Bestimmungen über "Mystery-Shopping" in Arztpraxen bleiben unverändert
Wien (pk) – Die Politik verschärft den Kampf gegen Sozialbetrug. Mit einem eigenen Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz
und begleitenden gesetzlichen Bestimmungen wollen Regierung und Nationalrat vor allem die Identifizierung und Sanktionierung
von Scheinfirmen erleichtern. An den Kragen gehen soll es nicht nur Unternehmen, die ohne die Zahlung von Abgaben,
Sozialversicherungsbeiträgen und Löhnen vom Markt verschwinden, sondern auch Firmen, die Scheinanmeldungen
bei der Sozialversicherung vornehmen und den Angemeldeten damit zu ungerechtfertigten Leistungen verhelfen. Überdies
ist vorgesehen, die Haftung für Auftraggeber von Scheinfirmen auszuweiten, die missbräuchliche Verwendung
der E-Card durch erweiterte Ausweispflichten weiter zurückzudrängen und Ärzten durch "Mystery
Shopping" genauer auf die Finger zu schauen. Das Sozialministerium erwartet sich durch das Paket, das am 08.07.
mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen vom Nationalrat beschlossen wurde, jährlich Mehreinnahmen
von zumindest 250 Mio. €. Mehr als die Hälfte davon soll der Sozialversicherung zugutekommen.
Im Ausschuss in das Gesetzespaket eingebaut wurde auch eine Änderung des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes.
In Reaktion auf ein EuGH-Urteil wird gesetzlich verankert, dass ArbeitnehmerInnen im Falle einer Firmenpleite künftig
zumindest die Hälfte ihres erworbenen Anspruchs auf Betriebspension und anderer unverfallbarer Anwartschaften
zusteht.
Darüber hinaus wurde bei der heutigen Abstimmung ein von den Koalitionsparteien eingebrachter Abänderungsantrag
berücksichtigt, mit dem einzelne Formulierungen im Gesetz an die Terminologie des gestern beschlossenen Strafrechtsänderungsgesetzes
angepasst werden. In Bezug auf das umstrittene "Mystery-Shopping" in Arztpraxen blieb es hingegen bei
den von der Regierung vorgeschlagenen Bestimmungen, was den Arzt und ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger
dazu veranlasste, gegen die Fraktionslinie zu stimmen und das Gesetzespaket als Gesamtes abzulehnen. Auch das Team
Stronach stimmte wegen des vorgesehenen Einsatzes von Testpatienten der Krankenkassen in Ordinationen in Dritter
Lesung gegen das Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, obwohl Klubobfrau Waltraud Dietrich die anderen Bestimmungen
des Gesetzes ausdrücklich begrüßte.
Mit der gesetzlichen Verankerung des Mystery-Shopping werde die notwendige Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient
leichtfertig aufs Spiel gesetzt, argumentierte Rasinger und schloss sich damit der Kritik der Ärztekammer
und der Opposition an. Grün-Abgeordnete Eva Mückstein sprach in diesem Zusammenhang sogar von totalitären
Zügen, konnte sich mit einem Abänderungsantrag zur Streichung der "unausgegorenen und untauglichen"
Bestimmungen aber ebenso wenig durchsetzen wie die NEOS, die ebenfalls Änderungen beantragt hatten. Auch die
Feststellung von Mückstein und NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker, wonach es bereits genug Möglichkeiten
für die Krankenkassen gebe, schwarzen Schafen unter den ÄrztInnen auf die Schliche zu kommen und zusätzliche
"Spitzel" nicht notwendig seien, fruchteten nichts. Verärgert zeigte sich auch FPÖ-Abgeordneter
Andreas Karlsböck, er erachtet es als empörend, einen ganzen Berufsstand unter Generalverdacht zu stellen.
Karlsböck ist außerdem überzeugt, dass die Maßnahme außer eine massive Verärgerung
der Ärzte nichts bringen wird.
