Kurz: Retten von Menschenleben hat Priorität, langfristige Lösung heißt Stabilisierung
der Situation in den Herkunftsländern
Wien (pk) - Die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer nahmen am 07.05. einen großen Teil der Bundesratsdebatte
über außenpolitischen Themen ein. Außenminister Sebastian Kurz bekannte sich klar zur Rettung
von Menschenleben als prioritäre Maßnahme, die von der Europäischen Union hier ergriffen werden
müsse. Für eine langfristige Lösung des Migrationsproblems müssten jedoch neben einer Erhöhung
der Mittel zur Entwickungszusammenarbeit und zum Auslandskatastrophenfonds auch die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern
der Flüchtlinge verbessert werden. Die BundesrätInnen pflichteten dem Minister hier grundsätzlich
alle bei, hatten je nach Fraktion aber unterschiedliche Zugänge zur Migrationspolitik. Die FPÖ wollte
bessere Vorkehrungen gegen Asylbetrug, die Grünen erweiterte Möglichkeiten der legalen Migration, wobei
von beiden Seiten des politischen Spektrums Hilfe vor Ort als nachhaltigstes Mittel gegen Flüchtlingselend
gewertet wurde.
Diskussionsgrundlage bot der Bericht des Außenministeriums über das EU-Arbeitsprogramm 2015, der im
Bundesratsplenum mehrheitlich angenommen wurde. SPÖ und ÖVP filterten daraus auch den Bereich EU-Nachbarschaftspolitik
als für Österreich abseits der Flüchtlingsfragen höchst bedeutend heraus, speziell in Hinblick
auf die Länder des Westbalkans.
Im Themenblock Außenpolitik verabschiedete der Bundesrat außerdem einstimmig ein Abkommen mit Deutschland,
das für BürgerInnen beider Staaten Erleichterungen bei Passanträgen bringt. Die MandatarInnen begrüßten
parteiübergreifend die Verwaltungsvereinfachung, von der sie maßgebliche Erleichterungen für ÖsterreicherInnen
in Deutschland erwarten.
Die Mehrheit der Länderkammer billigte auch den Vertrag für ein internes Steuersystem des Internationalen
Zentrums für Migrationspolitikentwicklung (ICMPD). Den Einspruch Österreichs gegen den Beitritt Burundis
zum Haager Übereinkommen betreffend Beglaubigungsbefreiung ausländischer öffentlicher Urkunden genehmigte
die Länderkammer einhellig. Weiters zieht die Republik mit der verfassungsrechtlich erforderlichen Stimmenmehrheit
des Bundesrats den Vorbehalt zurück, der gegen die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau hinsichtlich des besonderen Arbeitnehmerschutzes bestanden hat.
Flüchtlingsnot langfristig nur durch Stabilität in Herkunftsländern zu lindern
Für Außenminister Kurz hat angesichts der Flüchtlingstragödien im Mittelmeer die Rettung von
Menschenleben oberste Priorität, wie er heute im Bundesrat einmal mehr verdeutlichte. Die EU dürfe das
massenhafte Sterben unschuldiger Menschen nicht länger hinnehmen. Neben einer ausgeweiteten Seerettung bedürfe
es aber auch eines energischen Vorgehens gegen verbrecherische Schleppernetzwerke, die an Flüchtlingstransporten
auf seeuntauglichen Booten gut verdienen. Kurz konnte überdies dem Gedanken etwas abgewinnen, flüchtende
Menschen in Zentren auf dem nordafrikanischen Festland erstzuversorgen und ihre Chancen auf Asyl in Europa dort
abzuklären. Die Frage der Rettung von Personen aus Seenot müsse von ihrer Einreiseerlaubnis nach Europa
entkoppelt werden. Langfristig benötigten die krisengeschüttelten Herkunftsländer der Flüchtenden
allerdings Unterstützung bei der Stabilisierung ihrer Lebensbedingungen, ist Kurz überzeugt. Daher sei
hier nicht nur die Entwicklungzusammenarbeit, sondern auch die Außen- und Sicherheitspolitik gefordert.
