Harvard/Wien (universität/quantumfoundations) - Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie feiert heuer
ihren 100. Geburtstag. Selbst heute noch fasziniert sie PhysikerInnen und Laien zugleich. Eine internationales
Team um Caslav Brukner von der Universität Wien, Igor Pikovski von der University of Harvard und WissenschafterInnen
von der University of Queensland haben nun entdeckt, dass die Relativitätstheorie auch ein ganz anderes, ungewöhnliches
Phänomen erklären kann: den Übergang von der Quantenmechanik zu unserer alltäglichen, klassischen
Welt. Die Forschungsergebnisse erscheinen im Journal "Nature Physics".
Im Jahr 1915 wurde unser Verständnis der Gravitation durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie
revolutioniert. Einstein fand heraus, dass Gravitation durch die Krümmung von Raum und Zeit verursacht wird.
In seiner Theorie ist der Zeitfluss nicht einfach konstant, sondern wird durch Masse beeinflusst. Dieser Effekt,
der auch "Zeitdilatation" genannt wird, bewirkt, dass sich die Zeit in der Nähe von massiven Objekten
verlangsamt. Zeitdilatation zeigt sich sogar auf der Erde: Menschen, die im Erdgeschoss arbeiten, altern langsamer
als ihre Kollegen im ersten Stock, und zwar um etwa 10 Nanosekunden pro Jahr. Dieser Effekt ist winzig klein, wurde
jedoch mit präzisen Atomuhren bestätigt. Jetzt entdeckte ein internationales ForscherInnenteam der Universität
Wien, der Harvard University und der University of Queensland, dass Einsteins Verlangsamung der Zeit auch ein ganz
anderes Phänomen erklären kann: den Übergang zwischen Quantenmechanik zu unserer klassischen, alltäglichen
Welt.
Wie die Gravitation die Quantenmechanik beeinflusst
Quantenmechanik ist neben der Relativitätstheorie die zweite große Entdeckung der Physik des 20. Jahrhunderts.
Sie beschreibt, wie sich die kleinsten Bausteine der Natur verhalten und sagt ungewöhnliche Phänomene
voraus. Wenn man diese auf große Skalen überträgt, scheinen sie paradox, wie das Beispiel von Schrödingers
Katze aufzeigt: Die Quantenphysik sagt vorher, dass die Katze nicht lebendig und auch nicht tot ist, sondern sich
in einer sogenannten Quantensuperposition von beiden Zuständen befindet, vereinfacht ausgedrückt ist
sie beides gleichzeitig. Solche Phänomene konnten jedoch bis jetzt nur bei winzigen Teilchen beobachtet werden
und nie bei größeren und komplexeren Objekten wie einer Katze. Deswegen sind Physiker überzeugt,
dass Quantenphänomene bei größeren Objekten unterdrückt werden, üblicherweise durch Wechselwirkungen
mit anderen Teilchen.
Das Forschungsteam geleitet von Caslav Brukner von der Universität Wien und dem Institut für Quantenoptik
und Quanteninformation fand nun heraus, dass Einsteins Zeitdilatation auch beim Übergang zur klassischen Physik
eine Rolle spielt. Die ForscherInnen berechneten, dass – sobald sich die kleinsten Teilchen zu größeren
Objekten wie z.B. zu Molekülen und schließlich zu Staubteilchen oder Mikroorganismen zusammenfügen
– die Zeitdilatation aufgrund der Erde deren Quanteneigenschaften unterdrücken kann. Die kleinen Teilchen
bewegen sich immer ein kleines bisschen, sie "zittern". Und dieses "Zittern" wird durch die
Zeitdilatation beeinflusst: Nahe dem Erdboden wird es langsamer, in größeren Höhen wird es schneller.
Die ForscherInnen zeigten, dass dieser Effekt die Quantensuperpositionen zerstört und sich größere
Objekte daher nicht mehr quantenmechanisch verhalten können.
Auf dem Weg zu neuartigen Quantenexperimenten
"Es ist recht überraschend, dass die Gravitation eine Rolle für die Quantenphysik spielen kann",
so Igor Pikovski, Erstautor der Publikation und derzeit am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics tätig.
"Gravitation wird üblicherweise auf astronomischen Skalen studiert, aber sie scheint selbst auch für
die winzigsten Bausteine der Natur wichtig zu sein". Caslav Brukner fügt hinzu: "Auf kosmologischen
Skalen ist die Gravitation viel stärker, und es ist immer noch eine offene Frage, ob die Resultate auch dort
eine Rolle spielen." Die Berechnungen der ForscherInnen zeigen, wie größere Teilchen ihre Quanteneigenschaften
aufgrund ihrer eigenen Zusammensetzung verlieren können, wenn man die Zeitdilatation berücksichtigt.
Dieser Effekt sollte in naher Zukunft auch experimentell messbar sein und damit zu einem besseren Verständnis
der faszinierenden Wechselwirkung zwischen den zwei großen Theorien des 20. Jahrhunderts beitragen: der Quantenmechanik
und der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Originalpublikation: "Universal
decoherence due to gravitational time dilation". I. Pikovski, M. Zych, F. Costa, C. Brukner. Nature Physics
(2015) DOI: 10.1038/nphys3366
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