Abgeordneter August Wöginger räumte ein, dass die Bestimmungen über das "Mystery-Shopping"
auf Wunsch der ÖVP in das Gesetz hineingekommen sind, weil es in der Vergangenheit Fälle von Missbrauch
gegeben habe. Das direkte Belügen des Arztes sei aus seiner persönlichen Sicht aber überschießend,
meinte er und bedauerte in diesem Sinn, dass es im Rahmen der parlamentarischen Verhandlungen nicht gelungen sei,
den einen oder anderen Satz noch zu ändern. Wöginger stellte sich aber ausdrücklich hinter das Gesamtpaket.
Explizit verteidigt wurde das "Mystery-Shopping" von den SPÖ-Abgeordneten Erwin Spindelberger und
Walter Bacher. Was solle daran verwerflich sein, wenn die Krankenkassen überprüfen, ob von den ÄrztInnen
verrechnete Leistungen tatsächlich erbracht wurden, fragte Spindelberger und warf KritikerInnen vor, "Schauermärchen"
zu verbreiten. Er könne die ständigen Drohgebärden der Ärztekammer nicht mehr hören. Auch
bisher seien Kontrollen in den Ordinationen durchgeführt worden, die der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich
als legitim gewertet hat. Spindelberger machte außerdem geltend, dass Kontroll-Checks mit eigens für
die Krankenkassen ausgestellten E-Cards nur bei begründetem Verdacht bzw. im Rahmen eines jährlich im
Voraus zu erstellenden Stichprobenplans erlaubt sind. Abgeordneter Bacher hob hervor, dass Mystery-Shopping in
vielen Bereichen als Maßnahme zur Qualitätssicherung eingesetzt werde.
FPÖ bezweifelt Wirksamkeit des neuen Gesetzes
Abseits der Frage des Mystery-Shopping wurde das Gesetzespaket vor allem von der FPÖ und den NEOS kritisiert.
Die Freiheitlichen bezweifeln, dass die Bestimmungen zur Betrugsbekämpfung tatsächlich wirksam sein werden.
Man bemühe sich bereits seit Jahren, Lohn- und Sozialdumping einzudämmen, ohne nennenswerten Erfolg,
machte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein geltend. Ohne eine deutliche personelle Aufstockung der Finanzpolizei
wird sich daran ihrer Meinung nach auch in Zukunft nichts ändern, auch wenn das Gesetz einige sinnvolle Verschärfungen
enthalte.
Belakowitsch-Jeneweins Fraktionskollege Peter Wurm wertete vor allem die Bestimmungen gegen die Eindämmung
von E-Card-Missbrauch als unzureichend. Er vermisst überdies Maßnahmen gegen den missbräuchlichen
Bezug von Mindestsicherung und Arbeitslosengeld. Für ein genaueres Hinschauen bei der Bedarfsorientierten
Mindestsicherung sprach sich auch ÖVP-Abgeordneter Michael Hammer aus.
NEOS fordern besseren Rechtschutz und sorgen sich um Datenmissbrauch
NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker brachte einen umfangreichen Abänderungsantrag zum Gesetzentwurf ein, der
bei der Abstimmung allerdings in der Minderheit blieb. Zwar hält auch Loacker den Kampf gegen Scheinunternehmen
für eine wichtige Maßnahme, um fairen Wettbewerb zu garantieren und Schaden durch Sozialbetrug zu minimieren,
er ortet aber gravierende rechtsstaatliche Mängel im Gesetzespaket und sieht die Gefahr, dass Unternehmen
unter Generalverdacht gestellt werden. Vor allem beim Rechtsschutz und bei der vorgesehenen Sozialbetrugsdatenbank
sieht er erheblichen Änderungsbedarf. Überdies halten die NEOS die Definition von Scheinunternehmen und
weitere Begriffe im Gesetz für unklar.
Auch Loackers Fraktionskollege Nikolaus Alm übte Kritik an der Sozialbetrugsdatenbank in der vorliegenden
Form. De facto handle es sich bei der Datenbank um eine "Vorratsdatenspeicherung light", beklagte er
und forderte eine bessere Berücksichtigung des Datenschutzes.