Die Migrationspolitik der Europäischen Union war für die FPÖ zentraler Grund, dem generell gelobten
Bericht der Bundesregierung über EU-Vorhaben die Zustimmung zu verweigern. Europa sei außer Stande,
allen notleidenden Menschen auf der Welt zu helfen, brachte die Wiener FPÖ-Bundesrätin Monika Mühlwerth
ihre Haltung auf den Punkt. Besonders wirtschaftlich bedingte Migration sei daher einzudämmen. Kritisch sieht
sie zudem mit Blick auf die trübe Wirtschaftslage in vielen EU-Ländern die Überlegungen zu einem
Verteilungsschlüssel für Asylwerbende innerhalb der EU. Weil auch Gelder der Entwicklungszusammenarbeit
häufig die Betroffenen nicht erreichten, brauche es zielgerichtete Hilfen vor Ort, wobei auch Länder
wie China und die USA Verantwortung übernehmen müssten. Immerhin resultierten viele Probleme der lokalen
Bevölkerung aus der unverfrorenen Ressourcenausbeutung durch ausländische Mächte am afrikanischen
Kontinent bzw. seien eine Folge des Klimawandels, hielt die Freiheitliche fest. Tatsächlich müsse die
Politik mehr tun, um den Ursachen des Flüchtlingselends Herr zu werden und die EZA-Mittel effektiver einzusetzen,
befand der Oberösterreicher Efgani Dönmez von den Grünen ebenfalls. Er relativierte die Ausführungen
Mühlwerths jedoch mit dem Hinweis, dass vier Fünftel der Migrationsbewegungen sich außerhalb Europas
abspielen.
Sein Parteikollege Marco Schreuder (G/W) forderte von der EU eindringlich, als erste Hilfe das eingestellte Seerettungsprogramm
Mare Nostrum wiederzubeleben sowie die Möglichkeiten auf Asylanträge und sichere Überfahrten zu
erleichtern, nicht zuletzt, um Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Mit der Aufstockung der Grenzschutzmission
Triton hätten die Staats- und Regierungschefs der EU nur bewiesen, dass die Menschenrettung beim Vorgehen
der EU gegen das Flüchtlingsdrama nicht im Vordergrund stehe, empörte sich Schreuder, würden die
Missionsschiffe doch nur in europäischen Gewässern aber nicht in nordafrikanischen Meeresteilen eingesetzt.
Seitens der SPÖ befand die Salzburgerin Susanne Kurz, die bisherige Haltung der EU zur Flüchtlingsproblematik
sei wahrlich kein Ruhmesblatt gewesen, doch bleibe zu hoffen, dass das kürzlich erstellte 10-Punkte-Programm
der Union nun eine menschenwürdige Lösung herbeiführen werde. Zweifelhaft ist für sie, ob Flüchtlingszentren
in Afrika viel an der Situation verbessern. Für Asylsuchende in Europa brauche die EU jedenfalls eine klare
Quotenregelung zur Aufteilung der Personen auf die Mitgliedsstaaten, unterstrich sie im Einklang mit ÖVP-Mandatar
Edgar Mayer aus Vorarlberg, der auch die Notwendigkeit der Kooperation mit afrikanischen Staaten zur Krisenbehebung
ins Treffen führte.
Anti-westliche Haltung Russlands laut Kurz Grund zur Besorgnis
Sowohl Bundesrätin Kurz als auch Bundesrat Mayer bezogen zur anderen Teilen des Bericht über die EU-Jahresvorschau
ebenfalls Position, vor allem zu Fragen der Nachbarschaftspolitik. Die außenpolitische Jahresvorschau der
EU bekräftigt einmal mehr das Bekenntnis Brüssels zum Erweiterungsprozess in Richtung Westbalkanländer
und hebt auch die Bedeutung der Nachbarschaftspolitik und regionaler Partnerschaften hervor. Mayer wies dazu auf
die engen historischen und wirtschaftlichen Verflechtungen Österreichs mit den Staaten am Balkan hin, aus
denen sich automatisch ergebe, dass die Republik diesen Ländern bei ihrer Annäherung an die EU-zur Seite
stehe. Er erinnerte aber auch an die Aussage des Kommissars für Nachbarschaftspolitik Johannes Hahn, in den
kommenden fünf Jahren sei eine Erweiterung der EU unwahrscheinlich. Österreich könne von mehr Zusammenarbeit
mit dem Westbalkan nur profitieren, bekräftigte SPÖ-Mandatarin Kurz, die indes die Stabilität an
allen EU-Außengrenzen für ebenso endscheidend hält – gerade in Hinblick auf den Konflikt der Ukraine
mit Russland.
