"hilfe. Lebensrisken Lebenschancen"

 

erstellt am
21. 04. 15
11.00 MEZ

Oö. Landessonderausstellung 2015 – Landesausstellungen in Oberösterreich seit fünf Jahrzehnten
Linz (lk) - Seit nunmehr fünf Jahrzehnten werden in Oberösterreich Landesausstellungen gezeigt. Die erste derartige Schau stand unter dem Titel "Meister der Donauschule" und wurde im Stift St. Florian bei Linz ausgerichtet. Was als rein kunstgeschichtlich konzipierte Ausstellung begann, hat sich mittlerweile zur größten Eigenveranstaltung des Landes Oberösterreich auf dem Kultursektor entwickelt. Der Themenkanon hat sich dabei stetig erweitert, neben kunstgeschichtlichen Fragestellungen wurden in den unterschiedlichen Ausstellungen auch landesgeschichtliche Themen und solche der Natur-, der Technik- oder der Sozialgeschichte behandelt.

Das österreichische Sozialwesen erstmals Thema einer großen Ausstellung
Am 29. April 2015 wird nun in Gallneukirchen, im sogenannten "Diakonissenhaus Bethanien", eine bis 2. November 2015 geöffnete Sonderausstellung des Landes Oberösterreich gezeigt. Der Titel der Ausstellung lautet "Hilfe. Lebensrisken Lebenschancen".

Erstmals widmet sich damit eine Großausstellung in Österreich einem so bedeutenden Thema wie der Entwicklung des Sozialwesens. Konkret geht es um die Entstehung und Ausformung der sozialen Sicherung in unserem Land, die, historisch betrachtet, neben dem offiziellen staatlichen sozialen Netz auch noch die vielen privaten und kirchlichen Initiativen umfasst.

Als Ausrichter dieser Ausstellung fungiert in bewährter Weise die Direktion Kultur beim Amt der Oö. Landesregierung, Partner bei der Umsetzung und beim Betrieb sind das Diakoniewerk in Gallneukirchen und die Stadtgemeinde Gallneukirchen.

Der Ausstellungsstandort
Das "Diakonissenhaus Bethanien" im Zentrum von Gallneukirchen, benannt nach dem biblischen Ort Bethanien, südöstlich von Jerusalem, wo Jesus von Johannes getauft wurde, ist der Standort dieser Landessonderausstellung.

Kurz nach der Gründung des Diakonissen-Ordens im Jahr 1877 errichtet, hat das Haus - bis vor wenigen Jahren als Heimat der Schwesternschaft der Diakonissen und der Diakonischen Schwestern - in der Ausstellung eine besondere Funktion: Als soziale Institution ist es gleichzeitig Ort und Inhalt der Ausstellung.

Das "Diakonissenhaus Bethanien" ist ein Ort, von dem soziales Handeln in der Tradition der christlichen Nächstenliebe mit ihrem helfenden, rettenden und sozialen Handeln in einem hohen Maß ausgegangen ist.

Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und wurde - nicht zuletzt aufgrund seines hohen Alters - in den letzten Jahren stark renovierungsbedürftig.

Die bauliche Sanierung und Adaptierung des Gebäudes - verbunden mit der Unterbringung der Ausstellung - ist demnach auch eine wichtige denkmalpflegerische Großtat.

Sie ist aber auch eine Wertschätzung der Arbeit des Diakoniewerks, die zweifellos zu den national und international bedeutendsten Einrichtungen bei der Betreuung und Pflege, u.a. von alten Menschen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen zählt.

Nachnutzung und Kosten
Die Nachnutzung des Gebäudes ist multifunktional geprägt: In dem neuen Haus werden Arbeitsangebote für Menschen mit Behinderung im Kunst- und Kulturbereich ihren Platz finden. Es wird eine Tagesbetreuung für Menschen mit Demenz geben. Weiters bietet das neue Haus auch Räume für die Ludwig-Schwarz-Schulen des Diakoniewerkes, die Diakonie-Akademie sowie Seminar- und Tagungsräume.

Die Kosten für die bauliche Adaptierung des Gebäudes betragen rund 9 Mio. Euro und werden von mehreren Ressorts des Landes sowie von der Diakonie getragen.

Bewährtes Team bei der Vorbereitung der Ausstellung
Die Ausarbeitung des Ausstellungskonzeptes wurde von Dr.in Brigitte Kepplinger und em. Univ.Prof.in Dr.in Irene Dyk-Ploss vom Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Johannes-Kepler-Universität Linz vorgenommen. Als wissenschaftliche Mitarbeiter fungierten Mag.a Dr.in Angela Wegscheider, Mag. Wolfgang Gerstenecker,
Mag. Paul Gould und Mag. Gunter Bittermann.