SPÖ, ÖVP und Grüne begrüßen verschärften Kampf gegen Sozialbetrug
Ausdrücklich positiv bewertet wurde das Gesetz hingegen von SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. In die
Ausarbeitung des Entwurfs seien alle zuständigen Behörden miteingebunden gewesen, hob er hervor. Man
habe genau ausgelotet, was machbar sei. Wesentlich ist für Muchitsch auch der Konnex zwischen dem vorliegenden
Gesetz und der bevorstehenden Novellierung des Bundesvergabegesetzes. Damit werde es künftig leichter möglich,
schwarze Schafe unter den Unternehmen von öffentlichen Aufträgen auszuschließen.
Auch die Abgeordneten Wöginger, Hammer, Gertrude Aubauer (alle V) und Dietmar Keck (S) hoben die Notwendigkeit
einer konsequenten Verfolgung von Sozialbetrug und einer umfassenden Strategie zur Bekämpfung von Scheinfirmen
hervor. Sozialmissbrauch sei kein Kavaliersdelikt, so die einhellige Meinung.
Abgeordnete Birgit Schatz wies darauf hin, dass viele im Gesetz enthaltene Punkte von den Grünen seit langem
gefordert worden sind. Die Grünen hätten kein Verständnis für Unternehmen, die ihre MitarbeiterInnen
systematisch unterentlohnen oder schwarz beschäftigen bzw. in großem Ausmaß Sozialbetrug betreiben,
bekräftigte sie. Gewisse Bedenken hat Schatz allerdings gegen das Risiko- und Auffälligkeitstool, das
sich ihrer Meinung nach zu stark an der Baubranche orientiert. Sie habe ein bisschen die Sorge, dass junge Branchen
Probleme bekommen könnten, einfach weil sie anders funktionierten als traditionelle Branchen. Schatz versteht
überdies nicht, warum in der Sozialbetrugsdatenbank lediglich Scheinunternehmen, aber nicht die verantwortlichen
AkteurInnen angeführt werden.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer verteidigte das Gesetz gegenüber KritikerInnen. "Wir haben es uns nicht
leicht gemacht", unterstrich er mit Hinweis auf die Einbindung zahlreicher ExpertInnen in die Erarbeitung
des Gesetzentwurfs. Mit dem Gesetz würden einige Lücken bei der Bekämpfung von Sozialbetrug geschlossen.
Es gebe, so Hundstorfer, "sehr viel Kreativität im System".
Ruf nach Ausstattung der E-Card mit einem Foto wird lauter
Auf den immer lauter werdenden Ruf nach Anbringung eines Fotos auf der E-Card zur Missbrauchseindämmung reagierte
der Nationalrat mit einer Entschließung: der Hauptverband der Sozialversicherungsträger soll eine Strategie
zur Weiterentwicklung der E-Card erarbeiten und dabei auch die Lichtbild-Frage prüfen. Ausdrücklich für
Fotos auf E-Cards sprachen sich unter anderem die Abgeordneten Wöginger, Karlsböck und Aubauer aus. Aubauer
urgierte auch mehr Tempo bei der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA.
Scheinselbständigkeit: NEOS fordern mehr Rechtssicherheit für Unternehmen
Mit der Regierungsvorlage mit in Diskussion stand eine von den NEOS beantragte Änderung des ASVG, die jedoch
gemäß den Empfehlungen des Sozialausschusses abgelehnt wurde. Um mehr Rechtssicherheit bei der Beauftragung
von Dienst- und Werkleistungen zu schaffen, wollte Abgeordneter Gerald Loacker im ASVG festschreiben, dass eine
rückwirkende Umwandlung erbrachter Werk- und Dienstleistungen in ein unselbständiges Beschäftigungsverhältnis
durch die Sozialversicherung jedenfalls dann unzulässig ist, wenn die betroffenen AuftragnehmerInnen eine
facheinschlägige Gewerbe- bzw. Berufsberechtigung aufweisen, alle sozialversicherungs- und steuerrechtlichen
Meldepflichten erfüllt haben und die an sie ausbezahlten Honorare den kollektivvertraglich festgelegten Mindestlohntarif
nicht unterschreiten. Die NEOS werden sich wehren, wenn redliche Unternehmer in den Verdacht des Sozialbetrugs
kommen, weil ihre AuftragnehmerInnen vermeintlich Scheinselbständige sind, versicherte Alm in der ebatte.
|