Empfehlungen aus Brüssel - und wie die Regierung darauf reagiert
Wien (pk) - Im vergangenen November hat die EU-Kommission das Europäische Semester 2015 zur Koordinierung
der Haushalts- und Wirtschaftspolitik in Europa mit der Vorlage des Jahreswachstumsberichts 2015 eingeleitet. Vor
dem Hintergrund verhaltenen Wachstums, geringer Inflation und sehr hoher Arbeitslosigkeit in Europa schlägt
die EU-Kommission eine Investitionsoffensive von 315 Mrd. vor und empfiehlt Investitionsimpulse, Strukturreformen
und eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik. In ihren "Länderspezifischer Empfehlungen" wendet
sich die EU mit fünf konkreten Vorschlägen direkt an Österreich. Darauf reagierte die Bundesregierung
kürzlich mit dem Nationalen Reformprogramm 2015 ( III-172 d.B.), das nunmehr auch dem Nationalrat vorliegt.
Straffung der Haushaltsstrategie
Die EU empfiehlt Österreich erstens, seine Haushaltsstrategie 2015 erheblich zu straffen und die finanziellen
Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden besser abzustimmen. Österreich sollte auch sein mittelfristiges
Budgetziel erreichen und beibehalten sowie die gesamtstaatliche Schuldenquote dauerhaft senken.
In ihrer Antwort nach Brüssel erinnert die Bundesregierung an das Budgetbegleitgesetz 2014, das mit Einsparungen,
höheren Einnahmen und Effizienzsteigerungen in der Verwaltung bis 2018 einen positiven budgetären Nettoeffekt
von 553 Mio. bringt. Dazu kommen 2014 Einsparungen bei gestaltbaren Mittelverwendungen von 500 Mio. sowie von
weiteren 300 Mio. im Jahr 2015 und das Sonderpensionsbegrenzungsgesetz 2014.
Von der für 2016 geplanten Steuerreform können Lohn- und Einkommensteuerpflichtige ein Entlastung um
5 Mrd. erwarten. Ein 200 Mio. Euro-Wirtschaftspaket soll Impulse für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit
und Beschäftigung bringen. Die Gegenfinanzierung erfolgt über die Bekämpfung von Steuer- und Sozialbetrug,
die Streichung von Steuerausnahmen sowie durch ein Solidaritätspaket für höhere Einnahmen aus der
Grunderwerbssteuer sowie aus Immobiliengewinn- und Kapitalertragssteuern. Im Finanzstrafrecht bringt die Einschränkung
der Strafbefreiung bei Selbstanzeige dem Bund 2014 Mehreinnahmen von 150 Mio. . 2016 wird eine Registrierkassenpflicht
eingeführt und bei Betriebsprüfungen wird es der Behörde künftig möglich sein, Konten
einzusehen. Verschärft wird auch der Kampf gegen Umsatzsteuerhinterziehungen im Versandhandel und beim Karussellbetrug.
Auf die Straffung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zielt eine Reform des Finanzausgleichs.
Ein aufgabenorientierter Finanzausgleich soll ab 2017 mehr Transparenz in die Finanzströme, aufgabenadäquate
Mittelausstattung, Beseitigung von Parallelstrukturen und Einsparungen von insgesamt 1,1 Mrd. bei Förderungen
und in der Verwaltung bringen.
Steuerreform 2016
Die Einkommensteuerreform sieht sechs statt bisher drei Steuerstufen vor, wobei der Eingangssteuersatz von 36,5%
auf 25% gesenkt wird. Der Spitzensteuersatz wird ab einer Million Euro befristet auf 55% erhöht und mit den
daraus gewonnen Mitteln Forschung und Bildung gefördert. Der Arbeitnehmerabsetzbetrag wird in den Verkehrsabsetzbetrag
integriert und kumuliert von 345 auf 400 erhöht. Kleinverdiener erhalten einen höheren Pendlerzuschlag
und 50% der Sozialversicherungsbeiträge (maximal 400 pro Jahr, Pensionisten 110 pro Jahr) rückerstattet.
Der Kinderfreibetrag wird auf 440 pro Kind verdoppelt. Zur Stärkung der Wirtschaft wird die Forschungsprämie
von 10% auf 12% erhöht, die steuerfreie Mitarbeiterkapitalbeteiligung von 1.460 auf 3.000 pro Jahr erhöht
und Crowdfunding zugelassen. WissenschaftlerInnen erhalten Zuzugsbegünstigungen. Die Lohnnebenkosten werden
ab 2018 durch Senkung des Beitrages zum Familienlastenausgleichsfonds reduziert.