Von Seiten des Diakoniewerks Gallneukirchen wirkten Rektorin Mag.a Christa Schrauf und ihr Team mit, die sich vor allem bei der Darstellung der Geschichte des Standortes und der Diakonie sowie bei den Fragen rund um die Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen intensiv einbrachten.

Als Gestalter der Ausstellung fungierte Herr DI Gerhard Abel (PLANET Architects), der bereits zahlreiche Landesausstellungen in Niederösterreich und auf der Schallaburg (z.B. 2014: "Jubel & Elend. Leben mit dem Großen Krieg") gestaltet hat. In Oberösterreich gestaltete er zuletzt den Ranshofener Beitrag zur grenzüberschreitenden Landesausstellung 2012 im Innviertel.

Die Stadtgemeinde Gallneukirchen mit Bürgermeisterin Gisela Gabauer an der Spitze kümmerte sich um die Neugestaltung des Ortsplatzes, der am 11. April d.J. seiner Bestimmung übergeben wurde und mittlerweile als Ort der Begegnung bestens angenommen wird.

Stadtgemeinde und Diakoniewerk haben sich zusammen mit den Kulturschaffenden in der Region auch um die Ausarbeitung von Beiträgen zum Rahmenprogramm gekümmert.


Ein kurzer Rundgang durch die Ausstellung

1.OG:
Der Weg durch die Ausstellung zeigt die Entwicklung des gesellschaftlichen Umgangs mit zentralen Lebensrisken (Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit) und die aus den Problemlösungsstrategien erwachsenden Lebenschancen für die jeweiligen sozialen Gruppen.

Die Annäherung an das Thema erfolgt historisch. Im ersten Teil der Ausstellung, im ersten OG, werden einerseits Meilensteine der Entwicklung des Systems der sozialen Sicherung präsentiert, andererseits die Zentrierung des Systems auf Erwerbstätigkeit thematisiert.

So entwickelten sich aufeinander bezogene Sicherungssysteme: die Versicherung (Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit), die den Mitgliedern Rechtsansprüche auf bestimmte Leistungen bot, und das System der subsidiären Sicherung durch die Gemeinden, denen die Versorgung der nicht erwerbsfähigen Armen übertragen war. Diese Zweiteilung ist auch heute noch erkennbar.

Was uns heute in Österreich als selbstverständlich erscheint, ist es nicht: Es war kein gerader Weg vom schwierigen Beginn vor 120 Jahren bis zur Gegenwart. Die soziale Sicherung entstand in einem langen Prozess von Auseinandersetzung und Verständigung, der niemals abgeschlossen ist.

Der Gedanke der Solidarität bildet die Grundlage des Systems. Es lebt von der Akzeptanz und der aktiven Unterstützung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen. Es wird aktiv getragen von all jenen, die in diesem Bereich tätig sind. Die Vielfalt der Berufsfelder und Zugänge soll in einer Installation von 30 Protagonist/innen verdeutlicht werden.

Verschiedene soziale Gruppen sind zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß abgesichert worden, wobei die zentrale Voraussetzung der Kranken- und Unfallversicherung (wie in der Regel heute noch) in der Erwerbstätigkeit gegründet war. Dieser Prozess der Einführung einer Kranken- und Unfallversicherung für Industriearbeiter war schwierig und auch konfliktreich.

Erwerbsunfähige Arme waren auf die Armenversorgung der Gemeinden angewiesen. Ein zentrales Thema dieses Bereichs ist die Unterscheidung zwischen "würdigen" und "unwürdigen" Armen, die die Fürsorgeeinrichtungen beschäftigte und auch heute noch beschäftigt, ebenso wie der Grundsatz der Subsidiarität. Erst wenn wirklich keine Mittel mehr vorhanden waren, wurde die Unterstützung der Gemeinde gewährt.

In diesem Feld - Versorgung der Erwerbsunfähigen - etablierten sich Hilfseinrichtungen von kommunalen und privaten (konfessionellen) Trägern, die jeweils spezielle Personengruppen betreuten (Menschen mit Behinderung, Alte, chronisch Kranke, Waisen etc.).

