Evangelische Kirche in Österreich veröffentlicht Erklärung zu 70 Jahre Kriegsende
Wien (epdÖ) - "Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist es für die Evangelische Kirche
wichtig, auch 70 Jahre später nicht zu vergessen und Lehren für die Zukunft zu ziehen", heißt
es in einer aktuellen Erklärung des Evangelischen Oberkirchenrats A. und H.B. in Österreich im Gedenken
an das Kriegsende. Vor 70 Jahren, am 8. Mai 1945, endete mit der Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg.
In der Erklärung erinnert der evangelische Oberkirchenrat daran, dass auch Österreicherinnen und Österreicher
im Zweiten Weltkrieg zu Täterinnen und Tätern wurden. Darüber hinaus wird einmal mehr festgehalten,
dass die Evangelische Kirche in dieser Zeit schwere Schuld auf sich geladen habe. "Mit besonderer Scham erfüllt
uns auch 70 Jahre nach Kriegsende das Versagen bzw. die Mittäterschaft gegenüber Jüdinnen und Juden
und gegenüber anderen Gruppen wie Behinderten, Roma oder Homosexuellen, die alle als 'unwertes Leben' angesehen
und damit der Gefangenschaft oder dem Tod preisgegeben wurden", heißt es in der Erklärung. Zwar
habe es auch Widerstand von evangelischer Seite gegeben, wie etwa durch Pfarrer Dietrich Bonhoeffer oder den österreichischen
Oberstleutnant Robert Bernardis. Aber sie seien "eher die Ausnahme als die Regel" gewesen. Heute lehne
die Evangelische Kirche Krieg als Mittel der Konfliktlösung ab. Vielmehr sehe sie ihren Auftrag darin, zu
Versöhnung und Verständigung zwischen Menschen und Gruppen beizutragen; den jüdischen Geschwistern
gegenüber habe die Kirche eine besondere Verantwortung. Ihr Einsatz gelte heute aber auch Menschen auf der
Flucht, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Kein politischer Führer und keine Ideologie dürfe
über Gott stehen, hält das Leitungsgremium der Evangelischen Kirche fest und betont: "Nie wieder
soll sich die Kirche mit menschenverachtenden und todbringenden Kräften verbünden, sondern die Würde
jedes einzelnen Menschen achten."
Die von Bischof Michael Bünker und Landessuperintendent Thomas Hennefeld gezeichnete Erklärung hat folgenden
Wortlaut:
"Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Er brachte unsägliches Leid über die Welt. Millionen
Menschen wurden auf den Schlachtfeldern und in der Zivilbevölkerung verstümmelt und getötet, in
den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben.
Mit dem Ende des Krieges war das Leid noch nicht vorüber, aber die Befreiung durch die Alliierten machte dem
nationalsozialistischen Verbrechensregime ein Ende. Österreicherinnen und Österreicher waren Mittäterinnen
und Mittäter. Auch die Evangelische Kirche lud schwere Schuld auf sich. Mit besonderer Scham erfüllt
uns auch 70 Jahre nach Kriegsende das Versagen bzw. die Mittäterschaft gegenüber Jüdinnen und Juden
und gegenüber anderen Gruppen wie Behinderten, Roma oder Homosexuellen, die alle als 'unwertes Leben' angesehen
und damit der Gefangenschaft oder dem Tod preisgegeben wurden. Das Konzentrationslager Mauthausen steht für
dieses Grauen auf österreichischem Boden.
Viel zu selten gab es Widerstand gegen den NS-Terror. Menschen wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer
oder der österreichische Oberstleutnant Robert Bernardis und einige einer größeren Öffentlichkeit
nicht bekannt gewordene Menschen, die das Regime herausforderten und ihr Gewissen und ihren Gehorsam gegenüber
Gott über die Sicherung des eigenen Lebens stellten, waren die Ausnahme und nicht die Regel.
Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist es für die Evangelische Kirche wichtig, auch 70 Jahre später
nicht zu vergessen und Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Die Evangelische Kirche lehnt Krieg als Mittel zur Konfliktlösung entschieden ab. Sie setzt sich für
Verständigung und Versöhnung überall dort ein, wo Menschen heute aufgrund ihrer ethnischen, religiösen
oder sexuellen Zugehörigkeit diskriminiert oder unterdrückt werden. Sie hat eine besondere Verantwortung
für ihre jüdischen Geschwister, die sie in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vermissen
hat lassen. Wir wollen nicht vergessen, dass die Kirche selbst Judenhass und christlich motivierten Antijudaismus
schürte. Solidarität mit Jüdinnen und Juden heute bedeutet, sich für ein lebendiges Judentum
in der Gesellschaft einzusetzen, die jüdische Wurzel der Kirche zu betonen und Antisemitismus und Antijudaismus
entschieden zu bekämpfen sowie zu judenfeindlichen Aussagen und Aktionen nicht zu schweigen.
Aus dem Schrecken des Krieges zu lernen heißt auch, Menschen Schutz zu gewähren, die danach trachten,
Krieg und Verfolgung zu entkommen.
Kein politischer Führer und keine Ideologie darf über Gott stehen, wie er uns im Alten und Neuen Testament
begegnet. Dabei hält sich die Evangelische Kirche an ein Wort aus der Schrift: Man soll Gott mehr gehorchen
als den Menschen (Apg 5,29).
Nie wieder soll sich die Kirche mit menschenverachtenden und todbringenden Kräften verbünden, sondern
die Würde jedes einzelnen Menschen achten. Nur so können wir die Frohe Botschaft vom menschenfreundlichen
Gott glaubwürdig leben."
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