70 Jahre Ende zweiter Weltkrieg – von 26. Juni - 12. September 2015 in der Oö. Landesbibliothek
Linz (lk) - 1945 ist ein Schlüsseljahr in der Geschichte Österreichs: Mit der Befreiung durch
die Alliierten endete der Zweite Weltkrieg, die Unabhängigkeitserklärung des Landes am 27. April markiert
den Beginn der Zweiten Republik. Die Österreichische Nationalbibliothek beleuchtet im Gedenkjahr 2015 in der
Ausstellung "1945. Zurück in die Zukunft" den mühevollen Neubeginn Österreichs als eigenständige
Nation. Die Oö. Landesbibliothek übernimmt diese Schau, ergänzt sie mit Bildern aus Oberösterreich
und mit Materialien des Jahres 1945 aus den Bibliotheksbeständen und zeigt sie von 26. Juni bis 12. September
2015 in ihrem Atrium.
Kuratiert vom renommierten Zeithistoriker Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb, veranschaulichen 17 thematische Kapitel
und zwei Medienstationen die zentralen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Weichenstellungen des Jahres
1945. Eines Jahres, das geprägt war von NS-Verfolgungstraumata und sozialer Not, von der Suche nach einer
neuen Identität in der kulturellen Vergangenheit und der Hoffnung auf eine demokratische Zukunft.
27. April 1945: Die Wiedergeburt Österreichs
"Verzagt nicht! Fasset wieder Mut! Schließt Euch zusammen zur Wiederaufrichtung Eures freien Gemeinwesens
und zum Wiederaufbau Eurer Wirtschaft! Vertagt allen Streit der Weltanschauungen, bis das große Werk gelungen
ist! Und folgt in diesem Geiste willig Eurer Regierung!" Mit diesem leidenschaftlichen Aufruf von Staatskanzler
Karl Renner an die Bevölkerung konstituierte sich am 27. April 1945 die erste, provisorische Regierung des
befreiten Österreichs. Noch am selben Tag war der Regierungsbildung die "österreichische Unabhängigkeitserklärung"
vorangegangen, in der die Republik Österreich als "wiederhergestellt" und der "aufgezwungene"
"Anschluss" an Deutschland 1938 als "null und nichtig" bezeichnet wurde. Ein politischer Befreiungsschlag,
der sieben Jahre Nationalsozialismus, in denen Österreich nicht existiert hatte, mit einem Mal beendete. Und
ein Gesinnungswandel, denn 1938 war Renner noch für den "Anschluss" an das nationalsozialistische
Deutschland in deutschen und britischen Zeitungen eingetreten.
Militärisch war längst alles entschieden. Am 13. April hatte die Rote Armee den blutigen "Kampf
um Wien" gewonnen, 18.000 deutsche und 19.000 sowjetische Soldaten hatten dabei ihr Leben gelassen.
Die Sowjets waren es denn auch, die die neue Regierung als Erste anerkannten. Ein Bild, das fast schon zur Ikone
geworden ist, zeigt in der Ausstellung, wie sich Karl Renner und der damalige Wiener Bürgermeister Theodor
Körner kurz nach der Anerkennung unter dem - allerdings organisierten - Jubel der Bevölkerung auf den
Weg zum Parlament machen. Die einmarschierenden Westalliierten standen der provisorischen Regierung anfangs skeptisch
gegenüber, nicht zuletzt weil mit Franz Honner und Ernst Fischer gleich zwei KPÖ-Mitglieder die Schlüsselministerien
für Inneres und für Unterricht führten. Briten und Amerikaner hatten in ihren Besatzungszonen zunächst
jede politische Betätigung untersagt. Erst mit der gesamtösterreichischen Länderkonferenz und der
Erweiterung der Staatsregierung mit Politikern aus Westösterreich wurden die Voraussetzungen geschaffen, um
am 20. Oktober 1945 die Anerkennung der Regierung Renner von allen vier Besatzungsmächten zu erreichen. Der
Schritt zu demokratischen Wahlen - den ersten seit 1930 - war damit getan.
