Forscherin der Uni Graz untersucht Kommunikation im Konzentrationslager Mauthausen
Graz (universität) - Am 5. Mai 2015 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen
bei Linz zum 70. Mal. Rund 100.000 Menschen aus ganz Europa wurden während des NS-Regimes dort sowie in den
49 Nebenlagern ermordet. „Seit 1940 waren Angehörige von etwa 40 Nationen hier interniert. Die Sprachenvielfalt
erforderte daher differenzierte Kommunikationsmechanismen. Wer Deutsch konnte, hatte jedenfalls zweifellos höhere
Überlebenschancen“, weiß Ao.Univ.-Prof. Dr. Michaela Wolf vom Institut für Theoretische und Angewandte
Translationswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie hat in einem vom Zukunftsfonds der Republik
Österreich geförderten Projekt die ambivalente Rolle der Dolmetscher in Mauthausen untersucht. Ihr Fazit:
„Sie trugen einerseits zur Aufrechterhaltung des Systems bei und konnten deshalb oft mit kleinen Privilegien rechnen.
Andererseits nutzten viele ihre Sprachkenntnisse dazu, die Lebensbedingungen ihrer Mithäftlinge zu verbessern.“
Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Russisch und Spanisch gehörten zu jenen Sprachen,
über die in Mauthausen am häufigsten kommuniziert wurden. Lagerdolmetscher wurden bald unabdingbar, vor
allem bei den Reden der SS-Männer sowie für die Übermittlung von Befehlen jeglicher Art. „Aber auch
zwischen Häftlingen bedurfte es Translationen“, erklärt Wolf. „Zum Beispiel für die Kommunikation
mit den Kapos, die Ordnungsfunktionen inne hatten und unter brutalster Gewaltanwendung den Alltagsbetrieb im Lager
aufrechterhielten“. Die Dolmetscher waren keine Profis, sondern Personen, die zweisprachig aufgewachsen waren oder
Sprachen im Militärdienst gelernt hatten. „Kein geringer Teil der Internierten erwarb in Mauthausen Deutschkenntnisse,
die oft auch für geringfügige Dolmetscharbeiten ausreichten“, weiß Wolf, „dennoch verweigerten
es viele Häftlinge, die Sprache der TäterInnen zu erlernen.“ Zu den Sprachmittlern zählten spanische
und katalanische Republikaner, jugoslawische Partisanen, italienische und französische Angehörige der
Résistance, deutsche, polnische und tschechische politische Aktivisten oder russische Kriegsgefangene. Ihr
Wissen wurde nicht selten mit Privilegien wie mäßig erleichterten Arbeitsbedingungen oder einer extra
Essensration aufgewogen.
Mitunter gebrauchten sie ihre sprachlichen Fähigkeiten aber auch, um eine zumindest leichte Milderung der
Situation ihrer Mithäftlinge zu erreichen, schildert Wolf: „Sie brachten Kameraden beispielsweise in weniger
gefährlichen Arbeitskommandos unter oder befreiten sie aus misslichen Streitsituationen mit Kapos oder anderen
Häftlingen. Bekannt sind sogar Fälle, in denen Dolmetscher Mitgefangene vor dem Erhängen retteten.
Insgesamt konnten sie zumindest potenziell die Lage vieler Internierter erleichtern und trugen entscheidend dazu
bei, ihren Lebenswillen zu erhalten und die moralische Integrität zu stärken.“ Als Quellen dienten der
Wissenschafterin vorrangig Berichte ehemaliger Häftlinge sowie Überlebenden-Interviews. Insgesamt durchforstete
die Forscherin mit ihren ProjektmitarbeiterInnen ungefähr 70.000 Seiten auf der Suche nach Beschreibungen
von Dolmetsch-Situationen. Die Mehrdeutigkeit der Sprachvermittlung in Mauthausen wird nicht zuletzt durch den
Namen des Gummiknüppels der SS verdeutlicht – er wurde „Dolmetscher“ genannt, denn seine Sprache verstand
jeder.
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