Das Bild von hochaltrigen Menschen in Österreich muss neu gedacht werden
Wien (bmg) - Das öffentliche Bild hochaltriger Menschen und die Einstellung zu ihnen zu korrigieren,
hat sich die Gesundheits- und Sozialpolitik zum Ziel gesetzt. Die Basis dafür liefert die erste Österreichische
Interdisziplinäre Hochaltrigenstudie (ÖIHS), die gängige gesellschaftliche Klischees widerlegt.
Hohes Alter ist demnach keineswegs nur mit Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit, sondern sehr wohl auch
mit Selbstbestimmung und Vitalität verbunden.
"Die Gruppe der hochaltrigen Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten signifikant zunehmen. Laut
Eurostat wird sich der Anteil von Menschen über dem 80. Lebensjahr in Europa bis 2030 fast verdoppeln",
erläutert Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser. "Ich sehe es als Aufgabe der Gesundheitspolitik, für
die steigende Zahl der hochaltrigen Personen in Österreich notwendige gesundheitspolitische Strategien zu
entwickeln", so Oberhauser weiter.
410 Personen zwischen 80 und 85 Jahren befragt
Die Österreichische Interdisziplinäre Hochaltrigenstudie (ÖIHS) untersucht erstmals in Österreich
die Gesundheits-, Lebens- und Betreuungssituation hochaltriger Menschen. Trotz zunehmender demografischer und gesundheitspolitischer
Relevanz liegen bis dato nur sehr wenige Daten vor. Die Studie ist ein Kooperationsprojekt, das vom Bundesministerium
für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Ressorts für
Wissenschaft & Forschung, Gesundheit und Pflegemanagement des Landes Steiermark und dem Hauptverband der österreichischen
Sozialversicherungsträger finanziert und von der Österreichischen Plattform für Interdisziplinäre
Alternsfragen (ÖPIA) durchgeführt wurde. Befragt wurden 410 Personen in Wien und in der Steiermark im
Alter zwischen 80 und 85 Jahren.
"Nicht das Altern ist das Problem unserer Zeit, sondern unsere Einstellung dazu", betont Mag. Christopher
Drexler, Landesrat für Wissenschaft und Gesundheit in der Steiermark. "Wir haben diese Studie in ihrer
Pilotphase seitens des Landes Steiermark bewusst unterstützt, da erstmals die Lebenswelt der Hochaltrigen
nicht nur wissenschaftlich beleuchtet wird, sondern die betroffene Zielgruppe direkt eingebunden wurde. Dieser
Umstand und diese Herangehensweise haben derzeit sicherlich noch hohen Ausnahmecharakter. Dadurch sind die Ergebnisse
und Erkenntnisse für unsere zukünftigen strategischen Planungen von enormer Wichtigkeit. Die Altersgrenzen
werden ‚verrückt‘, das ist die Sachlage und wir haben die Verantwortung ein lebendiges, dichtes Unterstützungsnetzwerk
für künftige Generationen zu knüpfen, heute für morgen", so Drexler weiter.
Selbstbestimmung, Teilhabe und Gesundheit
Mit den gewonnenen Daten sollen Bund, Länder und Gemeinden sowie private Dienstleister in ihren Entscheidungen
und in der Entwicklung von Maßnahmen unterstützt werden. Ziel ist es, die Selbstbestimmung, Teilhabe
und Gesundheit bis in das höchste Alter zu sichern. Die Studie zeigt bemerkenswerte Ressourcen im Leben hochaltriger
Menschen. Im Widerspruch zu gängigen gesellschaftlichen Altersbildern, in denen Hochaltrigkeit hauptsächlich
mit körperlichem und kognitivem Verfall sowie mit Pflegebedürftigkeit verbunden wird, befinden sich viele
Frauen und Männer über 80 Jahre immer noch in relativ guter gesundheitlicher und körperlicher Verfassung
und führen ein recht aktives Leben ohne nennenswerten Hilfe- oder Pflegebedarf.
