80.000 Kindern in Österreich neue Perspektiven schaffen
Wien (acv) - Vom 27. bis 30. Mai tagen mehr als 1.000 internationale Kinderneurologen im Austria Center
Vienna beim europäischen Neuropädiatrie-Kongress (EPNS). Neueste Erkenntnisse, von fetaler Neurologie
und computergestützter Rehabilitation bis hin zur innovativen Gen-Therapie, sollen Kindern und Jugendlichen
eine bessere Organfunktion und damit mehr Lebensqualität und neue Perspektiven ermöglichen.
Neuropädiatrie - schon längst kein Randthema mehr
Neurologische Erkrankungen oder Schädigungen mit Dauerfolgen sind bei Kindern und Jugendlichen keine Seltenheit.
Sie treten, wenn die verschiedenen Subgruppen zusammengezählt werden, sogar relativ häufig auf. "Alleine
in Österreich sind 3 bis 5 Prozent der insgesamt 1,6 Mio. Kinder und Jugendlichen betroffen - dies sind 48.000
bis 80.0000 junge Menschen", schätzt Prim. Univ. Doz. Günther Bernert, Ärztlicher Vorstand
des G.v. Preyer'schen Kinderspitals und Chair des EPNS -Kongresses 2015. Am häufigsten leiden die PatientInnen
unter infantiler Zerebralparese und Epilepsie sowie Muskelerkrankungen und Bewegungsstörungen. Früher
häufig tabuisiert, wird heute in der Öffentlichkeit ein informierender Umgang gepflegt. Beim EPNS-Kongress
der European Paediatric Neurology Society in Wien - die Stadt gilt übrigens auch als Geburtsstadt der Neuropädiatrie
- diskutieren an die 1.000 internationale Fachärzte über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse
dieser medizinischen Spezialdisziplin.
Freud und Rett setzten wissenschaftliche Meilensteine
Damals wie heute spielen österreichische Pioniere, Fakultäten und Spitäler international eine
zentrale Rolle bei der Erforschung und Weiterentwicklung von Therapien im Bereich der unterschiedlichen kinderneurologischer
Erkrankungen.
So setzte Sigmund Freud nicht nur Maßstäbe in der psychiatrisch- psychotherapeutischen Forschung, sondern
wurde davor bereits mit seinen Veröffentlichungen zur infantilen Zerebralparese bekannt. Außerdem war
Freud am Beginn seiner medizinischen Karriere leitender Oberarzt einer neuropädiatrischen Station. Mittlerweile
ist bekannt, dass infantile Zerebralparese ein Sammelbegriff für zerebral bedingte Lähmungssyndrome ist,
die durch prä-, peri- oder postnatale Schädigungen oder Entwicklungsstörungen des zentralen Nervensystems
entstanden sind. Beispielsweise können sie durch genetische Defekte, Sauerstoffmangel bei der Geburt oder
Hirnschädigungen bei unreifen Frühgeburten hervorgerufen werden. Derzeit sind in Österreich ca.
zwei bis drei von 1.000 Kindern davon in unterschiedlichen Schweregraden betroffen. Durch die immer besser werdende
pränatale Diagnostik, eine gute Überwachung bei Geburten, rechtzeitige Kaiserschnitte und eine hochprofessionelle
Nachsorge bei Frühgeburten ist die Zahl der Betroffenen heute leicht rückläufig. Am EPNS-Kongress
werden neue Möglichkeiten der Früherkennung, z. B. in der Plenarsitzung zur fetalen Neurologie und der
Therapie in der Sitzung zur computergestützten Rehabilitation ("Robotics-Sitzung") und im Symposium
zu neuen Einsatzmöglichkeiten der Botulinumtoxin-Therapie, thematisiert.
Ein weiterer österreichischer Pionier war der Neuropädiater Prof. Dr. Andreas Rett, der Mitte der
60er Jahre entdeckte, dass einige der von ihm betreuten Mädchen an einer besonderen Erkrankung, dem später
nach ihm benannten Rett-Syndrom, litten, das fast ausschließlich bei Mädchen auftritt und bis dahin
als Autismus diagnostiziert wurde. Sein entschlossenes öffentliches Eintreten läutete eine zeitgemäße
und forschungsbasierte Behandlung der kleinen Patientinnen ein. Durch eine X-chromosomal vererbte Störung
des Gehirnstoffwechsels kommt es zu einer Verzögerung der mentalen, sozialen, sprachlichen und motorischen
Entwicklung sowie dem Auftreten typischer Handstereotypien. 1998 wurde durch ein amerikanisches Forschungsteam
in Houston das Krankheits-Gen identifiziert, an der vollständigen Klärung der Funktion des Genes sowie
der krankheitsauslösenden Mechanismen wird heute noch gearbeitet. Der aktuelle Stand dieser Forschung wird
in einer zentralen Plenarsitzung beleuchtet.
