Welche Regeln braucht europäische Solidarität?

 

erstellt am
21. 05. 15
11.00 MEZ

Nationalrat diskutiert in Aktueller Europastunde Konkursrecht für EU-Mitgliedstaaten
Wien (pk) – Brauchen wir ein europäisches Konkursrecht für EU-Mitgliedstaaten? Ist ein solches machbar? Soll man Griechenland in den Konkurs schicken? Das waren die zentralen Fragestellungen in der aktuellen Europastunde des Nationalratsplenums am 20.05. Initiiert wurde diese von den NEOS, die mit dem Titel "Europäische Solidarität braucht klare Regeln. Konkursrecht für EU-Mitgliedstaaten" deutlich für ein solches Insolvenzrecht eintraten. Finanzminister Hans Jörg Schelling dämpfte die Erwartungen mit dem Hinweis, dass ein europäisches Insolvenzrecht für Staaten derzeit nicht realisierbar sei. Die EU habe aber etwa mit der Bankenunion, dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Regeln geschaffen, die im Vorfeld verhindern helfen, dass ein Staat in die Insolvenz schlittert. Diese Spielregeln gelte es zu erweitern und zu verbessern, sagte er. Ohne Zweifel sei aber ein Regelwerk anzustreben, das eine geordnete Abwicklung ermöglicht, wobei es sich dabei nicht unbedingt um ein klassisches Insolvenzrecht handeln müsse.

NEOS: Insolvenzrecht schafft Basis für Solidarität
Klubobmann Matthias Strolz appellierte in seiner Begründung, einen "Aufbruch in die Entschlossenheit" mit konkreten Maßnahmen zu wagen. Europa sei eine Schicksalsgemeinschaft, aber auch eine Chancengemeinschaft, sagte er, und um diese für die Jugend zu bewahren, müsse man darum kämpfen. Voraussetzung für solidarisches Handeln seien aber klare Regeln. Auch er hält die Bankenunion, den Stabilitätspakt und den Stabilitätsmechanismus für richtige und notwendige Schritte, um aber eine solide wirtschaftliche Basis zu gewährleisten, fehlt ihm zufolge ein Insolvenzrecht für die EU-Mitgliedsländer. De facto stehe man nämlich derzeit vor der Situation, dass Staaten verantwortungslos handeln können, da ohnehin andere zahlen, merkte er an. So aber funktioniere Solidarität nicht. Eine Insolvenz bedeute auch nicht gleichzeitig einen Austritt aus der EU, stellte Strolz fest, der Griechenland pleite sieht. Man könne das Land aber nicht pleite gehen lassen, weil man über kein Procedere verfügt, skizzierte er die aktuelle Situation. Strolz vermisste gemeinsames entschlossenes Handeln innerhalb der Europäischen Union und griff einige Staaten, wie etwa Großbritannien, hart an und bezeichnete sie als Kantonisten. Lieber mit 25 Ländern entschlossen handeln, als mit 28 Kantonisten herum zu taumeln, formulierte er und wies darauf hin, dass in vielen Fällen nicht die EU der Bremser ist, sondern die nationalen Regierungen. In diesem Sinne zeigte sich Strolz überzeugt davon, dass man einen neuen Verfassungskonvent braucht.

In diese Richtung gingen auch die Wortmeldungen seiner Klubkollegen Christoph Vavrik und Rainer Hable. Die Zukunft hänge von einem gemeinsamen Europa und nicht von einem nationalstaatlichen Schrebergartendenken ab, meinte Hable, und dazu gehörte ein stabiles Haus mit einer stabilen Finanzarchitektur. Eine Insolvenzordnung sei machbar, und das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung habe bereits entsprechende Vorschläge auf den Tisch gelegt. Die Last hätten die privaten Gläubiger zu zahlen und nicht die SteuerzahlerInnen, so Hable, das sei auch eine Frage der Gerechtigkeit. Insolvenz bedeute auch eine Chance für einen Neubeginn, ist er überzeugt, und in diesem Sinne wiedersprach er all jenen Argumenten wonach Griechenland mit einem derart hohen Verschuldungsgrad allein mit Wachstum aus der Krise herauswachsen könnte. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, schloss sich Vavrik diesen Ausführungen an und zweifelte stark den Reformwillen der griechischen Regierung an. Eine etwaige politische Vereinbarung über das Reformprogramm diene lediglich dazu, die Auszahlung des Hilfsprogramms durchzuführen und dabei das Gesicht zu wahren, mutmaßte er. Der Leidensweg der Griechen würde verlängert und die österreichischen SteuerzahlerInnen müssten zahlen.