In der Ersten Republik wurde die soziale Sicherung zum Konfliktfeld der großen politischen Lager. Die Einführung der Arbeitslosenversicherung von 1920 markiert einen wesentlichen Fortschritt. Allerdings verunmöglichte die krisenhafte wirtschaftliche und politische Entwicklung einen Ausbau des Systems. Vor allem die Einführung der Alterspension fiel dieser schwierigen Lage zum Opfer. Die Weltwirtschaftskrise der späten 1920er Jahre führte zu stark steigenden Arbeitslosenzahlen und zu massiven Armutsphänomenen, die den aufkommenden Nationalsozialismus begünstigten.

Viele Menschen, zumal Alte, Kranke, Waisenkinder und Menschen mit Behinderungen waren auf soziale Einrichtungen wie die der Diakonissen angewiesen, deren jahrzehntelange Tradition in Hilfe und Pflege gerade in Gallneukirchen im Haus Bethanien erfahrbar wird.

In der NS-Zeit wurden soziale Maßnahmen wie Alterspension, Ehestandsdarlehen und Kinderbeihilfen eingeführt; durch die Kriegsvorbereitungen kam es auch zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Die Leistungen des nationalsozialistischen Wohlfahrtsstaats standen aber nur jenen Menschen zur Verfügung, die die Voraussetzungen der Erbgesundheit und der Rassereinheit erfüllten. In diesem Kontext wird das politische System mit dem Wohlfahrtsstaat verknüpft: Nur ein demokratisches System ist in der Lage, in diesem Bereich Gleichheit zu gewährleisten.

2.OG:
Nach 1945 wurde das Modell der Versicherung beibehalten und ausgebaut. Die Basis bildet das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) von 1955, durch das alle Erwerbstätigen pflichtversichert sind. Der Kreis der Versicherten wurde zudem stetig erweitert (bisher nicht erfasste Berufsgruppen, Angehörige etc.).

Das ASVG deckt die Risiken Krankheit, Unfall und Alter ab. Die Arbeitslosenversicherung ist zwar auch eine Pflichtversicherung, ist aber außerhalb des ASVG organisiert. Interaktive Stationen auf der "MS ASVG" sollen spielerisch einen Zugang zu zentralen Inhalten ermöglichen. (>>> Das ASVG wird als Schiff dargestellt, das durch das Meer der Lebensrisken navigiert).

Nach der "MS ASVG" wird noch einmal vertiefend auf die Sicherung gegen die Lebensrisken "Krankheit", "Arbeitslosigkeit", "Alter" und "Behinderung" eingegangen, wobei die Rolle der Sozialen Dienste in diesem Kontext herausgearbeitet wird.

In der Folge werden die Lebensrisken Behinderung und Alter ausführlicher behandelt.

Für Menschen mit Beeinträchtigungen ist nicht nur die materielle und soziale Absicherung wichtig, sondern auch der Abbau verschiedenster Barrieren, umfassende Maßnahmen der Inklusion und Selbstbestimmung über die eigenen Lebensentwürfe.

Das gilt auch für Personen im Alter, die neben Pensionen (und allenfalls Ausgleichszulagen) und zusätzlich zu familiärer Einbindung und aktivierenden Angeboten unter Umständen unterschiedlichster ambulanter und stationärer Hilfestellungen bedürfen.

Diese Hilfestellungen werden - wie in anderen Sozialbereichen auch (Behinderten-, Jugend-, Familienarbeit, Unterstützung bei der Lebensbewältigung für verschiedenste Gruppen) - von immer qualifizierterem Personal geleistet. Auch die Sozialeinrichtungen agieren immer professioneller, kämpfen aber oft mit Unverständnis und Sparzwängen.

Viele soziale Dienste könnten nicht geleistet werden, gäbe es nicht zahlreiche Menschen, die sich ehrenamtlich im Sozial- und Gesundheitswesen, aber auch im Freizeitbereich engagieren.

Solidarität ist eine wichtige Grundlage des Wohlfahrtsstaates. Die sozialen Einrichtungen bzw Maßnahmen werden aus Steuerleistungen finanziert, zu denen wir alle beitragen. Solidarität gilt im Großen und im Kleinen, zwischen Gesellschaften und Gemeinschaften, Organisationen und Gruppen, und zwischen einzelnen Menschen.

Vermittlung und Barrierefreiheit kommt große Bedeutung zu
Barrierefreiheit ist bei Oberösterreichs Großausstellungen, insbesondere bei Landesausstellungen, seit jeher ein zentrales Thema. Findet eine Ausstellung jedoch in Räumlichkeiten einer sozialen Betreuungseinrichtung statt, kommt der Barrierefreiheit naturgemäß noch größere Bedeutung zu.

