Theologe Paul Zulehner und Genetiker Markus Hengstschläger im DIALOG
Linz (adademia superior) - Wenn ein Theologe und ein Genetiker aufeinandertreffen, geht es um Fundamentales.
Nicht anders gestern, als der europaweit renommierte Theologe Paul Zulehner und der Genetiker und wissenschaftliche
Leiter der ACADEMIA SUPERIOR, Markus Hengstschläger im Südflügel des Linzer Schlosses einen Dialog
über Gott und die Welt geführt haben. Dabei wurde kein kontroversielles Thema ausgespart: Vom Zölibat
über die Frage der aktiven Sterbehilfe führte das Gespräch bis hin zum Umgang der Kirche mit Frauen
als Priesterinnen, Scheidungen und homosexuellen Paaren, aber auch Fragen der Genetik und des religiösen Fundamentalismus.
Im bis zum letzten Platz gefüllten Südflügel verwies Wirtschafts-Landesrat Dr. Michael Strugl, Obmann
von ACADEMIA SUPERIOR – Gesellschaft für Zukunftsforschung, in seiner Begrüßung darauf, dass sich
ACADEMIA SUPERIOR bewusst auch mit wichtigen gesellschaftspolitischen Themen befasst und mit Zulehner als bekannter
Theologe, Priester und Sozialwissenschafter ein profunder Kenner der gesellschaftlich relevanten Materien Religion
und Ethik für diese Dialog-Veranstaltung gewonnen werden konnte.
Freiheit als Herausforderung
Eines kam in dem ebenso geistreich wie unterhaltsam geführten Dialog klar hervor: Die katholische Kirche in
Österreich steht, wie alle Institutionen des Landes, vor der fundamentalen Herausforderung, den richtigen
Umgang mit den nach individueller Freiheit strebenden Menschen noch erlernen zu müssen. Zulehner erklärte
die gegenwärtig paradoxe Situation, in der „die spirituelle Sehnsucht in den Menschen boomt, aber die Kirche
schrumpft“ mit dem Hinweis, dass „sämtliche gesellschaftlich steuernden Institutionen, egal ob es sich um
Parteien, Gewerkschaften oder die Kirche handelt“, mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen haben. Besonders
die katholische Kirche müsse sich, so Zulehner, noch aktiver den aktuellen Fragen der Gesellschaft stellen.
Von Markus Hengstschläger auf einige dieser Themen angesprochen, bemerkte Zulehner, ein Insider der aktuellen
kircheninternen Diskussionen, er rechne mit einem baldigen Ende des Zölibats und glaube auch, dass Frauen
früher oder später Priesterinnen werden können. Entscheidend für den persönlichen Glauben
ist für ihn nicht, dass man allem, was von der Kirche vorgegeben werde, zu 100 Prozent zustimme, sondern man
dürfe sich auch jene Teile des Glaubens herausnehmen, mit denen man mitgehen könne und andere ablehnen.
„Das Entscheidende ist, mit Gott und seiner Liebe in Verbindung zu stehen“, betone Zulehner.
Die Grenzen des Lebens
Zur aktiven Sterbehilfe stellte Zulehner seine Haltung als differenziert dar: „Ich habe Respekt vor den eigenen
Entscheidungen eines Menschen, aber ich persönlich würde das gesellschaftlich nicht inszenieren wollen“.
Aus den Ergebnissen seiner eigenen wissenschaftlichen Umfragen kennt der Sozialwissenschafter die Problematik der
Frage, wo die gesellschaftlichen Grenzen der Sterbehilfe gezogen werden sollten: Denn während manche der Meinung
seien, man sollte sterben dürfen, wenn man zu große Schmerzen habe, würden andere finden, dass
es bereits genüge, wenn man der Familie oder dem Staat zur Last falle. Eine gesellschaftliche Legalisierung
der aktiven Sterbehilfe berge daher die Gefahr in sich, bei älteren oder kranken Menschen einen Druck hin
zum Sterben aufzubauen, unterstrich Zulehner.
Markus Hengstschläger wies darauf hin, dass die Genetik seit diesem Jahr technologisch dazu in der Lage sei,
gezielt einzelne Gene von Menschen zu verändern. „Mit den dadurch möglichen Gentherapien können
wir bisher unheilbare Erbkrankheiten verhindern. Aber gleichzeitig ist es dem Menschen nun erstmals in der Geschichte
möglich, aktiv in unsere Evolution einzugreifen“, so Hengstschläger und fragte den Theologen weiter:
„Sollen wir das?“. Zulehner antwortete, dass es nun wichtig sein werde, „gut zuzuhören“ und sich ausreichend
zu informieren. „Ängstliche werden nun vor dem Anfang der Eugenik warnen“, doch einer seiner Brüder sei
mit einer sehr schweren Behinderung zur Welt gekommen: „Ich hätte es toll gefunden, wenn man das ändern
hätte können“, so Zulehner und er erklärte weiter „wir müssen in der ethischen Diskussion dieser
Themen noch freier werden und dürfen nicht zum Fundamentalismus neigen“.
Religion und Fundamentalismus
Gegenwärtig bringen vor allem die Beispiele radikaler Auslegung von Religion diese in die Medien, bemerkte
Markus Hengstschläger und fragte nach, ob diese Radikalität schon immer zum Wesen von Religionen gehört
habe. Paul Zulehner führte aus, dass auch in Europa, etwa während des Dreißigjährigen Krieges
von 1618 bis 1648, ähnliche Zustände wie heute im Nahen Osten mit dem Terror des Islamischen Staats vorgeherrscht
hätten. Allzu oft werde versucht, die persönliche Gewalttätigkeit durch Gott zu legitimieren. „Religion
ist extrem missbrauchsanfällig und alle Religionen standen schon immer vor dem Problem, sich von der Gewalttätigkeit
der Menschen befreien zu müssen“, so der Theologe. Für ihn sei „die Trennung von Kirche und Staat die
beste Hilfe für die Kirche“ in diesem Befreiungsprozess von der Gewalt gewesen, meinte Zulehner.
Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Sparkasse Oberösterreich, vertreten durch Vorstandsvorsitzenden
Dr. Michael Rockenschaub, der in seiner Begrüßung darauf hinwies, dass die Kirche im Gründungsprozess
der Sparkassenvereine eine entscheidende Rolle gespielt hatte und sich die Sparkasse OÖ, nach wie vor „christlichen
und bürgerlichen Werten in ihrer Geschäftstätigkeit verpflichtet fühlt und deshalb ein besonderes
Interesse an der Mitwirkung an dieser Veranstaltung gehabt hat“.
Unter den Gästen waren unter anderem auch Dr. Georg Starzer, Vorstandsmitglied der Raiffeisenlandesbank OÖ,
Dr. Gerhard Zettler, Vorstandsdirektor der Ennskraftwerke AG, Mag. Franz Keplinger, Rektor der Pädagogischen
Hochschule Linz sowie Vizerektorin Mag. Berta Leeb, Dr. Friedrich Pammer, Direktor des Oö. Landesrechnungshofes,
Landespolizeidirektor-Stv. Dr. Alois Lißl und Dr. Bert Brandstetter, Präsident der Katholischen Aktion
OÖ.
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