Schelling: Spielregeln, um eine Pleite im Vorfeld zu verhindern
Finanzminister Hans Jörg Schelling reagierte positiv auf die Forderung, ein Regelwerk zu einer geordneten Abwicklung zu schaffen, wichtig seien aber Spielregeln, um eine Pleite im Vorfeld zu verhindern. Die EU habe in dieser Beziehung Fortschritte gemacht, so der Finanzminister und erinnerte ebenfalls an die Bankenunion, an den Fiskalpakt und den Stabilitätsmechanismus, um gleichzeitig die gut laufenden Verhandlungen zur Kapitalmarktunion zu erwähnen. Für eine Staateninsolvenz sieht er derzeit keine realistische Chance. Das Thema werde seit 1874 diskutiert, heute seien die Komplexität und die Vernetzung weitaus höher und die Verhandlungen zwischen Staaten und Gläubigern weitaus schwieriger. Selbstverständlich könne jeder Nationalstaat schon derzeit in Konkurs gehen, dafür brauche man kein europäisches Regelwerk, erklärte er. Innerhalb der Union schlage aber die Insolvenz eines Mitgliedslandes auf die EU selbst zurück, gab Schelling zu bedenken.

Seiner Meinung nach greift ein europäisches Regelwerk zu kurz. Deshalb arbeite auch der Internationale Währungsfonds (IWF) daran. Ein Ergebnis dessen sei etwa der automatische Datenaustausch. Österreich habe sich immer für ein geordnetes Verfahren ausgesprochen, so Schelling, sei aber an der Einstimmigkeit im Währungsfonds gescheitert. Als alternativen Ansatz habe man heute die Umschuldungsklausel als generellen Standard, mit der man ähnliche Ziele verfolgen könne. Seit 1. Jänner 2013 sei diese in allen neuen Schuldtiteln des Europäischen Währungsraums verpflichtend. Die Entwicklung gehe auch in Richtung Entkoppelung zwischen Staat und Finanzmarkt, um nicht die SteuerzahlerInnen zur Kasse zu bitten.

Zentrale Frage in diesem Themenkomplex sei die Stabilität, resümierte Schelling, und dazu habe die EU bereits viele wichtige und richtige Schritte gesetzt. Man müsse nun danach trachten, die Spielregeln zu erweitern und zu verbessern, um schon im Vorfeld die Gefahr von Staatsinsolvenzen gar nicht aufkommen zu lassen.

SPÖ: Man kann Staaten nicht mit Privatunternehmen vergleichen
Seitens der SPÖ unterstützten sowohl Christoph Matznetter als auch Josef Cap die Argumentation des Finanzministers. Mit einem Insolvenzrecht für EU-Mitgliedstaaten, wie dies die NEOS fordern konnten sie sich aber nicht anfreunden. Man kann Staaten nicht wie wirtschaftliche Unternehmen abwickeln, sagte Matznetter, denn bei Unternehmen gelte es, die Assets zu verwerten bevor der Betrieb verschwindet. Wie sollte das bei Staaten funktionieren, wo die Assets aus Steuern bestehen und der Staat eine Infrastruktur aufrechtzuerhalten hat, fragte Matznetter und kritisierte in diesem Zusammenhang scharf die Tätigkeit der sogenannten Troika, die seiner Meinung nach durch ihre Vorgaben Wachstum in Griechenland und mehr Lebenschancen für die Menschen verhindert habe. Auch Cap plädierte dafür, die Sache weniger akademisch als vielmehr unter dem menschlichen Gesichtspunkt zu sehen. Besser als das Prinzip Hoffnungslosigkeit sei eine Politik, die es dem Land erlaube, dass die Wirtschaft wieder wächst und Arbeitsplätze geschaffen werden. Nur so komme auch der österreichische Steuerzahler wieder zu seinem Geld.

Cap prangerte zudem die Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU an – er nannte in diesem Zusammenhang vor allem die niedrigen Lohnabschlüsse in Deutschland -, räumte aber gleichzeitig ein, dass Griechenland selbst seine Hausaufgaben machen müsse, etwa in Hinblick auf ein funktionierendes Steuersystem und den Zugriff auf Steuerflüchtlinge.

ÖVP: Solidarität ist keine Einbahnstraße
Die europäische Solidarität stand im Mittelpunkt der Redebeiträge von Beatrix Karl (V) und Andreas Zakostelsky (V). Beide unterstrichen die Wertegemeinschaft EU, wozu eben auch die Solidarität zähle. Eigenvorsorge und staatlich verbürgte Solidarität müssten aber im Gleichgewicht sein, sagte Karl, Solidarität sei keine Einbahnstraße. Der ÖVP sei nicht nur die Solidarität mit jenen wichtig, die soziale Leistungen in Anspruch nehmen müssen, sondern auch mit jenen, die diese erbringen und finanzieren. Das bedeute, dass ein ins Strudeln gekommener Staat nicht nur auf finanzielle Unterstützung warten könne, sondern auch innerstaatliche Reformen durchsetzen müsse. "Vertrauen ist gut, klare Regeln sind noch besser", fasste Karl ihre Sicht der Dinge zusammen. In ähnlicher Weise äußerte sich Zakostelsky, der meinte, es könne nicht sein, dass ein Land Schulden aufbaut und die anderen zahlen. Voraussetzung für die Weiterentwicklung Europas seien ein gemeinsamer Wertekanon und klare Spielregeln. Auf dieser Basis müsse die volle Solidarität gewährleistet werden.