Zum Ukraine-Konflikt hat das Team Stronach eine Meinung, die sich nicht mit jener der EU deckt. Namens seiner Fraktion
erklärte der niederösterreichische Bundesrat Gerald Zelina (T), die Teilung der Ukraine solle keine Unmöglichkeit
sein, immerhin zeige die Weltgeschichte, dass Staatsgrenzen im Laufe der Zeit oft verschoben würden. Die EU
habe die Abspaltungswünsche von Bevölkerungsgruppen zu respektieren, besonders wenn sie mit dem klaren
Ergebnis einer Volksabstimmung – wie im Fall der Halbinsel Krim – einhergingen. Im gleichen Atemzug verurteilte
Zelina die Sanktionspolitik der EU gegen Russland, die gerade für Österreichs Wirtschaft extrem negative
Folgen habe. Das Zusammenspiel von Wirtschaftsinteressen und politischen Entscheidungen bewirke eine Doppelbödigkeit
in der österreichischen Außenpolitik, vermutete wiederum Efgani Dönmez (G/O), besonders wenn menschenrechtlich
bedenkliche Verhältnisse in jenen Ländern, mit denen man Geschäfte machen will, bestehen, wie etwa
in Russland, der Türkei, Saudi Arabien oder China.
Das Festhalten an Werten wie die Wahrung von Menschenrechten und wirtschaftliche Interessen seien in seinem Verständnis
von Außenpolitik kein Widerspruch, entgegenete Außenminister Sebastian Kurz. Tatsächlich bildeten
Rechtsstaatlichkeit und eine stabile öffentliche Verwaltung die Basis für Unternehmen, längerfristig
in einem Land zu wirtschaften. Konkret zur österreichischen Stellung gegenüber der Türkei meinte
Kurz, leider sei unter der bestehenden türkischen Regierung eine zunehmend ablehnende Haltung gegenüber
der Europäischen Union zu beobachten und Verstöße gegen Menschenrechte und Medienfreiheit mehrten
sich. Eingedenk dessen plane die Bundesregierung, die ÖsterreicherInnen über einen EU-Beitritt der Türkei
abstimmen zu lassen, sollte diese Frage aktuell werden. Einer weiteren Förderungen der Wirtschaftskooperationen
beider Länder stehe dies aber nicht im Weg.
Im Rahmen der Schilderungen seines Besuchs in Weißrussland und Russland Anfang der Woche widersprach Kurz
entschieden dem Team Stronach-Mandatar Gerald Zelina, der Grenzverschiebungen als Normalfall in der Weltpolitik
bezeichnet hatte. Keinesfalls könnten solche Entwicklungen einfach hingenommen werden, wenn das Selbstbestimmungsrecht
von Völkern durch ausländische Streitkräfte durchgesetzt wird. Zur gesellschaftlichen Stimmung in
Weißrussland sagte Kurz, wie die Ukraine befinde sich das Land in einem Spannungsfeld zwischen EU und Russland,
wenn auch mit konträren Vorzeichen. Die Republik Belarus wolle als Teil der eurasischen Wirtschaftsunion die
engen Kontakte zu Russland beibehalten, aber auch näher an die EU heranrücken. In Russland selbst sei
mittlerweile angesichts des Ukraine-Konflikts Ernüchterung eingetreten, beschrieb Minister Kurz seinen Eindruck.