Das Trauma der NS-Zeit: Verurteilte Täter, unerwünschte Opfer
Doch nicht alle ÖsterreicherInnen durften an den Nationalratswahlen am 25. November 1945 teilnehmen. Frühere
ParteigängerInnen und -anwärterInnen der NSDAP waren davon ausgeschlossen - rund 540.000 Personen. Deren
Mitschuld an NS-Verbrechen wurde vor den ab 1945 in Wien, Graz, Linz und Innsbruck tätigen Volksgerichten
verhandelt. Bis zur Abschaffung dieser Gerichte im Staatsvertragsjahr 1955 wurden exakt 13.607 Personen schuldig
gesprochen und 30 Todesurteile vollstreckt.
Gesellschaftlich standen die Verantwortung und Mitwirkung von ÖsterreicherInnen an Holocaust und Weltkrieg
jedoch nicht im Zentrum von Debatten. Mehr als 130.000 JüdInnen waren ins Exil getrieben, rund 65.000 ermordet
worden und nur 2.000 hatten unter extremsten Bedingungen in Wien überlebt - die Leiden all dieser Menschen
wurden zumeist verdrängt. Keine Rede war auch von anderen Opfergruppen wie Roma und Sinti, verfolgten Homosexuellen
oder BibelforscherInnen; Wehrmachtsdeserteure wurden hingegen als "Kameradenverräter" stigmatisiert.
Unerwünscht war aber nicht nur der Rückblick auf die eigenen Taten. Unerwünscht war auch die Rückkehr
jener Vertriebenen, die an diese Taten hätten erinnern können. Eine Reintegration dieser Opfer der NS-Zeit
wurde daher nicht betrieben, vielmehr erschwert, wie die Schau zeigt. Wer zum Beispiel nach dem "Anschluss"
von 1938 das Land verlassen hatte, musste erneut um die Staatsbürgerschaft ansuchen und seinen ständigen
Wohnsitz in Österreich nehmen. Gerade letzteres war aber aufgrund der restriktiven Einreisepolitik der Alliierten
in ihre Zonen nur schwer möglich. Die Konsequenz: Nur einem kleinen Teil der Vertriebenen gelang 1945 und
danach die Rückkehr nach Österreich.
Soziale Not des Nachkriegsjahres: "Trümmerfrauen" und "Opfermythos"
Während die Opfer des NS-Terrors aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verdrängt wurden,
wurde das eigene Leiden betont. Ein Leiden, das zweifellos enorm war. Rund 1,6 Millionen Menschen waren zu Flüchtlingen
geworden, Tausende waren ausgebombt und hatten kein Dach über dem Kopf, litten unter der Plünderungs-
und Vergewaltigungswelle der Roten Armee oder verhungerten schlichtweg. Trotz Lebensmittellieferungen durch die
Sowjetunion und die Westalliierten verdreifachten sich in Wien die Sterberaten.
Die mangelnde Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, die soziale Not der Gegenwart, aber auch der beginnende
Kalte Krieg, in dem Österreich drohte, zwischen die Fronten zu geraten, förderten das Selbstverständnis
als Opfer des Nationalsozialismus. Ein Selbstverständnis, das auch politisch zum Ausdruck kam und bereits
in der Präambel der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 festgehalten wurde: Die Nationalsozialisten
hätten das Volk "macht- und willenlos" gemacht, Österreich sei, wie es auch in der Moskauer
Deklaration der Alliierten von 1943 hieß, "das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum
Opfer gefallen ist". Die ebenfalls in der Deklaration thematisierte Mitverantwortung und Aufforderung zum
Widerstand wurde hingegen weggelassen.
Erst 46 Jahre später und nach politischen Erschütterungen wie der "Waldheim- Affäre" wurde
dieser "Opfermythos" auch von offizieller Seite durchbrochen, als der damalige österreichische Bundeskanzler
Franz Vranitzky am 8. Juli 1991 in einer Rede im Nationalrat bekannte: "Es gibt eine Mitverantwortung für
das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen
und Völker gebracht haben."
Zurück in die Zukunft: "Rückbruch" in die Zeit vor 1938 statt Neuanfang
1945, im Jahr eins nach dem Zweiten Weltkrieg, war man von dieser Sichtweise noch weit entfernt. Nach der Zeit
des nationalsozialistischen Regimes galt es zunächst, ein neues Österreich aufzubauen, mit einer eigenen,
unbelasteten nationalen Identität. Die kritische Reflexion der NS-Vergangenheit stand daher nicht im Mittelpunkt.
