Der Juni dauert eine Sekunde länger

 

erstellt am
08. 06. 15
11.00 MEZ

Am 30. Juni gibt es eine Schaltsekunde – Prof. Johannes Böhm von der TU Wien erklärt die geophysikalischen Hintergründe.
Wien (tu) - Die Jetlag-Gefahr ist wohl eher gering: Bloß um eine Sekunde müssen wir unsere Uhren am 30. Juni zurückstellen, wenn wir ganz genau sein wollen. Alle zwei bis drei Jahre beschließt der internationale Dienst für Erdrotation und Referenzsysteme (IERS) die Einführung einer Schaltsekunde. Für Astronomen, Betreiber von Satelliten- Navigationssystemen und andere Leute, die mit hochpräziser Himmelsbeobachtung zu tun haben, ist das wichtig. Aus wissenschaftlicher Sicht wären Schaltsekunden heute aber eigentlich nicht mehr nötig, sagt Prof. Johannes Böhm vom Department für Geodäsie und Geoinformation der TU Wien.

Der Mond bremst uns ab
Mit einer ungewöhnlichen Uhrzeit werden wir es am 30. Juni 2015 um Mitternacht zu tun haben: Auf die Sekunde 23:59:59 folgt 23:59:60 – und erst dann beginnt der erste Juli mit 0:00:00.

Die Länge des Tages ist an die Rotation der Erde um ihre eigene Achse gekoppelt, und diese Rotation wird im Lauf der Zeit immer langsamer. Ab und zu muss man daher eine Zusatzsekunde einführen, damit die offizielle Zeit und die Rotation der Erde nicht immer weiter auseinanderlaufen.

Der Grund für die Verlangsamung der Erdrotation ist die Gezeitenkraft des Mondes. „Der Mond dehnt die Erde ein bisschen. Es bilden sich Flutberge aus und auch die feste Erde wird verformt“, erklärt Johannes Böhm. Allerdings kann die Erde aufgrund ihrer inneren Reibung die Verformung nicht augenblicklich ändern, wenn sie sich weiterdreht. Daher zeigt die entstehende Ausbuchtung nicht exakt in Richtung Mond, die Verformung wird durch die Erdrotation immer ein bisschen vom Mond weggedreht.

„Diese Asymmetrie bewirkt, dass der Mond ein Drehmoment auf die Erde ausübt und die Rotation der Erde ein kleines bisschen bremst“, erklärt Böhm. Gleichzeitig wandert der Mond dabei immer weiter von der Erde weg.

Neben der Gezeitenkraft des Mondes gibt es auch noch andere Effekte, die Einfluss auf die Rotationsgeschwindigkeit der Erde haben – etwa die Gewichtsverlagerung durch das Abschmelzen des Eises an den Polen. Forschungsinstitute auf der ganzen Welt werten die Orientierung der Erde und somit die präzise Tageslänge laufend aus, zu ihnen gehört auch die TU Wien. „Die Orientierung der Erde kann man durch genaue Vermessung ferner Himmelskörper bestimmen, so erreichen wir mittlerweile eine Genauigkeit im Bereich von Mikrosekunden“, sagt Johannes Böhm.

Trotz Schaltsekunde nicht genau genug
Diese hohe Präzision ist aber auch der Grund dafür, dass Böhm die Schaltsekunde eigentlich nicht mehr für besonders wichtig hält. In vergangenen Zeiten benötigte man in der astronomischen Forschung die Schaltsekunde tatsächlich, um Messdaten exakt vergleichen zu können. Doch nachdem man heute ohnehin mit viel höheren Genauigkeiten arbeitet, hat man in der Forschung längst keine andere Wahl mehr als komplizierte Korrekturen mit Mikrosekundengenauigkeit zu berücksichtigen, egal ob Schaltsekunde oder nicht – zumindest, wenn man nicht jede Minute eine „Schaltmikrosekunde“ einführen möchte.

Johannes Böhm ist daher insgesamt eher für die Abschaffung der Schaltsekunde. Im Grunde wäre es kein Problem, länger zu warten, und dann vielleicht nach einigen Jahrzehnten gleich eine ganze Schaltminute einzufügen. Doch einen Vorteil kann er in der Schaltsekunde aber doch entdecken: „Schaltsekunden werden relativ häufig notwendig – dadurch geht das Wissen darüber nicht so rasch verloren“, meint Böhm. „Die Leute können sich erinnern, was bei der letzten Schaltsekunde zu tun war, und daher ist das Risiko von Pannen recht gering.“ Ohne dieses Wissen wäre es denkbar, dass Probleme bei Navigationssystemen auftreten, dass es zu Missverständnissen bei der Kontaktaufnahme zu Raumfahrzeugen kommt, oder auch dass Schwierigkeiten im internationalen Finanzsystem entstehen, wo Transaktionen auf Millisekunden-Skala abgewickelt werden.

„Nicht zuletzt ist eine Schaltsekunde auch ein guter Anlass, über Geodäsie nachzudenken und die ungeheure Präzision zu bewundern, mit der wir heute unseren Planeten und seine Orientierung im Raum vermessen können“, meint Johannes Böhm. „Und alleine das ist schon ein Erfolg.“

 

 

 

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