Sorge bereite ihm dort, dass durch das Wiedererstarken des Nationalismus der Westen generell als Feindbild gezeichnet
werde, dabei könne Europa Frieden in der Region mit, aber nie gegen Russland schaffen. Konsequenterweise sei
mit der russischen Regierung beständig der Dialog zu suchen, ohne die eigene Wertehaltung aufzugeben, sodass
nach einem Waffenstillstand auch ein "Ende des Blockdenkens" auf beiden Seiten erreicht wird. Abgesehen
von den politischen Verhandlungen mahnte Kurz humanitäre Hilfe für die knapp zwei Millionen Binnenflüchtlinge
in der Ukraine ein.
Passabkommen bringt Erleichterung für AuslandsösterreicherInnen in Deutschland
In der restlichen außenpolitischen Diskussion fassten die BundesrätInnen mehrere Themen zusammen und
gingen auf Details ein. So waren Günther Köberl (V/St) und Ana Blatnik (S/K) einig, das Passabkommen
mit Deutschland bewirke deutliche Erleichterungen bei Passanträgen für die rund 240.000 ÖsterreicherInnen
mit Wohnsitz im Nachbarland. Bislang hätten AuslandsösterreicherInnen in Deutschland die österreichische
Botschaft in Berlin oder das Generalkonsulat in München zur Antragstellung für einen Reisepass aufsuchen
müssen, was mit langen Wegstrecken verbunden war und oft ein beträchtliches logistisches Hindernis darstellte,
erläuterte Köberl. Durch das Passabkommen sollen nun die Identitätsfeststellung und die Erfassung
der Daten sowie der biometrischen Merkmale auch durch ausgewählte lokale Passbehörden der jeweils anderen
Vertragspartei ermöglicht werden.
Kontroverser verlief die Debatte über das Internationalen Zentrums für Migrationspolitikentwicklung (ICMPD).
Durch die Vertragsänderung über die Gründung und den Betrieb des Internationalen Zentrums für
Migrationspolitikentwicklung soll nun die Einrichtung, die ihren Amtssitz in Wien hat, ein internes Steuersystem
erhalten. Konkret bedeute dies, dass in den für die ICMPD-MitarbeiterInnen geltenden Gehaltstabellen rechnerisch
ein gewisser für interne Sozialleistungen der Institution verwendeter Betrag ausgewiesen wird, erklärte
Bundesrat Köberl. Für Gerd Krusche (F/St) werden hingegen mit der Vertragsänderung einmal mehr Steuerprivilegien
für eine internationale Organisation rechtlich legitimiert, obwohl das ICMPD sich bei Fragen der Asylpolitik
nie einbringe. Die ICMPD-MiarbeiterInnen würden weiterhin ihre Steuern nicht an die Republik Österreich
abführen, sondern nur in eine organisationsinterne Urlaubs- und Sozialkasse zahlen. Dieser Vorwurf rief den
Außenminister auf den Plan. Die Ansiedlung internationaler Organisationen trage nicht nur zum weltweiten
Ansehen Österreichs bei, hielt Sebastian Kurz fest, mit einer Umwegrentabilität von jährlich 500
Mio. € und 10.000 neu geschaffenen Arbeitsplätzen leisteten sie auch einen großen Beitrag zum Erfolg
der heimischen Wirtschaft.
Den Einspruch Österreichs gegen den Beitritt Burundis zum Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer
öffentlicher Urkunden von der Beglaubigung begründeten Ana Blatnik (S/Kt) und Günther Köberl
(V/St) mit der hohen Urkundenunsicherheit in dem ostafrikanischen Staat.
Gleichstellungspolitisch wichtig ist Blatnik die Zurückziehung des österreichischen Vorbehalts gegen
die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau hinsichtlich des besonderen Arbeitnehmerschutzes
von Frauen. Das zur Überprüfung der Umsetzung der Konvention berufene Komitee für die Beseitigung
der Diskriminierung der Frauen (CEDAW-Komitee) habe Österreich 2013 aufgefordert, seinen Vorbehalt zurückzuziehen,
weil das angestrebte Schutzniveau – im konkreten Fall bei berufsbedingter Bleiexposition von Arbeitnehmerinnen
- nach Ansicht des Komitees bereits gewährleistet sei, beschrieb die SPÖ-Bundesrätin den Inhalt
des Verhandlungsgegenstands.
|