Bei der Gestaltung der Ausstellung wurde daher versucht, die Barrierefreiheit - wie vielerorts üblich - nicht nur auf die Befahrbarkeit mit Rollstühlen zu reduzieren, sondern auch für gehörlose, blinde, kleinwüchsige und demente Personen entsprechende Vermittlungsangebote zu schaffen.

Darüber hinaus sorgen spezielle, von Mag.a Dagmar Höss entwickelte Vermittlungsprogramme für Schulen dafür, dass sich auch Kinder- und Jugendliche für diese Ausstellung interessieren.

Publikationen

An Stelle eines "klassischen" Katalogs…
Für Ausstellungen wird in der Regel ein Katalog erarbeitet, der die wichtigsten Exponate abbildet und erklärt. Für diese Landessonderausstellung musste jedoch ein anderer Weg gefunden werden, dem Besucher/der Besucherin etwas "Greifbares" mit zu geben, mit dem er/sie sozusagen "hinter" die Raumtexte sehen und die dargestellten Fakten, Abläufe, Ereignisse intensiver bedenken und überdenken kann.

Daher wurden Expert/innen aus Wissenschaft und Praxis gebeten, für eine Begleitpublikation zu den wichtigen Themenblöcken Beiträge zu verfassen: zu historischen und aktuellen sozialen Fragen. Fragen der sozialen Sicherheit, zu neuen Herausforderungen, die für die Sozialpolitik in den letzten Jahrzehnten bzw. Jahren entstanden sind, und zu den großen künftigen Problemen und Problemlösungen in diesen Bereichen.

Das fachliche Spektrum umfasst Theologie, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaft, Statistik und Informatik, Medizin und Psychologie, Kulturanthropologie und Politikwissenschaft. Dementsprechend breit und differenziert erweisen sich die auf über 300 Seiten dargestellten Blickwinkel.

Es wurden aber auch Personen als Autoren eingeladen, deren Zugang ein ganz anderer ist: so finden sich - eingestreut zwischen die Fachbeiträge - Aufsätze, Geschichten, Gedichte, Gedankensplitter von Schriftstellern als intellektueller wie auch emotionaler Anreiz zur Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsthema.

Nicht zuletzt wurde versucht, in diesem Band die Betroffenen mit kleinen Beispielen und vor allem mit den ausdrucksstarken Bildern aus den Kulturformen des Instituts Hartheim zu würdigen.

"Leichter Lesen Broschüre"
Um dem Anspruch der Inklusion bzw. der Barrierefreiheit zumindest symbolisch gerecht zu werden, gibt es eine zusätzliche, über 100 Seiten umfassende Publikation mit Leichter Lesen-Texten.

Sie richtet sich an jene Menschen, deren Bedürfnissen aufgrund von Problemen mit komplizierten Texten und komplexen Inhalten in der vorliegenden Begleitpublikation nicht Rechnung getragen werden konnte.

In diesem Buch werden Zusammenfassungen der Expertenbeiträge der Begleitpublikation in einfacher Sprache wiedergegeben, sowie wichtige Informationen über das Thema und den Inhalt der Ausstellung geboten.

Rahmenveranstaltungen runden das Programm ab
Die Landessonderausstellung 2015 wird - wie dies auch bei Oberösterreichs Landesausstellungen der Fall ist - von einem abwechslungsreichen Rahmenprogramm flankiert.

Das Diakoniewerk in Gallneukirchen, die Stadtgemeinde Gallneukirchen und zahlreichende Kulturschaffende und Institutionen in der Region haben aus Anlass der Ausstellung daher ein ambitioniertes Rahmenprogramm entwickelt, das von Vorträgen und Symposien, über musikalische und Theaterdarbietungen, Aktivitäten im Bereich der bildenden Kunst bis hin zu Themenwegen und alternativen Mobilitätskonzepten reicht.

Ziel dieses Rahmenprogramms ist es einerseits, verschiedene thematische Aspekte der Ausstellung in einer Veranstaltungsschiene aufzugreifen, andererseits aber auch attraktive Angebote für Gäste zu entwickeln, um die Region Gallneukirchen - in unmittelbarer Nähe des oberösterreichischen Zentralraums - zu entdecken.

Sämtliche Rahmenveranstaltungen werden in einem elektronischen Veranstaltungskalender unter http://www.landesausstellung.at präsentiert.

 

 

 

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