In der Nacht zum 1. Juli fügt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig
eine Schaltsekunde in ihre Zeitsignale ein
Braunschweig (idw) - Genau drei Jahre nach der letzten Schaltsekunde ist es wieder soweit: In der Nacht
zum 1. Juli 2015 wird es eine Extra-Sekunde geben. Damit werden die koordinierte Weltzeit UTC und unsere gesetzliche
Zeit, aktuell die mitteleuropäische Sommerzeit MESZ, um eine Sekunde verlängert. Die Physikalisch-Technische
Bundesanstalt (PTB) folgt der Vorgabe des Internationalen Erd-Rotations-Service (IERS) in Paris und fügt die
Schaltsekunde in die Signale ihrer Zeitdienste ein: in die DCF77-Zeitaussendung für Funkuhren, den Telefonzeitdienst
und den Internetzeitdienst über NTP. Nötig ist diese Maßnahme, weil die Atomuhren gleichmäßiger
„ticken“, als sich die Erde dreht.
„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“, soll Albert Einstein, einst Kurator der PTB-Vorgängerin, der Physikalisch-Technischen
Reichsanstalt PTR, gesagt haben. Solange Menschen Uhren bauen, suchen sie nach möglichst stabilen, periodischen
Vorgängen als Taktgeber: Schwingungen von Pendeln, in Quarzkristallen (seit ca. 1930) und ab 1967 auch in
Cäsium-Atomen. So ist definitionsgemäß exakt nach 9 192 631 770 Schwingungen eines Mikrowellensignals,
welches Caesiumatome in einer Atomuhr anregt, genau eine Sekunde vergangen. Diese Schwingungszahl wurde im Jahr
1967 von der Generalkonferenz der Meterkonvention festgelegt und in die Definition der SI-Basiseinheit Sekunde
geschrieben. Sie orientierte sich allerdings letztlich doch an der Rotationsperiode der Erde, des klassischen Taktgebers
unseres Lebens auf der Erde.
Aus astronomischen Beobachtungen weiß man schon seit Langem, dass die Erde ganz allmählich langsamer
wird – und zudem eiert sie, die Rotationsperiode ist veränderlich. Die Reibung der Gezeiten sorgt für
ein stetiges Abbremsen der Erde. Die Lage der Rotationsachse im Erdkörper verändert sich – und zusätzlich
können Erdbeben, das Schmelzen der Gletscher und die Massenverteilung in der Atmosphäre im Lauf der Jahreszeiten
die Drehgeschwindigkeit der Erde verändern. Der letztgenannte Effekt konnte erstmals mit den Quarzuhren der
PTR in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts nachgewiesen werden.
„Atomuhren sind heute die Grundlage für die genaue Beobachtung der Erdrotation. Die von ihnen abgeleitete
Uhrzeit passt aber eben nicht perfekt zu unserem ganz natürlichen Zeitmaß“, erklärt der Physiker
Andreas Bauch, der in der PTB für die Aussendung der Zeitsignale zuständig ist. Bereits im Jahr 1972
hinkte die aus der Drehung der Erde abgeleitete Weltzeit der Atomzeit aus den Caesium-Uhren um 10 Sekunden hinterher.
Bis dahin hatte man Anpassungen in kleinen Schritten und zudem nicht weltweit auf die gleiche Weise vorgenommen.
Dann entschloss man sich, fortan eine Zeitskala mit Schaltsekunden als weltweite Referenzzeit zu verwenden. Die
Uhrzeit wird so näherungsweise im Einklang mit der Erdrotation, also der Weltzeit gehalten, immer innerhalb
von 0,9 Sekunden. Seitdem machen Schaltsekunden aus der Atomzeit die „koordinierte Weltzeit“ UTC.
Wie unregelmäßig schnell sich die Erde dreht, sieht man daran, dass zwischen 1999 und 2006 sieben Jahre
vergingen, bevor eine Schaltsekunde nötig wurde; danach waren es drei Jahre, dann 3,5 Jahre und jetzt wieder
drei Jahre. Die aktuelle Tageslänge wird aus der Winkelstellung der Erde im Raum mit Bezug auf Quasare über
Radioteleskope und auf die Satelliten des GPS-Navigationssystems ermittelt. Nun hat der Internationale Erd-Rotations-Service
(IERS, http://www.iers.org), der diese Messungen sammelt und
auswertet, die 26. Schaltsekunde seit dem 1.1.1972 angeordnet. Sie wird weltweit zum selben Zeitpunkt eingefügt:
am 30. Juni 2015 nach 23:59:59 koordinierter Weltzeit, in unserer gesetzlichen Zeit also am 1. Juli nach 01:59:59.
Uhren, die in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Zeit gehalten werden sollen, müssen dann um eine Sekunde
angehalten werden. Besitzer von Funkuhren brauchen sich um nichts zu kümmern. Das Programm des Langwellensenders
DCF77 in Mainflingen, über den die PTB die Zeitsignale aussendet, wurde bereits für die Einführung
der Schaltsekunde vorbereitet.
Im normalen Alltag ist diese Schaltsekunde nicht wirklich relevant. Anders ist das beispielsweise in der Astronomie,
da bei der Ausrichtung eines Teleskops Weltzeit und Atomzeit übereinstimmen oder der Unterschied zwischen
beiden Zeitskalen exakt bekannt sein muss. Es ist dokumentiert, dass die Einfügung der Schaltsekunde in Betriebssystemen
von Computern und speziell bei der Erzeugung von eindeutigen Zeitstempeln Probleme bereitet hat. Ebenso ist es
möglich, dass die Schaltsekunde bei Energieversorgern sowie Telekommunikationsunternehmen, die auf sekundengenaue
Abrechnung angewiesen sind, Probleme verursacht.
Wolle man die Wahrscheinlichkeit für solche Fehler verringern, so fordern Kritiker, müsse die Schaltsekunde
eigentlich abgeschafft werden. Seit Jahren wird nun schon das Für und Wider von Schaltsekunden diskutiert.
Eine Entscheidung wird vermutlich im November 2015 auf der World Radiocommunication Conference (WRC-15) der Internationalen Telekommuniationsunion
fallen. Für 2015 verbleibt uns jedenfalls eine zusätzliche Sekunde. Falls Sie also noch etwas Wichtiges
zu erledigen haben: Die Zeit ist auf Ihrer Seite.
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