Österreichische Forschungsgruppen als internationale Vorreiter
Heute sind die nationalen und internationalen Vernetzungen von Forschungsteams mit unterschiedlichen medizinischen
Schwerpunkten ganz zentral für den wissenschaftlichen Fortschritt. So setzt etwa die Forschungsgruppe Epilepsie
Monitoring Unit (EMU) in der Kinderklinik am AKH in Wien, die von Frau Univ.-Prof. Dr. Martha Feucht geleitet wird,
international Maßstäbe im Bereich der Gehirnchirurgie bei Epilepsie-PatientInnen. Diese wird angewandt,
wenn herkömmliche Medikamente nicht greifen. In Österreich sind derzeit 10 bis 15 Kindern von 1.000 von
Epilepsie betroffen.
Das G. v. Preyer'sche Kinderspital sowie die Arbeitsgruppe um Doz. Bernert in Wien ist auf neuromuskuläre
Krankheiten spezialisiert. Das sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems und der Muskulatur. Hier werden derzeit
im Rahmen internationaler Therapiestudien erste gentherapeutische Therapien angewandt. Auch andere Behandlungschancen
bei Muskelerkrankungen werden hier umgesetzt sowie in Zusammenarbeit mit der Grundlagenforschung auch radikal neue
Therapieansätze untersucht.
EPNS als Wissensplattform für 1.000 internationale Spezialisten Neue Erkenntnisse zu diesen Erkrankungen sowie
fetale Neurologie und Neurorehabilitation sind daher die zentralen Themen des EPNS-Kongresses. So wird in Bezug
auf die fetale Neurologie diskutiert, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Technik der Bildgebung fetale Bewegungsmuster
so dokumentiert werden können, dass sie einen Rückschluss auf die Funktion des unreifen fetalen Nervensystems
zulassen. Neue computergestützte Rehabilitationsmaßnahmen und die Einsatzmöglichkeit von Botulinumtoxin
sind zentrale Fragestellungen in der Neurorehabilitation. Ein Höhepunkt des Kongresses sind auch die Erkenntnisse
über die erste zugelassene Gen-Therapie bei Muskelschwund.
Keine Heilung, aber bessere Organfunktion und Partizipation
"Auch wenn viele Erkrankungen des kindlichen Nervensystems derzeit nicht heilbar sind, so gibt es heute
schon gute Therapien. Im Vordergrund aller dieser Therapien steht die Verbesserung der Lebensqualität, um
den jungen PatientInnen eine bessere Organfunktion und damit auch eine bessere soziale Teilhabe zu ermöglichen",
betont Prim. Univ. Doz. Günther Bernert. Ein gutes Beispiel ist hier die Muskeldystrophie Duchenne, eine rezessive
x-chromosomale Muskelerkrankung, die bei Buben auftritt. Durch die Gabe von Kortison kann der fortschreitende Muskelabbau
verlangsamt werden, physiologische Therapien helfen die Beweglichkeit längerfristig zu erhalten. Nächtliche
nicht-invasive Beatmung ermöglicht den Kindern wirkliche Erholungsphasen und zukünftig sollen auch maßgeschneiderten
Gen-Therapien möglich sein. "Die Buben haben dadurch eine wesentlich längere Lebenserwartung, schöpfen
wieder Hoffnung und möchten - nachdem sie sich früher oft fast selbst aufgegeben haben - jetzt teilweise
wieder in die Schule gehen. Viele von ihnen machen ihre Schulabschlüsse, einige studieren sogar. Das ist für
mich der schönste Beweis, dass unsere kontinuierliche Arbeit und der intensive Wissensaustausch am EPNS-Kongress
Sinn machen, denn dies schenkt diesen Kindern und Jugendlichen wieder eine Perspektive", so Bernert.
Über EPNS
Der EPNS-Kongress ist der Jahreskongress der European Paediatric Neurology Society, die europäische Gesellschaft
für Neuropädiatrie, die international über 1.000 Kinder- und Jugendneurologen vertritt. Im Vorfeld
des EPNS-Kongress 2015 (vom 27.-30. Mai) findest erstmalig auch das International Symposium on Advances in Neuromodulation
in Children (vom 25. bis 26. Mai) statt.
Über das Austria Center Vienna
Das Austria Center Vienna wird von der IAKW-AG (Internationales Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien, Aktiengesellschaft)
betrieben, die auch für die Erhaltung des Vienna International Centre (VIC) verantwortlich ist. Das Austria
Center Vienna ist mit 24 Sälen, 180 Büros und Meetingräumen sowie rund 42.000 m2 Veranstaltungsfläche
(davon 22.000 m2 Ausstellungsfläche) Österreichs größtes Kongresszentrum und gehört
zu den Top-Playern im internationalen Kongresswesen. Die IAKW-AG und damit das Austria Center Vienna stehen unter
der Leitung von Vorständin Dr. Susanne Baumann- Söllner.
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