminister solle klar erklären,
ob er Österreich in der EU ein großes Seerettungsprogramm unterstützen werde und selber Geld in
die Hand nehme, forderte Pilz. Ideen wie die Schaffung von Flüchtlingslagern in Nordafrika seien völlig
realitätsfern. Es sei an der Zeit, "zu retten statt zu reden", forderte Pilz. Anton Heinzl (S) hielt
ihm entgegen, dass der Antrag der Koalitionsparteien sich sehr wohl klar für Seerettungsaktionen der EU ausspreche.
Abgeordneter Reinhard Bösch (F) sah die Anträge zur Flüchtlingsfrage als ungeeignet. Es müsse
grundsätzlich verhindert werden, dass skrupellose Schlepper Menschen auf seeuntaugliche Boote setzen können.
Christoph Hagen (T) stellte fest, dass die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer für ihn schon vor Jahren
absehbar war. Die Politik habe aber auf Warnungen nicht reagiert. Es wäre möglich gewesen, mit den nordafrikanischen
Staaten Abkommen über die Aufnahme von Flüchtlingen zu schließen, damit diese nicht den gefährlichen
Weg über das Meer antreten. Das hätten die Grünen stets abgelehnt, ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage
sei daher unglaubwürdig, sagte Hagen.
Erleichterungen bei Passanträgen zwischen Österreich und Deutschland
In Zukunft können sich die Passbehörden Österreichs und Deutschlands direkt unterstützen. Das
Passabkommen mit Deutschland legt fest, dass die Identitätsfeststellung und die Erfassung der Daten sowie
der biometrischen Merkmale durch ausgewählte lokale Passbehörden der jeweils anderen Vertragspartei durchgeführt
werden können.
In Deutschland werden von AuslandsösterreicherInnen im Durchschnitt jährlich 7.000 Anträge auf Ausstellung
eines österreichischen Reisepasses gestellt. Bisher mussten sich die AntragstellerInnen an die österreichische
Botschaft in Berlin oder das Generalkonsulat in München wenden, was mit langen Wegstrecken verbunden war und
oft ein beträchtliches logistisches Hindernis darstellte. Nun gebe es Erleichterungen für rund 240.000
in Deutschland lebende ÖsterreicherInnen und für zahlreiche deutsche StaatsbürgerInnen mit österreichischem
Wohnsitz, stellte Angelika Winzig (V) fest. Anton Heinzl (S) sah ebenfalls eine wichtige Vereinfachung der Passformalitäten
für AuslandsösterreicherInnen. Das Abkommen wurde einstimmig gebilligt.
Einspruch bei Haager Urkundenübereinkommen
Einstimmig genehmigte der Nationalrat einen Einspruch Österreichs gegen den Beitritt Burundis zum Haager Übereinkommen
zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung. Begründet wird diese Entscheidung
vor allem mit der hohen Urkundenunsicherheit in dem ostafrikanischen Staat, erläuterte Abgeordneter Franz
Leonhard Eßl (V).
Zurückziehung des Vorbehalts gegen Anti-Diskriminierungs-Konvention
Zurückgezogen wird hingegen der Vorbehalt Österreichs gegen die Konvention zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau hinsichtlich des besonderen Arbeitnehmerschutzes von Frauen werden. Das zur Überprüfung
der Umsetzung der Konvention berufene Komitee für die Beseitigung der Diskriminierung der Frauen (CEDAW-Komitee)
hatte Österreich 2013 aufgefordert, seinen Vorbehalt zurückzuziehen, zumal das angestrebte Schutzniveau
nach Ansicht des Komitees bereits gewährleistet sei. Österreich schließt sich dieser Einschätzung
nun an und zieht den Vorbehalt als nicht mehr erforderlich zurück. Die Entscheidung fußt auf einem gemeinsamen
Beschluss von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Team Stronach und NEOS und wurde vom Nationalrat mehrheitlich gebilligt.
Claudia Durchschlag (V) und Gisela Wurm (S) erläuterten, es sei bei den Vorbehalten Österreichs nicht
darum gegangen, dass Österreich Diskriminierung zulassen wollte. Es ging vielmehr um gesetzestechnische Widersprüche,
die aufgrund einer geänderten Gesetzeslage hinfällig geworden sind. Wurm stellte fest, dass das CEDAW-Komitee
wichtige Arbeit in Fragen der Gesetzgebung zu Gleichstellungsfragen leiste.
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