Zur Gegenfinanzierung der Steuerreform sollen beim Kampf gegen Steuer- und Sozialbetrug 1,9 Mrd. aufgebracht
werden. Eine Registrierkassen- und Belegerteilungspflicht gilt ab einem Nettoumsatz von 15.000 . Bei Finanzprüfungen
soll die Behörde Einsicht in bestehende Konten nehmen können. Bekämpft werden soll auch der Missbrauch
von E-Cards und Krankenständen; Barzahlungen am Bau werden verboten. In der Verwaltung und bei Förderungen
sollen 1,1 Mrd. eingespart werden.
Änderungen im Steuerecht sollen 900 Mio. bringen. Dazu zählen eine Erhöhung der Umsatzsteuer von
10% auf 13% bei Dienstleistungen in der Kultur, Futtermitteln, Saatgut und Tieren. Die Absetzbarkeit von Ausgaben
zur Wohnraumbeschaffung, Sanierung und Altersvorsorge entfällt. Die Abschreibung von Betriebsgebäuden
erfolgt künftig einheitlich zu einem Satz von 2,5%. Bei der Privatnutzung von Dienstwagen wird der Sachbezug
auf 2% erhöht, wenn der CO2-Ausstoß größer als 120g/km ist. Ein 400 Mio. Euro-Solidaritätspaket
sieht vor, die Grunderwerbsteuer auch bei Übertragungen innerhalb der Familie nach dem Verkehrswert zu berechnen,
in der Landwirtschaft gilt aber weiterhin der Einheitswert. Die Immobilienertragsteuer wird von 25% auf 30% und
die Kapitalertragsteuer von 25% auf 27,5% erhöht. Für 2016 ist eine außerordentliche Erhöhung
der Höchstbeitragsgrundlage zur Sozialversicherung von 100 vorgesehen. Die Selbstfinanzierung der Steuerreform
durch Mehreinnahmen bei Umsatz- und Verbrauchsteuern durch Kaufkraftstärkung beziffert die Bundesregierung
mit 850 Mio. .
Sicherung des Pensionssystems
Die zweite länderspezifische EU-Empfehlung für Österreich lautet auf Verbesserung der langfristigen
Tragfähigkeit des Pensionssystems, eine vorzeitige Harmonisierung des gesetzlichen Pensionsalters für
Frauen und Männer sowie auf Anhebung des tatsächlichen Pensionsalters und dessen Anpassung an die Veränderung
der Lebenserwartung. Der Zugang zum Vorruhestand soll überwacht und die Nachhaltigkeit von Gesundheitswesen
und langfristiger Pflege weiter verbessert werden.
Auf diese Vorschläge reagiert die Regierung mit dem Hinweis auf die Wirksamkeit von Reformen der letzten Jahre:
Pensionskontosystem für alle ab 1955 Geborenen seit 2014, Einschränkung der Invaliditätspension
auf Fälle dauerhafter Invalidität, erschwerter Zugang zu Korridorpension und Hacklerregelung, Arbeitsmarktpaket
für ältere ArbeitnehmerInnen und Präventionsprogramm für eine gesunde Arbeitswelt 2011. Das
durchschnittliche Pensionsantrittsalter stieg zuletzt um 13 Monate an und liegt derzeit bei 59 Jahren und 8 Monaten.
Bei Invaliditätspensionen stieg das Antrittsalter innerhalb eines Jahres auf 54 Jahre und 8 Monate. Die Reformen
entfalten also die beabsichtigte Wirkung, heißt es im Reformprogramm der Bundesregierung.
Die Angleichung des Pensionsantrittsalters für Frauen an jenes der Männer beginnt 2024. Ab dann wird
es jährlich um sechs Monate angehoben, bis das reguläre Pensionsantrittsalter für Frauen 2033 mit
65 Jahren jenem der Männer entsprechen wird.
Im Gesundheitswesen begrenzt die Gesundheitsreform 2013 den Anstieg der Ausgaben (ohne Langzeitpflege) ab 2016
mit dem nominellen Wachstum des BIP. Durch Ausgabenobergrenzen werden bis 2016 3,4 Mrd. eingespart. Teure Spitalsambulanzen
werden entlastet und die Akutversorgung im niedergelassenen Bereich ausgebaut. Auch die Effizienz der Langzeitpflege
wurde verbessert, meldet die Regierung nach Brüssel.