FPÖ: Weg von der Transferunion
Die EU ist eine Willensgemeinschaft, konterten Johannes Hübner und Axel Kassegger von der FPÖ. Kassegger trat für eine neue Kompetenzverteilung innerhalb der EU ein und unterstützte dabei die Vorschläge des britischen Premierministers David Cameron, der für eine Renationalisierung von Kompetenzen ist. Es sei eine Frage, was wir wollen, und das hänge davon ab, was sinnvoll ist, bemerkte dazu Hübner. Einmal mehr sprach sich Hübner dafür aus, die nicht gewollte Transferunion, zu der sich die EU aus seiner Sicht entwickelt hat, wieder zu beenden, denn sie habe den Ländern der Währungsunion Probleme bereitet und dazu geführt, dass diese die Krise am schlechtesten bewältigt haben. Ihm zufolge gibt es gute Gründe dafür, warum es keine Konkursordnung gibt, denn ein Staatskonkurs sei nichts anderes als eine Umschuldung. Ein Insolvenzrecht löst die Probleme nicht, zeigte sich auch Axel Kassegger überzeugt, der den europäischen Stabilitätsmechanismus ebenso ablehnte wie die aktuelle Politik der Europäischen Zentralbank, die er als verantwortungslos bezeichnete.

Grüne: Bei Insolvenzrecht ökonomische, soziale und europäische Aspekte berücksichtigen
Die Grünen stehen einem Insolvenzrecht für Staaten durchaus positiv gegenüber, meinen aber, dass es zu kurz gegriffen sein, allein den ökonomischen Gesichtspunkt zu beachten. Man müsse auch eine soziale und europäische Perspektive in diesem Zusammenhang berücksichtigen, forderte Werner Kogler. Auch er kritisierte den Umgang mit dem Problem Griechenland, das bereits im Jahr 2010/11 insolvent gewesen sei. Hätte man damals ein Insolvenzrecht gehabt, dann hätte man eine vernünftige Abwicklung mit privater Gläubigerbeteiligung vornehmen können, so Kogler. Jetzt müssten die BürgerInnen zahlen, was Banken und Großkonzerne verursacht haben.

Hat Europa überhaupt die richtigen Regeln, stellt Bruno Rossmann die Frage in den Raum, um sie gleichzeitig mit Nein zu beantworten. Die Austeritätspolitik sei nicht adäquat, weil sie die Märkte und nicht die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Rossmann drängte einmal mehr, eine Änderung in Richtung innovativer, nachhaltiger Politik vorzunehmen, die die Lebensumstände der Menschen im Blickwinkel hat. Eine Fortsetzung der Hilfsprogramme in der gegenwärtigen Form bewertete Rossmann als einen Weg gegen jegliche ökonomische Vernunft, der überdies radikalen rechten Gruppierungen Auftrieb gebe. Man brauche daher eine Investitionsoffensive in Griechenland anstatt der alleinigen Sanierung von Märkten und Banken. Rossmann sah aber auch die Verantwortung bei Griechenland selbst, seine Hausaufgaben zu machen.

Team Stronach: Pleite gehen lassen, was pleite gehen muss
"Wir brauchen dringend Regeln für Staatspleiten und Bundesländerpleiten, damit das pleite geht, was pleite gehen muss", fasste Kathrin Nachbaur vom Team Stronach ihre Sicht der Dinge zusammen. Für Griechenland sieht die Politikerin keinen anderen Ausweg, als aus der Eurozone auszuscheiden, um langsam wieder an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Im Gegensatz zu Rednern der SPÖ und der Grünen meinte sie, es sei eine fatale Illusion zu glauben, dass Milliardenkredite Sicherheit schaffen. Ins gleiche Horn stieß ihr Klubkollege Robert Lugar, der überzeugt ist, dass Griechenland nicht zu retten ist. Er stimmte mit Werner Kogler überein, dass eine Pleite vor fünf Jahren die Gläubiger zur Kasse gebeten hätte, diese seien aber deutsche und französische Banken gewesen, weshalb man diesen Weg nicht gegangen sei. Nun bleibe der Steuerzahler übrig und die Belastungen seien doppelt so hoch.

Nachbaur kritisierte auch scharf den Euro und die Politik der EZB. Der Euro sei von Anfang an ein gigantisches Kreditprogramm gewesen, aber kein politisches und schon gar kein wirtschaftliches Projekt, meinte sie. Er hätte nur gleichzeitig mit juristischen und ökonomischen Regeln für die Insolvenz eines Staates eingeführt werden dürfen. Derzeit betreibe die EZB die europäische Wirtschaftspolitik, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein, so ihr weiterer Vorwurf. Schuld daran seien die einzelnen Regierungen die nicht entsprechend handeln. Robert Lugar wies aus seiner Sicht darauf hin, dass man mit den Konvergenzkriterien bereits Regeln für die Eurozone habe, nur kümmere sich niemand darum.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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