Die Österreichische Akademie Wissenschaften gedachte ihrer in der NS-Zeit verfolgten Forscherinnen
und Forscher
Wien (öaw) - Der Quantenphysiker Erwin Schrödinger war darunter, ebenso wie der Nobelpreisträger
Viktor Franz Hess oder Elise Richter, die erste Frau, die sich 1905 an der Universität Wien habilitierte.
Diese und 64 weitere Forscherinnen und Forscher der Akademie der Wissenschaften wurden in der NS-Zeit verfolgt,
vertrieben oder in den Konzentrationslagern ermordet. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ehrte die ÖAW
mit einer Gedenkveranstaltung am 12.06. all jene, die dem NS-Terror zum Opfer fielen. Ihre Lebensläufe sind
seit Kurzem auch in einem Gedenkbuch zu finden, dass unter http://www.oeaw.ac.at/gedenkbuch
online ist.
Schicksale
Am meisten unter dem nationalsozialistischen Terror hatte die ehemalige Biologische Versuchsanstalt (BVA) der Akademie
zu leiden. Sie war um 1900 eine der bedeutendsten österreichischen Forschungseinrichtungen und Vorbild für
wissenschaftliche Institutionen auf der ganzen Welt. Manche ihrer Mitarbeiter wie der Physiologe Eugen Steinach
waren mehrfach für den Nobelpreis nominiert. Mit dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche
Reich 1938 konnten jedoch rund zwei Drittel der an der BVA beschäftigten Menschen ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen.
Sie wurden von den Nazis ausgesperrt und vertrieben, sieben der rund 30 Mitarbeiter kamen im KZ ums Leben. In den
letzten Kriegstagen wurde das Gebäude der Versuchsanstalt weitgehend zerstört, 1946 die Einrichtung aufgelöst.
Die BVA stand aufgrund ihrer hohen Opferzahl daher auch im Mittelpunkt des Gedenkens am vergangenen Freitag, bei
dem zahlreiche Nachkommen der Gründer und ehemaligen Leiter des Instituts aus fernen Ländern wie z. B.
Australien, Kanada und Ecuador anwesend waren. Den Auftakt bildete die feierliche Enthüllung einer Gedenktafel
am ehemaligen Standort der BVA im Prater durch Andreas Mailath-Pokorny, Wiener Stadtrat für Kultur und Wissenschaft,
und ÖAW-Präsident Anton Zeilinger. Die Tafel erinnert an die drei Gründer der BVA Hans Przibram,
Wilhelm Figdor und Leopold von Portheim, die mit ihrem privaten Vermögen die BVA aufgebaut und 1914 der damals
Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften geschenkt haben. Hans Przibram ist auch eine Büste gewidmet, die
von dessen Bruder Karl Przibram gestiftet und am 12. Juni in der Aula der ÖAW am Ignaz Seipel-Platz 2 im ersten
Wiener Bezirk präsentiert wurde.
Erinnern
Einen Einblick in die Forschungsarbeit an der BVA sowie in das Leben und Schicksal der an ihr tätigen
Wissenschaftler bietet in der Aula der ÖAW auch die noch bis 30. Juni laufende neue Ausstellung "Experimentalbiologie
im Prater. Zur Geschichte der Biologischen Versuchsanstalt 1902-1945" kuratiert von Standard-Journalist Klaus
Taschwer und ÖAW-Archivleiter Stefan Sienell. Sie zeigt erstmals öffentlich Fotoaufnahmen, Lebensdokumente,
Forschungsschriften -und skizzen von der Gründungszeit der Einrichtung bis zur ihrer Schließung. Besonders
beeindruckend: die noch erhaltenen Fotoaufnahmen der Laboratorien, besonders bedrückend: eine Liste mit den
zu entlassenden "nicht-arischen" Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BVA. Die Ausstellung kann während
der Öffnungszeiten der ÖAW Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr bei freiem Eintritt besucht werden.
Für die Akademie ist das Erinnern an die Biologische Versuchsanstalt ein weiterer Meilenstein in der vor mehr
als einem Jahrzehnt begonnenen aktiven Aufarbeitung der eigenen Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus. ÖAW-Mitglied
Herbert Matis veröffentlichte 1997 eine Pionierstudie zur Akademie. Seitdem hat sich die ÖAW immer wieder
in Forschungsarbeiten, Publikationen und Veranstaltungen mit der eigenen Geschichte auseinandergesetzt. So wurde
2013 der Band "Die Akademie der Wissenschaften in Wien 1938 bis 1945" vorgelegt und eine Tafel zum Gedenken
an die Opfer des Nationalsozialismus unter den Mitgliedern und Angehörigen der Akademie der Wissenschaften
vor dem Festsaal im ÖAW-Hauptgebäude angebracht. 2015 wurde vom Präsidium eine Arbeitsgruppe eingerichtet,
die sich mit der Akademiegeschichte befasst und zum 175. Jubiläum der ÖAW im Jahr 2022 eine neue Gesamtgeschichte
von Österreichs größter Einrichtung für Grundlagenforschung herausbringen wird.
Dem aktiven Erinnern dient auch ein seit dem 12. Juni im Internet zugängliches Gedenkbuch. Es verzeichnet
unter www.oeaw.ac.at/gedenkbuch die Namen aller Opfer des Nationalsozialismus an der Akademie und wird im Rahmen
laufender Forschungen regelmäßig erweitert und aktualisiert. Die ausführlichen Biographien von
Forscherinnen und Forschern sind dort ebenso nachzulesen wie eine Auswahl von Schriften, Quellen und Sekundärliteratur
sowie Verweise zu Online-Ressourcen wie Datenbanken, Bibliotheken und Archiven.
All diese Aktivitäten der ÖAW sollen aber nicht nur eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte darstellen,
sondern vor allem auch eines leisten: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Opfer des Nationalsozialismus
geworden sind, nicht dem Vergessen preiszugeben und ihr Andenken für zukünftige Generationen zu bewahren.
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