Entlastung des Faktors Arbeit und Investitionen in Bildung
Der EU-Rat empfiehlt Österreich, die hohe Steuer- und Abgabenbelastung kleiner Einkommen zu senken und die
Steuerlast von der Arbeit auf weniger wachstumsschädliche Steuerquellen wie periodische Immobiliensteuern
zu verlagern. Die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen und älteren Arbeitnehmern
sollen durch bessere Kinderbetreuungs- und Langzeitpflegedienste sowie die Anerkennung der Qualifikationen von
Migranten verbessert werden. Zu verbessern seien auch die Bildungsergebnisse benachteiligter junger Menschen durch
Förderung der frühkindlichen Bildung. Negative Konsequenzen der frühen Leistungsdifferenzierung
sollen gemildert werden. Die strategische Planung des Hochschulwesens sei zu verbessern und die Abbrecherquote
zu reduzieren, meint die EU.
Da das derzeitige Steuer- und Abgabensystem den Faktor Arbeit überdurchschnittlich belastet, soll die Steuerreform
2015/16 die Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen um 4,9 Mrd. entlasten. Der Eingangssteuersatz wird von 36,5%
auf 25% gesenkt und untere sowie mittlere Einkommen entlastet. Höhere Einkommen profitieren durch die Anhebung
des Spitzensteuersatzes von 60.000 auf 90.000 . Zusätzliche Steuerstufen flachen die Progression ab. Für
wenig verdienende PendlerInnen wird der Pendlerzuschlag erhöht. Die Sozialversicherungsrückerstattung
wird von 110 auf maximal 400 pro Jahr im Wege des Sozialversicherungsrabatts erhöht. Unternehmen profitieren
seit dem vergangenen Frühjahr von einer Senkung des Beitrags zur Unfallversicherung und zum Insolvenz-Entgelt-Fonds.
Die Arbeitgeberbeiträge zur Unfallversicherung wurden Mitte 2014 um 0,1% auf 1,3% und jene zum Insolvenz-Entgelt-Fonds
um 0,1% auf 0,45% Anfang 2015 gesenkt. Ab 2018 sollen die Lohnnebenkosten stufenweise reduziert werden, insbesondere
der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds. Die bessere Nutzung des Arbeitsmarktpotenzials von Personen mit
Migrationshintergrund, Frauen und älteren Menschen bildet seit 2010 einen Schwerpunkt der österreichischen
Arbeitsmarktpolitik. Im Februar 2015 stieg die Zahl der arbeitslos vorgemerkten Personen in der Altersgruppe 50+
im Vergleich zum Vorjahr um 14,6%, weil geburtenstarke Jahrgänge der Baby-Boomer-Generation (1961 bis 1964)
in diese Altersgruppe hineinwachsen. Zugleich stieg die Zahl der unselbständig Beschäftigten über
50 überproportional. Seit 2008 nahm der Anteil dieser Gruppe an den Beschäftigten von 18,3% auf 23,3%
2014 zu. Der Trend zur Alterung der erwerbsfähigen Bevölkerung wird sich fortsetzen. Zur Anhebung des
tatsächlichen Pensionsantrittsalters und der Beschäftigungsquote Älterer wendet die Regierung in
der Beschäftigungsinitiative 50+ 2014 und 2015 je 220 Mio. für ArbeitnehmerInnen ab 50 Jahre auf. 2016
und 2017 werden diese Mittel auf jährlich 250 Mio. erhöht. Mit Eingliederungsbeihilfen, Kombilohn und
Sozialen Unternehmen sollen in den kommenden Jahren 20.000 Dauerarbeitsplätze geschaffen werden. Erste Monitoringdaten
zeigen, dass sich die Beschäftigungsinitiative 50+ durch Einsparung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung
finanziell selbst trägt.
Im europäischen Vergleich hat Österreich eine hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen und eine hohe Teilzeitquote.
2013 lag die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-jährigen Frauen mit 70,8% nur in Schweden, Deutschland,
Dänemark, Niederlande und Finnland höher als in Österreich. Die Teilzeitquote der Frauen betrug
2013 45,5% und war nur in den Niederlanden (77,2%) und Deutschland (46,1%) höher. 37,6% der Frauen gaben als
Grund für die Teilzeitbeschäftigung Betreuungspflichten für Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene
an.
