Graz (steirischer herbst) - Back to the Future: Der steirische herbst 2015 beschäftigt sich auf vielfältige
Weise mit dem Begriff des „Erbes“. Fragen zu Besitztum und Kapital, Nachlass und Erblast, Wissenstransfer und dem
Umgang mit kulturellem Erbe bilden den Ausgangspunkt für unterschiedlichste künstlerische Prozesse des
diesjährigen Festivals. Wer vorausschauen und -denken, sich gewissermaßen zukunftskompatibel machen
und gleichzeitig das Erbe nicht zu einem sentimentalen Dispositiv verkommen lassen will, muss das Vergangene neu
entdecken, das Alte genau studieren, sichten und kritisch befragen – unsere Gegenwart ist die Zukunft von gestern.
Den Auftakt macht eine Uraufführung, der eine jahrelange Vorbereitung vorausgegangen ist: Der Komponist Johannes
Maria Staud trifft auf den Dichter Josef Winkler. Sie wagen mit dem Ensemble Modern ein Experiment zeitgenössischen
Musiktheaters. „Specter of the Gardenia oder Der Tag wird kommen“ ist ein subtiles Wechselspiel von Musik, Text
und Film. Keine Oper, sondern eine installative Konzertperformance, die am 25. September den steirischen herbst
2015 eröffnet.
Wie Vergangenheit und Zukunft einander durchdringen, manifestiert sich auch im zentralen Ort der Begegnung: im
Festivalzentrum des steirischen herbst, das sich heuer im GrazMuseum ansiedelt, einem Ort, der dem Bewahren und
der ständigen Neuinterpretation des vergangenen und gegenwärtigen urbanen Raumes gewidmet ist. Seine
Räumlichkeiten im Erdgeschoß werden vom italienischen Architekturkollektiv orizzontale als retro-futuristische
Raumstation inszeniert. „Star Trek“, diese großartige Phantasie der Zukunft aus dem letzten Jahrhundert,
lässt grüßen.
Aber keine Science Fiction ohne Außerirdische und die Kommunikation mit fernen Welten. Diese Fragestellung
– wie wir denn eine Sprache, ein Zeichensystem für die Zukunft finden können – ist Ausgangspunkt der
herbst-Ausstellung „Hall of Half-Life“, die von der neuseeländischen, in Dublin lebenden Kuratorin Tessa Giblin
im GrazMuseum präsentiert wird. Zusätzlich wird der irische Künstler Gerard Byrne mit der Intervention
„Bright Sign“ zusätzlich die permanente Ausstellung des GrazMuseums auf seine Weise überschreiben und
kommentieren. Viele weitere Projekte, darunter von der britischen Künstlerin Phoebe Davies, dem Grazer Historiker
Joachim Hainzl und auch die herbstliche Konzertreihe Soundtracks ist im und um das Festivalzentrum live zu erleben:
mit Acts wie Die Buben im Pelz, Pollyester, Young Fathers und Lambert.
Gewohnt dicht ist der Reigen der Ur- und Erstaufführungen. Mit Spannung erwarten wir Uraufführungen von
der dänischen Choreografin und Tänzerin Mette Ingvartsen, den Rabtaldirndln, dem Nature Theater of Oklahoma
und der steirisch-internationalen Künstlerformation The Loose Collective sowie dem jungen Flamen Tom Struyf.
Rimini Protokoll nimmt die Spuren von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ auf und versucht zu ergründen, worauf der
Mythos dieses Buches eigentlich beruht. Ein Wiedersehen gibt es im diesjährigen Festival mit dem argentinischen
Theatermacher Mariano Pensotti und mit der Truppe copy & waste rund um den Autor Jörg Albrecht. Der französische
Theatermacher Joris Lacoste und der isländische Künstler Friðgeir Einarsson sind dagegen erstmals
in Österreich zu erleben.
Zudem zieht der steirische herbst auch heuer wieder weite Kreise in der Steiermark und legt künstlerische
Achsen: in Zonen mit großem geschichtlichem Erbe, die heute jedoch von Abwanderung besonders betroffen sind,
wie Vordernberg und Leoben. Das Theater im Bahnhof wird mit „Black Moonshine“ den Alltag in Vordernberg und das
Leben mit dem umstrittenen Anhaltezentrum zeigen. Die Gruppe Nesterval, sowie die beiden Künstlerinnen Mikala
Dwyer und Anna Peschke werden in unterschiedlichen Formaten und Genres in diesem geschichtsreichen Ort arbeiten.
In Leoben verwandelt die bildende Künstlerin Ulla von Brandenburg die Porubsky Halle, ein ehemaliges Kohlelager,
in einen hybriden Kunstraum, der über den gesamten Festivalzeitraum von lokalen wie internationalen Künstlern
– Ant Hampton, Márcio Carvalho, Fourdummies, Der Nino aus Wien, und vielen mehr – bespielt wird.
Auch in der Bildenden Kunst geht es um den Blick auf künstlerisches Erbe und Hinterlassenschaften. So wirft
etwa das Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien in einer Retrospektive einen Blick auf das Werk von
Jörg Schlick, < rotor > beleuchtet nationale Geschichtsschreibungen und mögliche Gegenentwürfe
dazu und auch bei Camera Austria werden historische Bruchstellen neu bewertet. Weitere Ausstellungen gibt es im
Haus der Architektur, dem Kunsthaus Graz, im Grazer Kunstverein, Forum Stadtpark, Schaumbad – Freies Atelierhaus
Graz, dem Kulturzentrum bei den Minoriten, the smallest gallery – collaboration space, esc medien kunst labor und
als neue Ausstellungspartner sind die Funkhausgalerie des ORF Landesstudios Steiermark und die Kunsthalle Graz
erstmals im steirischen herbst dabei.
„Future Vintage“ – auch das ORF musikprotokoll 2015 blickt zurück und nach vorne, zum Beispiel im Rahmen einer
Vintage-Konzertreihe mit zahlreichen elektroakustischen Raritäten aus vergangenen Jahrzehnten. Auch die belgische
Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker hat in den 35 Jahren ihres Schaffens immer wieder neue Wege beschritten
um Tanz und Musik in ein spannungsvolles Verhältnis zu setzen. Für ihre neue Arbeit „Golden Hours (As
you like it)“ waren ihr Brian Eno und William Shakespeare Inspiration, um das Phänomen der Vergänglichkeit
zu erkunden. Sie bildet den Abschluss des steirischen herbst 2015 – ein Festival, reich an Ur- und Erstaufführungen,
Laboren, Prozessen und Experimenten in allen Sparten der Kunst.
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