Man wollte vielmehr, wie es der in der Ausstellung zitierte, einflussreiche Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia
1945 ausdrückte, "dort fortsetzen, wo uns die Träume eines Irren unterbrochen haben".
Für eine Antwort auf die Frage "Was ist Österreich?" bewegte sich das Land 1945 daher, so der
Befund dieser Ausstellung, zurück in die Zukunft. Der Rückgriff auf das teilweise geschönte wie
überhöhte kulturelle Leben von Zwischenkriegszeit und Monarchie ersetzte den völligen Neubeginn
nach dem Ende des Krieges. Knapp zusammengefasst bedeutete das: Österreich ist Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert,
Burgtheater, Staatsoper, Philharmoniker, Wiener Sängerknaben und Salzburger Festspiele. Österreich als
Kulturnation - das war eine Idee, die nicht nur Konservativen, sondern auch vielen Linken und sogar Exilanten attraktiv
erschien. Entsprechend wurden Burgtheater und Staatsoper als Symbole des Wiederaufbaus rekonstruiert, ohne dabei
moderne Akzente zu setzen.
Doch nicht alle waren mit diesem "Rückbruch" in die Zeit vor 1938 einverstanden. Leopold Figl, KZ-Überlebender
und erster Bundeskanzler der Zweiten Republik, forderte in seiner Regierungserklärung am 21. Dezember 1945,
die in Ausschnitten in der Ausstellung zu hören ist: Es müsse ein "neues, revolutionäres Österreich"
aufgebaut werden, das "weder eine Wiederholung von 1918, noch von 1933, noch eine von 1938" ist. Denn,
so Figl: "Wir sind Bettler geworden und müssen von Grund auf neu anfangen."
Materialien aus der Landesbibliothek
Neben der Berichten oder Befragungen von Zeitzeugen sind gerade auch Zeitungen eine wichtige Quelle für
die zeitgeschichtliche Forschung: die Sammlungen der Landesbibliothek geben davon ein illustriertes Bild: so ist
in der Ausstellung etwa die erste Ausgabe des "Oberösterreichischen Amtsblattes" zu sehen, das die
Anordnungen der Militärregierung publiziert hat.
1945 öffnete das Amerika-Haus Linz in der Goethestraße seine Türen, dabei stand die Kulturvermittlung
im Vordergrund. Im selben Haus war auch die Bücherei untergebracht, finanziert wurde die Institution vom United
States Information Service (USIS). Bis zum Jahr 1957 besaß das Amerika-Haus eine mobile Bibliothek. Der Amerika-Wagen
wurde erfolgreich eingesetzt, um auch Gebiete außerhalb der Landeshauptstadt zu erreichen. Die Bestände
bildeten in den 60er-Jahren den Grundbestand der Universitätsbibliothek. Etliche Bände kamen aber auch
an die Linzer Studienbibliothek, darunter die ausgestellten Bände der Nürnberger Prozesse, die noch mit
der originalen Ausleihekarte der Amerika-Bibliothek erhalten sind.
Zu sehen ist auch eine einzelne Ausgabe von "Thunderbolt", der Wochenzeitung der 83. Infanteriedivision,
vom 8. Jänner 1946 sie zeigt den Bibliothekar August Hirsch hinter seinem Pult umringt von GIs. Die gezeigten
Exemplare der "Armed Services Editions" stammen aus dem persönlichen Besitz von August Hirsch.
Zur Ausstellung ist eine Begleitbroschüre erschienen, die für 9.90 Euro an der Kassa erhältlich
ist.
"1945. Zurück in die Zukunft. 70 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg" ist vom 26. Juni bis
12. Sept. 2015 im Atrium der Oö. Landesbibliothek, Schillerplatz 2, 4020 Linz, zu sehen. Der Eintritt in die
Ausstellung ist zu den Öffnungszeiten der Bibliothek frei (Mo - Fr 9 bis 18 Uhr, Sa 9 bis 12 Uhr).
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