Das gesellschaftliche Bild von Hochaltrigkeit erweist sich eindeutig als zu negativ und entspricht der Lebenssituation
vieler hochaltriger Menschen nicht. Um die Ressourcen hochaltriger Menschen zu erhalten und zu stärken, braucht
es zukünftig soziale, gesundheitliche und bildungsbezogene Strategien, die darauf zielen, bestehende Kompetenzen
möglichst lange zu erhalten.
Hohe Lebenszufriedenheit, ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein
Auch zeigt die Studie eine überwiegend hohe Lebenszufriedenheit unter den hochaltrigen Menschen. Mehr
als drei Viertel der Befragten geben an, mit ihrer Lebenssituation insgesamt zufrieden oder sogar sehr zufrieden
zu sein. "Die Ergebnisse der Studie sind für die Sozialversicherung eine wichtige Grundlage für
den weiteren Ausbau von Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheit von älteren Menschen. Positiv ist
dabei, dass hochbetagte Menschen ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein und eine hohe Motivation besitzen,
die eigene Gesundheit zu erhalten. Überdies müssen wir auch das vorherrschende Bild von älteren
Menschen grundsätzlich überdenken und die Potenziale besser nutzen. Im Rahmen des Schwerpunkts Seniorengesundheit
werden wir unseren Beitrag für ein längeres selbstbestimmtes Leben bei guter Gesundheit leisten",
hält Mag. Peter McDonald, Vorstandsvorsitzender im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
fest.
Gleichzeitig gibt es eine Gruppe hochaltriger Menschen, die bereits in unterschiedlich hohem Ausmaß von Gesundheits-
und Funktionseinschränkungen betroffen und infolgedessen auf Hilfe im Alltag oder körperliche Pflege
angewiesen sind. Darüber hinaus deuten die Studienergebnisse auf eine steigende Wahrscheinlichkeit für
altersassoziierte Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit mit weiter zunehmendem Alter hin. Es gibt Hinweise
auf eine wachsende emotionale Verletzlichkeit - vor allem bei chronischen Schmerzzuständen, bei Pflegebedürftigkeit,
bei stärkeren kognitiven Einbußen und beim Verlust nahestehender Menschen.
"Angesichts dieser enormen Heterogenität", so die ÖIHS-Studienleiter Dr. med. Georg Ruppe und
Mag. Andreas Stückler, "erfordert das hohe Lebensalter entsprechend differenzierte Zugänge und Angebote.
Verallgemeinernde Sichtweisen zu den Lebensumständen, den gesundheitlichen Verhältnissen oder Bedürfnissen
hochaltriger Menschen erweisen sich als irreführend."
Vielfalt der Lebenskonzepte und Alltagsgestaltungen
Insgesamt kann festgestellt werden, dass Merkmale der physischen, psychischen und kognitiven Gesundheit, des
individuellen Lebensstils, der sozialen Netzwerke und der finanziellen Situation in der Gruppe der hochaltrigen
Menschen in einer engen Wechselwirkung stehen. Daher sollte bei der Entwicklung von Interventionsstrategien ein
möglichst umfassender und ganzheitlicher Ansatz gewählt werden. Auch biografische Merkmale spielen eine
große Rolle, weshalb schon früh im Lebenslauf präventive Strategien entwickelt gehören, die
sich positiv auf Lebensqualität, Kompetenz und Teilhabe im hohen und sehr hohen Alter auswirken.
"Zu den interessantesten Studienergebnissen gehört für mich die große Vielfalt der Lebenskonzepte
und Alltagsgestaltungen hochaltriger Menschen. Als Sozialminister gehe ich davon aus, dass diese Vielfalt zunehmen
wird. Daher will ich auch weiterhin Maßnahmen und Initiativen unterstützen, die den Diskurs zur Hochaltrigkeit
vorantreiben und die Lebensqualität der älteren und hochbetagten Menschen zum Ziel haben", hält
Sozialminister Rudolf Hundstorfer abschließend fest.
Die Österreichische Interdisziplinäre Hochaltrigenstudie ist als nationale Längsschnittstudie konzipiert,
die in den kommenden Jahren schrittweise ausgeweitet wird. Die Studie ist unter http://www.oepia.at
verfügbar
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