Um MigrantInnen den Zugang zu ausbildungsadäquater Beschäftigung zu erleichtern, wurde das Beratungsangebot
ausgebaut. 2013 konnten 34% der ausländischen Erwerbstätigen den Abschluss einer Lehre oder einer Berufsbildenden
Mittleren Schule vorweisen. 28% der 25- bis 64-Jährigen MigrantInnen verfügten maximal über einen
Pflichtschulabschluss, 12,2% waren nach dem Besuch der Hauptschule ohne weitere Ausbildung. Nunmehr geht die Zahl
der Jugendlichen mit nichtdeutscher Umgangssprache, die nach der 8. Schulstufe ihre Ausbildung nicht fortsetzen,
ebenso zurück wie der Anteil der SchulabbrecherInnen. Gezielte Förderungen gelten der Unterrichtssprache
Deutsch und der Mehrsprachigkeit. Seit 2008 wird der frühen Selektion gegengesteuert und das Nachholen von
Pflichtschulabschlüssen gefördert. Das Instrument Jugendcoaching zur Berufsorientierung wurde weiterentwickelt.
Seit 2014 stehen 3.000 Jugendlichen 24 Produktionsschulen zur Verfügung. Die Neue Mittelschule ist seit 2012
als Regelschule verankert; mit dem Schuljahr 2015/16 soll die Überführung aller Hauptschulen in Neue
Mittelschulen abgeschlossen sein. Ein umfassender Evaluierungsbericht zeigt, dass SchülerInnen mit nichtdeutscher
Erstsprache vom Besuch einer Neuen Mittelschule profitieren. Die Zahl der Übertritte von der Neuen Mittelschule
in eine weiterführende höhere Schule ist angestiegen.
Arbeitsmarktrelevante Akademikerausbildung
Die strategische Planung der Hochschulen wird mit einem Universitätsentwicklungsplan unterstützt. Konkrete
Vorschläge zur "Verbesserung der Qualität der hochschulischen Lehre" liegen vor und werden
in den Leistungsvereinbarungen 2016 bis 2018 berücksichtigt. Zum Abbau der StudienabbrecherInnenquote werden
bewährte Instrumente ausgebaut, etwa das Beratungs- und Informationstool "18plus" oder "Studieren
probieren".
Das Bildungswesen orientiert sich am Bedarf des Arbeitsmarktes und strebt eine Balance zwischen Arbeitskräfteangebot
und nachfrage an. Zur Arbeitsmarktpolitik zählen Um- und Nachschulungen sowie Höherqualifizierungen.
Fachhochschulen bieten eine praxisorientierte Akademiker-Ausbildung auf Basis berufsorientierter Lehrpläne
in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft an. Die Universitäten vermitteln Erkenntnisse über Beschäftigung
und Arbeitsmarkterfahrungen und sichern die berufliche Relevanz ihres Bildungsangebots.
Eine weitere EU-Empfehlung an Österreich lautet, übermäßige Hindernisse für Anbieter
von Dienstleistungen, bei der Gründung interdisziplinärer Dienstleistungsunternehmen sowie beim Zugang
zu regulierten Berufen zu beseitigen, die geringe Anwendung von EU-Recht bei der Ausschreibung öffentlicher
Aufträge zu überprüfen und die Bundeswettbewerbsbehörde mit besseren Ressourcen auszustatten.
- Dazu macht die Regierung auf Änderungen bei der Berufsanerkennung, auf die Evaluierung reglementierter Berufe,
die Anpassung von Berufsgesetzen, die Einrichtung eines bundeseinheitlichen Gewerberegisters und auf einfachere
Gewerbeverfahren zur Entlastung der Wirtschaft aufmerksam. Bei oberschwelligen öffentlichen Ausschreibungen
auf Unionsebene informiert die Regierung über Schritte zur Erstellung eines standardisierten Controllings.
Rechtsanwälte können ihren Beruf bereits jetzt in verschiedenen Gesellschaftsformen ausüben, seit
2013 auch als Rechtsanwalts-GmbH&Co KG.
Umstrukturierung verstaatlichter und teilverstaatlichter Banken
Schließlich empfiehlt die EU Österreich die Umstrukturierung verstaatlichter und teilweise verstaatlichter
Banken. Diese Umstrukturierungen werden konsequent fortgeführt, liest man im Nationalen Reformprogramm Österreichs.
Im März 2015 leitete die Finanzmarktaufsicht die Abwicklung der Heta nach dem europäischen Abwicklungsregime
ein, das mit dem Bundesgesetz über die Sanierung und Abwicklung von Banken mit 1. Jänner 2015 implementiert
wurde. Schon 2014 wurde das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) als zentrales Willensbildungsforum zur Umsetzung
der makroprudenziellen Aufsicht in Österreich etabliert. Genauere Informationen zur aktuellen österreichischen
Bankenpolitik enthält das neue Stabilitätsprogramm bis 2019.
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